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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Chausseen, bestimmt ist. Dieser Landesfonds, der an die preußischen Provin-
cialfonds erinnern soll, hat auch die Chausseebauschuld im Betrage von
ca. 10.000 Thlr. zu übernehmen, an Activis" aber von den Steuererträgen des
Fürstenthums jährlich 9200 Thaler und außerdem einen einmaligen Beitrag
von 10,000 Thaler zum Bau eines allgemeinen Krankenhauses zu erhalten.
Weitere Bedürfnisse desselben sind durch Beiträge des Landes zu decken, und
soll, wenn die Vertretung sich nicht rechtzeitig über den "Aufbringungsfuß"
einigt, dieser "Fuß" von der Landesregierung festgestellt werden, die zu den
Armenlasten sür das Domanium ein Viertel beizutragen verheißt.

^ Berufen wird die Vertretung alljährlich im Februar durch die Landvog-
tei zu Schönberg, d. h. die dortige, unmittelbar unter die Landesregierung zu
Neustrelitz ressortirende landesherrliche Centralbehörde des Fürstenthums, deren
Vorsitzender -- zur Zeit der Graf von Epheu -- zugleich Vorsitzender der
Landtagsversammlung sein soll. Wie der Vertretung also das Recht abge¬
sprochen ist, selbst ihren Präsidenten zu wählen, so darf sie sich natürlich auch
nicht ohne landesherrliche Genehmigung versammeln. Die auf 6 Jahre ge¬
wählten Abgeordneten, von denen alle 2 Jahre ein Drittel durch Neuwahlen
ersetzt wird, erhalten keine Diäten, und von Redefreiheit ist in der Verfassung
nichts gesagt; doch soll es der Vertretung gestattet sein, gemeinnützige An¬
träge auf Förderung der Landwirthschaft, des Handels und der Gewerbe
durch ihren Vorsitzenden an die Regierung zu richten.

Aber damit ist es nicht genug: das einzige Recht der Landesvertretung,
das Steuerbewilligungsrecht, unterliegt manchen Einschränkungen. Zunächst
ist nur von einer ständischen Mitwirkung bei Veränderung der bestehenden
Abgaben die Rede: die Abgaben werden also, gleichsam wie ein Pauschquantum
nach mecklenburgischem Muster, ohne Weiteres forterhoben. Daneben heißt
es aber in der Verfassung, daß neue Steuern, die durch die Bundesgewalt
eingeführt werden möchten, von der Zustimmung der Vertretung unab¬
hängig sind. So selbstverständlich diese Clausel ist, so bedenklich erscheint
die fernere Bestimmung, daß die Zustimmung der Vertretung nicht erforder¬
lich sein soll für die durch die Gesetzgebung des gesammten Großherzog-
thums Mecklenburg-Strelitz etwa eingeführten neuen Steuern: da der
mecklenburgische Landtag nur über das Gebiet der drei mecklenburgischen
Kreise, also für Mecklenburg-Strelitz nur über den stargardischen Kreis, nicht
aber über das Fürstenthum Ratzeburg neue Steuern verhängen kann, ist eine
Steuergesetzgebung sür das gesammte Großherzogthum nur denkbar als eine
aus absoluter landesherrlicher Machtvollkommenheit originirende, die freilich
im stargardischen Kreise auf den Widerspruch der Landstände stoßen würde,
der aber die Ratzeburger Vertretung wegen obiger, sonst unverständlicher


Chausseen, bestimmt ist. Dieser Landesfonds, der an die preußischen Provin-
cialfonds erinnern soll, hat auch die Chausseebauschuld im Betrage von
ca. 10.000 Thlr. zu übernehmen, an Activis" aber von den Steuererträgen des
Fürstenthums jährlich 9200 Thaler und außerdem einen einmaligen Beitrag
von 10,000 Thaler zum Bau eines allgemeinen Krankenhauses zu erhalten.
Weitere Bedürfnisse desselben sind durch Beiträge des Landes zu decken, und
soll, wenn die Vertretung sich nicht rechtzeitig über den „Aufbringungsfuß"
einigt, dieser „Fuß" von der Landesregierung festgestellt werden, die zu den
Armenlasten sür das Domanium ein Viertel beizutragen verheißt.

^ Berufen wird die Vertretung alljährlich im Februar durch die Landvog-
tei zu Schönberg, d. h. die dortige, unmittelbar unter die Landesregierung zu
Neustrelitz ressortirende landesherrliche Centralbehörde des Fürstenthums, deren
Vorsitzender — zur Zeit der Graf von Epheu — zugleich Vorsitzender der
Landtagsversammlung sein soll. Wie der Vertretung also das Recht abge¬
sprochen ist, selbst ihren Präsidenten zu wählen, so darf sie sich natürlich auch
nicht ohne landesherrliche Genehmigung versammeln. Die auf 6 Jahre ge¬
wählten Abgeordneten, von denen alle 2 Jahre ein Drittel durch Neuwahlen
ersetzt wird, erhalten keine Diäten, und von Redefreiheit ist in der Verfassung
nichts gesagt; doch soll es der Vertretung gestattet sein, gemeinnützige An¬
träge auf Förderung der Landwirthschaft, des Handels und der Gewerbe
durch ihren Vorsitzenden an die Regierung zu richten.

