Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Kaiserin erfreute, mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln während des
schwedischen und türkischen Krieges den Abschluß eines Allianzvertrages
zwischen Frankreich und Rußland betrieb, während gleichzeitig Montmorin
und Lomenie de Brienne nicht gesonnen waren, sich so weit mit Rußland
einzulassen. Je offener und inniger die persönlichen Beziehungen des fran¬
zösischen Gesandten zur Kaiserin sonst gewesen waren, desto größer war Ka¬
tharina's Erstaunen, als sie durch Perlustration der aus Frankreich an den
Grafen Se'gur eingetroffenen Briefe erfuhr, daß Frankreich Gustaf III. unter¬
stützen und Rußland die Zumuthung machen wolle, dem Königreiche die im
Jahre 1772 gemachten Erwerbungen zurückzugeben. Katharina war in leiden¬
schaftlicher Erregung. Sie schrieb an den Rand des Auszuges aus Mont-
morin's Briefe: "Noch nie bin ich auf Depeschen gestoßen, welche Frankreichs
Feindseligkeit gegen Rußland offener dargelegt hätten, als diese; hier wird
offenbar, daß Frankreich Rußland verkleinern, schwächen, um alle Erfolge
bringen will. Der unversöhnliche Feind Rußland's!"*).

Wir wissen aus Segur's Memoiren, daß er von der Kenntnißnahme
jener inhaltschweren Nachrichten durch die Kaiserin nicht unterrichtet war.
Er schildert uns seine Bestürzung bei Empfang solcher Jnstructionen, seine
Berathung mit dem Grafen Cobenzl, seinen Entschluß der Kaiserin nichts
von solchen Absichten des französischen Ministeriums mitzutheilen, und deutet
an, daß er auch mit den russischen Staatsmännern nicht weiter darüber ver¬
handelt habe, da der Inhalt der Depesche etwa durch die vertrauliche Mit¬
theilung an Cobenzl den russischen Ministern genügend bekannt geworden
sein mochte**). Die Art, wie Se'gur von dieser Angelegenheit spricht, zeigt
offenbar, daß er von den Auszügen, welche Chragomitzki aus den französischen
Depeschen zu machen pflegte, keine Ahnung hatte.

Ebenfalls mit Se'gur geschah Folgendes. In Bezug auf die Ereignisse
der französischen Revolution war er während seines Aufenthaltes in Ru߬
land (bis Ende 1789) entschieden liberal. Er billigte die Handlungsweise
des Königs Ludwigs XVI., die Reformen, die Berufung der Reichsstände.
In Rußland war man nicht geneigt, so zu urtheilen. Se'gur mußte vom
Fürsten Potemkin einige spitze Bemerkungen über die Ereignisse in Frankreich
hören, worauf er mit der ihm eigenen Geistesgegenwart ebenfalls spitz ent-
gegnete. Katharina hatte bei Empfang der Nachricht vom Bastillesturm die
Bemerkung gemacht "Is xvurguoi est 1s rin"***). In ganz anderem Tone
schrieb Se'gur an Lafayette über dasselbe Ereigniß, doch wohl ohne zu ahnen,
daß sein Brief bet Hofe gelesen werden würde. Chragomitzki schreibt am





-) Chragomitzki 14. Januar 1789.
") LöZur, Nömoires et Souvenirs, III. 446.
Chragomitzki 29. Juli 1789. SoZur, Nömoiros et souvemrs III, 452--464.

Kaiserin erfreute, mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln während des
schwedischen und türkischen Krieges den Abschluß eines Allianzvertrages
zwischen Frankreich und Rußland betrieb, während gleichzeitig Montmorin
und Lomenie de Brienne nicht gesonnen waren, sich so weit mit Rußland
einzulassen. Je offener und inniger die persönlichen Beziehungen des fran¬
zösischen Gesandten zur Kaiserin sonst gewesen waren, desto größer war Ka¬
tharina's Erstaunen, als sie durch Perlustration der aus Frankreich an den
Grafen Se'gur eingetroffenen Briefe erfuhr, daß Frankreich Gustaf III. unter¬
stützen und Rußland die Zumuthung machen wolle, dem Königreiche die im
Jahre 1772 gemachten Erwerbungen zurückzugeben. Katharina war in leiden¬
schaftlicher Erregung. Sie schrieb an den Rand des Auszuges aus Mont-
morin's Briefe: „Noch nie bin ich auf Depeschen gestoßen, welche Frankreichs
Feindseligkeit gegen Rußland offener dargelegt hätten, als diese; hier wird
offenbar, daß Frankreich Rußland verkleinern, schwächen, um alle Erfolge
bringen will. Der unversöhnliche Feind Rußland's!"*).

