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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Folgender Fall zeigt, daß die ausländischen Regierungen aber auch bisweilen
auf ihrer Hut waren. Es waren in den ersten Monaten des Jahres 1789 wich¬
tige Depeschen des Fürsten Kaunitz und des Königs von Preußen an deren
Gesandte eingetroffen. Man perlustrirte sie, aber ohne Erfolg. Es waren
viele Chiffern darin. Chragomitzki bemerkte, als Katharina über diesen Um¬
stand klagte, "man werde es ja erfahren, sobald die Gesandten ihre Noten
übergeben würden." -- "Freilich", sagte die Kaiserin.

Fast scheint es, als beabsichtigte man bei dieser Gelegenheit durch Ver-
gleichung des Inhalts der Noten, deren Ueberreichung man entgegen sah,
mit den chiffrirten Depeschen, die man der Perlustration unterworfen hatte,
den Schlüssel zu den Chiffern zu finden.

Es ist nicht ohne Interesse, in das Innere des Uhrwerks bei den Cabi-
netsgeschäften einen solchen Blick zu thun. Nicht oft bieten sich so günstige
Materialien dazu, wie das Tagebuch des Secretärs der zweiten Katharina.


A. Bruckner.


Die Achin" des höheren Unterrichts in Frankreich.

Von den durch die Krisis im Juli dieses Jahres beseitigten Ministern ist
ohne Zweifel Victor Duruy der einzige, der im liberalen Lager entschiedene und
warme Anhänger zählte. Den Dank aller Freiheitsfreunde hat er in der That
verdient. Duruy besaß viele der für einen Unterrichtsminister nothwendigen
Eigenschaften: er war lange Zeit selbst praktischer Schulmann gewesen, er
war mit dem verschlungenen Getriebe der Verwaltung wohl bekannt, er be¬
saß die unentbehrliche Energie, um den Anfeindungen aller Parteien zum
Trotz seinen einmal gefaßten Willen auszuführen; auch daß er kein großer
Gelehrter, kein im idealen Reiche der reinen Wissenschaft wohnender Forscher
ist, gereichte seiner Amtsthätigkeit zum Vortheile. Wir wissen ja durch
Erfahrung -- es genüge den gefeierten Namen Bethmann-Hollweg's auszu¬
sprechen -- wie wenig solche Naturen zu der allen Stürmen des Lebens aus¬
gesetzten Stellung eines Ministers geeignet sind. Was Duruy fehlte, das
war die ruhige Stetigkeit und Gleichmäßigkeit in seinen Reformen; alle seine
Maßregeln haben etwas tumultuarisches, fast provocirendes an sich und wenn
seine Feinde ihn einen Revolutionär schalten, so lag etwas richtiges in diesem
Vorwurfe. Seine hastigen Unternehmungen haben den Schein von Experi¬
menten, denen zugemuthet wird, daß ihr Erfolg in kürzester Zeit vor Augen


Folgender Fall zeigt, daß die ausländischen Regierungen aber auch bisweilen
auf ihrer Hut waren. Es waren in den ersten Monaten des Jahres 1789 wich¬
tige Depeschen des Fürsten Kaunitz und des Königs von Preußen an deren
Gesandte eingetroffen. Man perlustrirte sie, aber ohne Erfolg. Es waren
viele Chiffern darin. Chragomitzki bemerkte, als Katharina über diesen Um¬
stand klagte, „man werde es ja erfahren, sobald die Gesandten ihre Noten
übergeben würden." — „Freilich", sagte die Kaiserin.

Fast scheint es, als beabsichtigte man bei dieser Gelegenheit durch Ver-
gleichung des Inhalts der Noten, deren Ueberreichung man entgegen sah,
mit den chiffrirten Depeschen, die man der Perlustration unterworfen hatte,
den Schlüssel zu den Chiffern zu finden.

Es ist nicht ohne Interesse, in das Innere des Uhrwerks bei den Cabi-
netsgeschäften einen solchen Blick zu thun. Nicht oft bieten sich so günstige
Materialien dazu, wie das Tagebuch des Secretärs der zweiten Katharina.


A. Bruckner.


Die Achin» des höheren Unterrichts in Frankreich.