Aber damit ist es nicht genug: das einzige Recht der Landesvertretung,
das Steuerbewilligungsrecht, unterliegt manchen Einschränkungen. Zunächst
ist nur von einer ständischen Mitwirkung bei Veränderung der bestehenden
Abgaben die Rede: die Abgaben werden also, gleichsam wie ein Pauschquantum
nach mecklenburgischem Muster, ohne Weiteres forterhoben. Daneben heißt
es aber in der Verfassung, daß neue Steuern, die durch die Bundesgewalt
eingeführt werden möchten, von der Zustimmung der Vertretung unab¬
hängig sind. So selbstverständlich diese Clausel ist, so bedenklich erscheint
die fernere Bestimmung, daß die Zustimmung der Vertretung nicht erforder¬
lich sein soll für die durch die Gesetzgebung des gesammten Großherzog-
thums Mecklenburg-Strelitz etwa eingeführten neuen Steuern: da der
mecklenburgische Landtag nur über das Gebiet der drei mecklenburgischen
Kreise, also für Mecklenburg-Strelitz nur über den stargardischen Kreis, nicht
aber über das Fürstenthum Ratzeburg neue Steuern verhängen kann, ist eine
Steuergesetzgebung sür das gesammte Großherzogthum nur denkbar als eine
aus absoluter landesherrlicher Machtvollkommenheit originirende, die freilich
im stargardischen Kreise auf den Widerspruch der Landstände stoßen würde,
der aber die Ratzeburger Vertretung wegen obiger, sonst unverständlicher


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[0038] Chausseen, bestimmt ist. Dieser Landesfonds, der an die preußischen Provin- cialfonds erinnern soll, hat auch die Chausseebauschuld im Betrage von ca. 10.000 Thlr. zu übernehmen, an Activis" aber von den Steuererträgen des Fürstenthums jährlich 9200 Thaler und außerdem einen einmaligen Beitrag von 10,000 Thaler zum Bau eines allgemeinen Krankenhauses zu erhalten. Weitere Bedürfnisse desselben sind durch Beiträge des Landes zu decken, und soll, wenn die Vertretung sich nicht rechtzeitig über den „Aufbringungsfuß" einigt, dieser „Fuß" von der Landesregierung festgestellt werden, die zu den Armenlasten sür das Domanium ein Viertel beizutragen verheißt. ^ Berufen wird die Vertretung alljährlich im Februar durch die Landvog- tei zu Schönberg, d. h. die dortige, unmittelbar unter die Landesregierung zu Neustrelitz ressortirende landesherrliche Centralbehörde des Fürstenthums, deren Vorsitzender — zur Zeit der Graf von Epheu — zugleich Vorsitzender der Landtagsversammlung sein soll. Wie der Vertretung also das Recht abge¬ sprochen ist, selbst ihren Präsidenten zu wählen, so darf sie sich natürlich auch nicht ohne landesherrliche Genehmigung versammeln. Die auf 6 Jahre ge¬ wählten Abgeordneten, von denen alle 2 Jahre ein Drittel durch Neuwahlen ersetzt wird, erhalten keine Diäten, und von Redefreiheit ist in der Verfassung nichts gesagt; doch soll es der Vertretung gestattet sein, gemeinnützige An¬ träge auf Förderung der Landwirthschaft, des Handels und der Gewerbe durch ihren Vorsitzenden an die Regierung zu richten. Aber damit ist es nicht genug: das einzige Recht der Landesvertretung, das Steuerbewilligungsrecht, unterliegt manchen Einschränkungen. Zunächst ist nur von einer ständischen Mitwirkung bei Veränderung der bestehenden Abgaben die Rede: die Abgaben werden also, gleichsam wie ein Pauschquantum nach mecklenburgischem Muster, ohne Weiteres forterhoben. Daneben heißt es aber in der Verfassung, daß neue Steuern, die durch die Bundesgewalt eingeführt werden möchten, von der Zustimmung der Vertretung unab¬ hängig sind. So selbstverständlich diese Clausel ist, so bedenklich erscheint die fernere Bestimmung, daß die Zustimmung der Vertretung nicht erforder¬ lich sein soll für die durch die Gesetzgebung des gesammten Großherzog- thums Mecklenburg-Strelitz etwa eingeführten neuen Steuern: da der mecklenburgische Landtag nur über das Gebiet der drei mecklenburgischen Kreise, also für Mecklenburg-Strelitz nur über den stargardischen Kreis, nicht aber über das Fürstenthum Ratzeburg neue Steuern verhängen kann, ist eine Steuergesetzgebung sür das gesammte Großherzogthum nur denkbar als eine aus absoluter landesherrlicher Machtvollkommenheit originirende, die freilich im stargardischen Kreise auf den Widerspruch der Landstände stoßen würde, der aber die Ratzeburger Vertretung wegen obiger, sonst unverständlicher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/38>, abgerufen am 16.06.2024.