Wir wissen aus Segur's Memoiren, daß er von der Kenntnißnahme
jener inhaltschweren Nachrichten durch die Kaiserin nicht unterrichtet war.
Er schildert uns seine Bestürzung bei Empfang solcher Jnstructionen, seine
Berathung mit dem Grafen Cobenzl, seinen Entschluß der Kaiserin nichts
von solchen Absichten des französischen Ministeriums mitzutheilen, und deutet
an, daß er auch mit den russischen Staatsmännern nicht weiter darüber ver¬
handelt habe, da der Inhalt der Depesche etwa durch die vertrauliche Mit¬
theilung an Cobenzl den russischen Ministern genügend bekannt geworden
sein mochte**). Die Art, wie Se'gur von dieser Angelegenheit spricht, zeigt
offenbar, daß er von den Auszügen, welche Chragomitzki aus den französischen
Depeschen zu machen pflegte, keine Ahnung hatte.

Ebenfalls mit Se'gur geschah Folgendes. In Bezug auf die Ereignisse
der französischen Revolution war er während seines Aufenthaltes in Ru߬
land (bis Ende 1789) entschieden liberal. Er billigte die Handlungsweise
des Königs Ludwigs XVI., die Reformen, die Berufung der Reichsstände.
In Rußland war man nicht geneigt, so zu urtheilen. Se'gur mußte vom
Fürsten Potemkin einige spitze Bemerkungen über die Ereignisse in Frankreich
hören, worauf er mit der ihm eigenen Geistesgegenwart ebenfalls spitz ent-
gegnete. Katharina hatte bei Empfang der Nachricht vom Bastillesturm die
Bemerkung gemacht „Is xvurguoi est 1s rin"***). In ganz anderem Tone
schrieb Se'gur an Lafayette über dasselbe Ereigniß, doch wohl ohne zu ahnen,
daß sein Brief bet Hofe gelesen werden würde. Chragomitzki schreibt am