Von den durch die Krisis im Juli dieses Jahres beseitigten Ministern ist
ohne Zweifel Victor Duruy der einzige, der im liberalen Lager entschiedene und
warme Anhänger zählte. Den Dank aller Freiheitsfreunde hat er in der That
verdient. Duruy besaß viele der für einen Unterrichtsminister nothwendigen
Eigenschaften: er war lange Zeit selbst praktischer Schulmann gewesen, er
war mit dem verschlungenen Getriebe der Verwaltung wohl bekannt, er be¬
saß die unentbehrliche Energie, um den Anfeindungen aller Parteien zum
Trotz seinen einmal gefaßten Willen auszuführen; auch daß er kein großer
Gelehrter, kein im idealen Reiche der reinen Wissenschaft wohnender Forscher
ist, gereichte seiner Amtsthätigkeit zum Vortheile. Wir wissen ja durch
Erfahrung — es genüge den gefeierten Namen Bethmann-Hollweg's auszu¬
sprechen — wie wenig solche Naturen zu der allen Stürmen des Lebens aus¬
gesetzten Stellung eines Ministers geeignet sind. Was Duruy fehlte, das
war die ruhige Stetigkeit und Gleichmäßigkeit in seinen Reformen; alle seine
Maßregeln haben etwas tumultuarisches, fast provocirendes an sich und wenn
seine Feinde ihn einen Revolutionär schalten, so lag etwas richtiges in diesem
Vorwurfe. Seine hastigen Unternehmungen haben den Schein von Experi¬
menten, denen zugemuthet wird, daß ihr Erfolg in kürzester Zeit vor Augen


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[0028] Folgender Fall zeigt, daß die ausländischen Regierungen aber auch bisweilen auf ihrer Hut waren. Es waren in den ersten Monaten des Jahres 1789 wich¬ tige Depeschen des Fürsten Kaunitz und des Königs von Preußen an deren Gesandte eingetroffen. Man perlustrirte sie, aber ohne Erfolg. Es waren viele Chiffern darin. Chragomitzki bemerkte, als Katharina über diesen Um¬ stand klagte, „man werde es ja erfahren, sobald die Gesandten ihre Noten übergeben würden." — „Freilich", sagte die Kaiserin. Fast scheint es, als beabsichtigte man bei dieser Gelegenheit durch Ver- gleichung des Inhalts der Noten, deren Ueberreichung man entgegen sah, mit den chiffrirten Depeschen, die man der Perlustration unterworfen hatte, den Schlüssel zu den Chiffern zu finden. Es ist nicht ohne Interesse, in das Innere des Uhrwerks bei den Cabi- netsgeschäften einen solchen Blick zu thun. Nicht oft bieten sich so günstige Materialien dazu, wie das Tagebuch des Secretärs der zweiten Katharina. A. Bruckner. Die Achin» des höheren Unterrichts in Frankreich. Von den durch die Krisis im Juli dieses Jahres beseitigten Ministern ist ohne Zweifel Victor Duruy der einzige, der im liberalen Lager entschiedene und warme Anhänger zählte. Den Dank aller Freiheitsfreunde hat er in der That verdient. Duruy besaß viele der für einen Unterrichtsminister nothwendigen Eigenschaften: er war lange Zeit selbst praktischer Schulmann gewesen, er war mit dem verschlungenen Getriebe der Verwaltung wohl bekannt, er be¬ saß die unentbehrliche Energie, um den Anfeindungen aller Parteien zum Trotz seinen einmal gefaßten Willen auszuführen; auch daß er kein großer Gelehrter, kein im idealen Reiche der reinen Wissenschaft wohnender Forscher ist, gereichte seiner Amtsthätigkeit zum Vortheile. Wir wissen ja durch Erfahrung — es genüge den gefeierten Namen Bethmann-Hollweg's auszu¬ sprechen — wie wenig solche Naturen zu der allen Stürmen des Lebens aus¬ gesetzten Stellung eines Ministers geeignet sind. Was Duruy fehlte, das war die ruhige Stetigkeit und Gleichmäßigkeit in seinen Reformen; alle seine Maßregeln haben etwas tumultuarisches, fast provocirendes an sich und wenn seine Feinde ihn einen Revolutionär schalten, so lag etwas richtiges in diesem Vorwurfe. Seine hastigen Unternehmungen haben den Schein von Experi¬ menten, denen zugemuthet wird, daß ihr Erfolg in kürzester Zeit vor Augen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/28>, abgerufen am 16.06.2024.