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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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?vues et enaussöes sind geschlossene Fachschulen. Wenn wir noch die Levle
ach Lsaux-^res und das tüonservatoirö clef ^.res et Mtisrs hinzufügen,
so haben wir alles aufgeführt, was Frankreich an höheren Lehranstalten für
Wissenschaft, Kunst und Industrie besitzt.

Die Art und Weise der französischen Vorlesungen ist auch in Deutsch¬
land ziemlich allgemein bekannt, man weiß wie durchaus unwissenschaftlich
sie sind, die Fachschule erzieht einen Fachmann der sein Handwerk gut ver¬
stehen soll, sie bilden denn auch gewandte Advocaten, tüchtige Aerzte, wohl
auch gute Lehrer. Die nicht fachmäßigen, von einem großentheils fast täg¬
lich wechselnden Publicum besuchten, Vorträge dagegen sind vielleicht noch
weniger wissenschaftlich. In eleganter Darlegung werden dem Zuhörer einige
Thatsachen -- ob neue oder allbekannte, ist einerlei -- erzählt; daran knüpfen
sich mehr oder weniger geistreiche und originelle Betrachtungen -- und die
größte Rolle dabei spielt stets die Person des Vortragenden. Wir haben gegen
diese Vorlesungen an sich nichts wesentliches einzuwenden, denn für das große
Publicum, an welches sie sich richten, haben sie etwas anregendes und an¬
ziehendes. Nur ist es schlecht um eine studirende Jugend bestellt, wenn ihr
nichts besseres und gründlicheres geboten wird, wenn sie sich nirgends einer
methodischen Leitung anvertrauen kann, wenn sie auf solche halbpopuläre
Vorträge als auf ihre einzigen Muster angewiesen sein soll. So schlimm war
in der That das Verhältniß noch vor kurzem, denn die wenigen ernsthaften
und wirklich wissenschaftlichen Vorlesungen, wie deren einige z. B. am Volksth
Ac Kranes gehalten wurden, waren der großen Zahl der anderen gegenüber
in so verschwindender Minorität, daß sie kaum gerechnet werden können.

Den Uebelstand empfand in Frankreich Niemand besser als Duruy. "Es
wäre unnöthig uns zu verbergen", sagt er in seinem Berichte an den Kaiser,
"daß hinsichtlich der historischen und literarischen Bildung unser höherer
Unterricht mehr verspricht als er leistet; nicht durch die Schuld der Lehrer,
sondern durch die Schuld der auf unseren Anstalten üblichen Gewohnheiten.
Die Lehrer wenden sich an ein Publicum das jede Stunde wechseln kann, dessen
Zweck ist, ein gewandtes und beredtes Wort zu hören und das also durch
die Trockenheit rein lehrhafter Uebungen leicht zurückgeschreckt werden kann.
Sie müssen also jedem ihrer einzelnen Vorträge eine kunstgerechte, sorgfältig
studirte, für sich abgeschlossene Form geben." Diese Art von Vorlesungen
will der reformirende Minister zwar nicht abschaffen, aber, so fährt er weiter
fort: "Wir müssen unseren Facultäten die Mittel geben nicht nur zahlreiche
Zuhörer anzulocken, sondern auch wirkliche Schüler zu bilden und zu er¬
zielen. Der für diese letzteren bestimmte Unterricht wird einen anderen Cha¬
rakter annehmen müssen, denn der Schüler verlangt nicht, wie der einmalige
Zuhörer, nach einem ergreifenden oder hinreißenden Eindruck, er verlangt


?vues et enaussöes sind geschlossene Fachschulen. Wenn wir noch die Levle
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so haben wir alles aufgeführt, was Frankreich an höheren Lehranstalten für
Wissenschaft, Kunst und Industrie besitzt.

Die Art und Weise der französischen Vorlesungen ist auch in Deutsch¬
land ziemlich allgemein bekannt, man weiß wie durchaus unwissenschaftlich
sie sind, die Fachschule erzieht einen Fachmann der sein Handwerk gut ver¬
stehen soll, sie bilden denn auch gewandte Advocaten, tüchtige Aerzte, wohl
auch gute Lehrer. Die nicht fachmäßigen, von einem großentheils fast täg¬
lich wechselnden Publicum besuchten, Vorträge dagegen sind vielleicht noch
weniger wissenschaftlich. In eleganter Darlegung werden dem Zuhörer einige
Thatsachen — ob neue oder allbekannte, ist einerlei — erzählt; daran knüpfen
sich mehr oder weniger geistreiche und originelle Betrachtungen — und die
größte Rolle dabei spielt stets die Person des Vortragenden. Wir haben gegen
diese Vorlesungen an sich nichts wesentliches einzuwenden, denn für das große
Publicum, an welches sie sich richten, haben sie etwas anregendes und an¬
ziehendes. Nur ist es schlecht um eine studirende Jugend bestellt, wenn ihr
nichts besseres und gründlicheres geboten wird, wenn sie sich nirgends einer
methodischen Leitung anvertrauen kann, wenn sie auf solche halbpopuläre
Vorträge als auf ihre einzigen Muster angewiesen sein soll. So schlimm war
in der That das Verhältniß noch vor kurzem, denn die wenigen ernsthaften
und wirklich wissenschaftlichen Vorlesungen, wie deren einige z. B. am Volksth
Ac Kranes gehalten wurden, waren der großen Zahl der anderen gegenüber
in so verschwindender Minorität, daß sie kaum gerechnet werden können.

Den Uebelstand empfand in Frankreich Niemand besser als Duruy. „Es
wäre unnöthig uns zu verbergen", sagt er in seinem Berichte an den Kaiser,
„daß hinsichtlich der historischen und literarischen Bildung unser höherer
Unterricht mehr verspricht als er leistet; nicht durch die Schuld der Lehrer,
sondern durch die Schuld der auf unseren Anstalten üblichen Gewohnheiten.
Die Lehrer wenden sich an ein Publicum das jede Stunde wechseln kann, dessen
Zweck ist, ein gewandtes und beredtes Wort zu hören und das also durch
die Trockenheit rein lehrhafter Uebungen leicht zurückgeschreckt werden kann.
Sie müssen also jedem ihrer einzelnen Vorträge eine kunstgerechte, sorgfältig
studirte, für sich abgeschlossene Form geben." Diese Art von Vorlesungen
will der reformirende Minister zwar nicht abschaffen, aber, so fährt er weiter
fort: „Wir müssen unseren Facultäten die Mittel geben nicht nur zahlreiche
Zuhörer anzulocken, sondern auch wirkliche Schüler zu bilden und zu er¬
zielen. Der für diese letzteren bestimmte Unterricht wird einen anderen Cha¬
rakter annehmen müssen, denn der Schüler verlangt nicht, wie der einmalige
Zuhörer, nach einem ergreifenden oder hinreißenden Eindruck, er verlangt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/30>, abgerufen am 16.06.2024.