-) Chragomitzki 14. Januar 1789.
") LöZur, Nömoires et Souvenirs, III. 446.
Chragomitzki 29. Juli 1789. SoZur, Nömoiros et souvemrs III, 452—464.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0026" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123114"/>
          <p xml:id="ID_51" prev="#ID_50"> Kaiserin erfreute, mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln während des<lb/>
schwedischen und türkischen Krieges den Abschluß eines Allianzvertrages<lb/>
zwischen Frankreich und Rußland betrieb, während gleichzeitig Montmorin<lb/>
und Lomenie de Brienne nicht gesonnen waren, sich so weit mit Rußland<lb/>
einzulassen. Je offener und inniger die persönlichen Beziehungen des fran¬<lb/>
zösischen Gesandten zur Kaiserin sonst gewesen waren, desto größer war Ka¬<lb/>
tharina's Erstaunen, als sie durch Perlustration der aus Frankreich an den<lb/>
Grafen Se'gur eingetroffenen Briefe erfuhr, daß Frankreich Gustaf III. unter¬<lb/>
stützen und Rußland die Zumuthung machen wolle, dem Königreiche die im<lb/>
Jahre 1772 gemachten Erwerbungen zurückzugeben. Katharina war in leiden¬<lb/>
schaftlicher Erregung. Sie schrieb an den Rand des Auszuges aus Mont-<lb/>
morin's Briefe: &#x201E;Noch nie bin ich auf Depeschen gestoßen, welche Frankreichs<lb/>
Feindseligkeit gegen Rußland offener dargelegt hätten, als diese; hier wird<lb/>
offenbar, daß Frankreich Rußland verkleinern, schwächen, um alle Erfolge<lb/>
bringen will.  Der unversöhnliche Feind Rußland's!"*).</p><lb/>
          <p xml:id="ID_52"> Wir wissen aus Segur's Memoiren, daß er von der Kenntnißnahme<lb/>
jener inhaltschweren Nachrichten durch die Kaiserin nicht unterrichtet war.<lb/>
Er schildert uns seine Bestürzung bei Empfang solcher Jnstructionen, seine<lb/>
Berathung mit dem Grafen Cobenzl, seinen Entschluß der Kaiserin nichts<lb/>
von solchen Absichten des französischen Ministeriums mitzutheilen, und deutet<lb/>
an, daß er auch mit den russischen Staatsmännern nicht weiter darüber ver¬<lb/>
handelt habe, da der Inhalt der Depesche etwa durch die vertrauliche Mit¬<lb/>
theilung an Cobenzl den russischen Ministern genügend bekannt geworden<lb/>
sein mochte**). Die Art, wie Se'gur von dieser Angelegenheit spricht, zeigt<lb/>
offenbar, daß er von den Auszügen, welche Chragomitzki aus den französischen<lb/>
Depeschen zu machen pflegte, keine Ahnung hatte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_53" next="#ID_54"> Ebenfalls mit Se'gur geschah Folgendes. In Bezug auf die Ereignisse<lb/>
der französischen Revolution war er während seines Aufenthaltes in Ru߬<lb/>
land (bis Ende 1789) entschieden liberal. Er billigte die Handlungsweise<lb/>
des Königs Ludwigs XVI., die Reformen, die Berufung der Reichsstände.<lb/>
In Rußland war man nicht geneigt, so zu urtheilen. Se'gur mußte vom<lb/>
Fürsten Potemkin einige spitze Bemerkungen über die Ereignisse in Frankreich<lb/>
hören, worauf er mit der ihm eigenen Geistesgegenwart ebenfalls spitz ent-<lb/>
gegnete. Katharina hatte bei Empfang der Nachricht vom Bastillesturm die<lb/>
Bemerkung gemacht &#x201E;Is xvurguoi est 1s rin"***). In ganz anderem Tone<lb/>
schrieb Se'gur an Lafayette über dasselbe Ereigniß, doch wohl ohne zu ahnen,<lb/>
daß sein Brief bet Hofe gelesen werden würde. Chragomitzki schreibt am</p><lb/>
          <note xml:id="FID_10" place="foot"> -) Chragomitzki 14. Januar 1789.</note><lb/>
          <note xml:id="FID_11" place="foot"> ") LöZur, Nömoires et Souvenirs, III. 446.</note><lb/>
          <note xml:id="FID_12" place="foot"> Chragomitzki 29. Juli 1789. SoZur, Nömoiros et souvemrs III, 452&#x2014;464.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0026] Kaiserin erfreute, mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln während des schwedischen und türkischen Krieges den Abschluß eines Allianzvertrages zwischen Frankreich und Rußland betrieb, während gleichzeitig Montmorin und Lomenie de Brienne nicht gesonnen waren, sich so weit mit Rußland einzulassen. Je offener und inniger die persönlichen Beziehungen des fran¬ zösischen Gesandten zur Kaiserin sonst gewesen waren, desto größer war Ka¬ tharina's Erstaunen, als sie durch Perlustration der aus Frankreich an den Grafen Se'gur eingetroffenen Briefe erfuhr, daß Frankreich Gustaf III. unter¬ stützen und Rußland die Zumuthung machen wolle, dem Königreiche die im Jahre 1772 gemachten Erwerbungen zurückzugeben. Katharina war in leiden¬ schaftlicher Erregung. Sie schrieb an den Rand des Auszuges aus Mont- morin's Briefe: „Noch nie bin ich auf Depeschen gestoßen, welche Frankreichs Feindseligkeit gegen Rußland offener dargelegt hätten, als diese; hier wird offenbar, daß Frankreich Rußland verkleinern, schwächen, um alle Erfolge bringen will. Der unversöhnliche Feind Rußland's!"*). Wir wissen aus Segur's Memoiren, daß er von der Kenntnißnahme jener inhaltschweren Nachrichten durch die Kaiserin nicht unterrichtet war. Er schildert uns seine Bestürzung bei Empfang solcher Jnstructionen, seine Berathung mit dem Grafen Cobenzl, seinen Entschluß der Kaiserin nichts von solchen Absichten des französischen Ministeriums mitzutheilen, und deutet an, daß er auch mit den russischen Staatsmännern nicht weiter darüber ver¬ handelt habe, da der Inhalt der Depesche etwa durch die vertrauliche Mit¬ theilung an Cobenzl den russischen Ministern genügend bekannt geworden sein mochte**). Die Art, wie Se'gur von dieser Angelegenheit spricht, zeigt offenbar, daß er von den Auszügen, welche Chragomitzki aus den französischen Depeschen zu machen pflegte, keine Ahnung hatte. Ebenfalls mit Se'gur geschah Folgendes. In Bezug auf die Ereignisse der französischen Revolution war er während seines Aufenthaltes in Ru߬ land (bis Ende 1789) entschieden liberal. Er billigte die Handlungsweise des Königs Ludwigs XVI., die Reformen, die Berufung der Reichsstände. In Rußland war man nicht geneigt, so zu urtheilen. Se'gur mußte vom Fürsten Potemkin einige spitze Bemerkungen über die Ereignisse in Frankreich hören, worauf er mit der ihm eigenen Geistesgegenwart ebenfalls spitz ent- gegnete. Katharina hatte bei Empfang der Nachricht vom Bastillesturm die Bemerkung gemacht „Is xvurguoi est 1s rin"***). In ganz anderem Tone schrieb Se'gur an Lafayette über dasselbe Ereigniß, doch wohl ohne zu ahnen, daß sein Brief bet Hofe gelesen werden würde. Chragomitzki schreibt am -) Chragomitzki 14. Januar 1789. ") LöZur, Nömoires et Souvenirs, III. 446. Chragomitzki 29. Juli 1789. SoZur, Nömoiros et souvemrs III, 452—464.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/26
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/26>, abgerufen am 16.06.2024.