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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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sollen; jedes Werk, in welchem deutsche Wissenschaft, dieser heilige Heerd
wahrer Freiheits- und Wahrheitsliebe uns neue Gebiete erschließt, ist ein
Stein zu jenem Wunderbau!

Die Rooke ach Kautes 6wäöL ist ein Complex von Seminarien, in
keiner Abtheilung ist der Schüler bloßer Zuhörer; überall unter der Leitung
es Lehrers, nimmt er selbst Antheil an der Discussion, an der Forschung'
oder an der Erklärung eines Schriftstellers; darauf eben bezieht sich der Name
Lools pratigue. Diese Einrichtung, aus den deutschen Hochschulen allgemein
üblich, war für Frankreich neu; wie zeitgemäß sie aber war, zeigt die leb¬
hafte Theilnahme, deren sich die Schule sofort zu erfreuen hatte. Die Zahl
der Mitglieder der philologisch-historischen Section beläuft sich auf etwa 70.
Ein bedeutender Theil derselben kommt der Classe für vergleichende Sprach¬
wissenschaft zu, wie denn überhaupt diese Disciplin in Frankreich großen An¬
klang findet, freilich vorwiegend durch den Reiz der Neuheit, den sie ausübt.
Es sei nebenbei bemerkt, daß die Kenntniß des Deutschen zur evuäitio sins
pus, no" für die Aufnahme in diese Abtheilung gemacht worden ist.

Ein sehr reges und gute Früchte versprechendes Leben geht gleichfalls
durch die romanischen Studien, um derentwillen sich auch mehrere Deutsche
haben aufnehmen lassen; hier ist auch etwas Nationalbewußtsein -- übrigens
ein wohl berechtigtes -- mit im Spiele: Allen eine anregende zu wetteifern¬
der wissenschaftlicher Thätigkeit. Nur die classische alte Philologie bleibt bei
diesem frischen Aufschwünge ihrer jüngeren Schwestern etwas zurück; gerade
sie hat durch das bisherige System am meisten gelitten; sie war nicht nur in
schwere Bande gethan worden, bis in ihr Innerstes hinein war sie durch
zahllose Verkehrtheiten eben derer geschädigt, die sich ihrer annehmen sollten
und es wird wohl eine geraume Zeit dauern, ehe die Heimath I. I, Scali-
ger's in der classischen Philologie die alte ruhmreiche Stellung wieder ein¬
nehmen wird. Hier öffnen sich nicht täglich neue Fundgruben, höher und
dichter ist der Schutt aufgehäuft, unter dem die Schätze vergraben liegen, die
Aufgabe des Forschers ist eine viel mühsamere, sie erfordert Stetigkeit, Hin¬
gebung, Entsagung mehr noch als in anderen Disciplinen; begreiflich genug,
wenn der Franzose, der sich wohl einer harten, anstrengenden Arbeit unter¬
ziehen mag, aber dafür sofort belohnt werden und genießen will, sich nicht
leicht einer Wissenschaft zuwendet, die nur dem ausdauerndsten sich ergibt.
In diesem Gebiete also muß die Levis ass K. noch manches ändern;
bisher ist das Griechische etwas stiefmütterlich bedacht, ferner der Kunst¬
archäologie nicht die gebührende Stellung eingeräumt worden; die Zeit wird
wohl Hilfe bringen.

Durch einen wesentlichen Vorzug zeichnet sich die neue Anstalt vor allen
andern in Frankreich aus: den Lehrern ist vollkommene Freiheit in der Wahl


sollen; jedes Werk, in welchem deutsche Wissenschaft, dieser heilige Heerd
wahrer Freiheits- und Wahrheitsliebe uns neue Gebiete erschließt, ist ein
Stein zu jenem Wunderbau!

Die Rooke ach Kautes 6wäöL ist ein Complex von Seminarien, in
keiner Abtheilung ist der Schüler bloßer Zuhörer; überall unter der Leitung
es Lehrers, nimmt er selbst Antheil an der Discussion, an der Forschung'
oder an der Erklärung eines Schriftstellers; darauf eben bezieht sich der Name
Lools pratigue. Diese Einrichtung, aus den deutschen Hochschulen allgemein
üblich, war für Frankreich neu; wie zeitgemäß sie aber war, zeigt die leb¬
hafte Theilnahme, deren sich die Schule sofort zu erfreuen hatte. Die Zahl
der Mitglieder der philologisch-historischen Section beläuft sich auf etwa 70.
Ein bedeutender Theil derselben kommt der Classe für vergleichende Sprach¬
wissenschaft zu, wie denn überhaupt diese Disciplin in Frankreich großen An¬
klang findet, freilich vorwiegend durch den Reiz der Neuheit, den sie ausübt.
Es sei nebenbei bemerkt, daß die Kenntniß des Deutschen zur evuäitio sins
pus, no» für die Aufnahme in diese Abtheilung gemacht worden ist.

Ein sehr reges und gute Früchte versprechendes Leben geht gleichfalls
durch die romanischen Studien, um derentwillen sich auch mehrere Deutsche
haben aufnehmen lassen; hier ist auch etwas Nationalbewußtsein — übrigens
ein wohl berechtigtes — mit im Spiele: Allen eine anregende zu wetteifern¬
der wissenschaftlicher Thätigkeit. Nur die classische alte Philologie bleibt bei
diesem frischen Aufschwünge ihrer jüngeren Schwestern etwas zurück; gerade
sie hat durch das bisherige System am meisten gelitten; sie war nicht nur in
schwere Bande gethan worden, bis in ihr Innerstes hinein war sie durch
zahllose Verkehrtheiten eben derer geschädigt, die sich ihrer annehmen sollten
und es wird wohl eine geraume Zeit dauern, ehe die Heimath I. I, Scali-
ger's in der classischen Philologie die alte ruhmreiche Stellung wieder ein¬
nehmen wird. Hier öffnen sich nicht täglich neue Fundgruben, höher und
dichter ist der Schutt aufgehäuft, unter dem die Schätze vergraben liegen, die
Aufgabe des Forschers ist eine viel mühsamere, sie erfordert Stetigkeit, Hin¬
gebung, Entsagung mehr noch als in anderen Disciplinen; begreiflich genug,
wenn der Franzose, der sich wohl einer harten, anstrengenden Arbeit unter¬
ziehen mag, aber dafür sofort belohnt werden und genießen will, sich nicht
leicht einer Wissenschaft zuwendet, die nur dem ausdauerndsten sich ergibt.
In diesem Gebiete also muß die Levis ass K. noch manches ändern;
bisher ist das Griechische etwas stiefmütterlich bedacht, ferner der Kunst¬
archäologie nicht die gebührende Stellung eingeräumt worden; die Zeit wird
wohl Hilfe bringen.

Durch einen wesentlichen Vorzug zeichnet sich die neue Anstalt vor allen
andern in Frankreich aus: den Lehrern ist vollkommene Freiheit in der Wahl


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/32>, abgerufen am 16.06.2024.