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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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haben und denen er mit einer Treue gedient hat, die ihm erst nach seinem Tode
gedankt worden ist. -- Die elegante und anziehende Gestalt, in welche der Verf. diese
Resultate langjähriger wissenschaftlicher Arbeit gekleidet hat, liefert einen neuen
Beleg für die ungeheuren Fortschritte, welche die deutsche Geschichtsschreibung in
formaler Beziehung seit den letzten Jahrzehnten gemacht hat.




Welche Wege führen nach Rom? Geschichtliche Beleuchtung der römischen Illu¬
sionen über die Resultate der Propaganda von Friedrich Nippold (Heidel¬
berg Fr. Bassermann 1869) 456 S.

Friedrich Nippold, der sich bereits durch seine Kirchengeschichte der neusten Zeit
(Elberfeld bei Friedrichs) und durch die Herausgabe des großen Werks über Bunsen
(2 Bände, Leipzig bei F. A. Brockhaus) als geistreicher kirchlicher Geschichtsschreiber
und muthiger Vorkämpfer gegen den Ultramontanismus hervorgethan hat, entwirft
in dem vorliegenden Buch ein eingehendes Bild der propagandistischen Thätigkeit,
welche Rom seit dem Beginne des Restaurations-Zeitalters aufgenommen und in angeb¬
lich so erfolgreicher Weise fortgeführt hat. Den rothen Faden, der sich durch das ge-
sammte Werk zieht, bildet der Nachweis, daß die zahlreichen Konversionen, welche
zu Folge der großen Reaction gegen die Humanitätsreligion des 18. Jahrhunderts
möglich geworden sind, in weitaus den meisten Fällen nicht auf religiöse Motive
zurückzuführen sind, daß es im Wesentlichen die von der Curie verfolgte Politisch¬
reactionäre Tendenz war, die eine lange Reihe innerlich haltloser, autoritärsbedürf-
tiger Männer und Frauen in den Schooß der alleinseligmachenden Kirche zurück¬
führte. Der Eingang charakterisirt die beiden scharf von einander geschiedenen Hälften
des 18. Jahrhunderts, deren erste ebenso fruchtbar an Conversionen, wie die zweite
steril war. Dann geht der Verf. zu der neuen kirchengeschichtlichen Periode über,
welche mit dem Wiener Kongreß beginnt und dem modernen Ultramontanismus,
der Religion der Fanatiker aus Reflexion ihr entscheidendes Merkmal aufgeprägt
hat. Der ungeheure Umschwung, der sich seit dem Versuch zur Wiederaufrichtung
der alt"in europäischen Staatsordnung auf religiösem Gebiet vollzogen hat, spiegelt
sich mit merkwürdiger Deutlichkeit in den Conversionen wieder', die nicht mehr, wie
im 17. und 18. Jahrhundert Resultate theologischer Studien ,und Scrupel sind,
sondern einer veränderten, dem modernen Leben tendenziös abgewandten Weltan¬
schauung entspringen. Das wird schon durch die Categorien bezeichnet, unter welche
Nippold die modernen Convertirten mit vielem Scharfsinn zu bringen weiß: "Mit
der Gegenwart zerfallene Geburtsaristokraten (politische Romantiker), denen die "staats¬
rechtlichen Romantiker" der Schule, Adam Müller's, v. Hallen's, Jarckes u. s. w.


haben und denen er mit einer Treue gedient hat, die ihm erst nach seinem Tode
gedankt worden ist. — Die elegante und anziehende Gestalt, in welche der Verf. diese
Resultate langjähriger wissenschaftlicher Arbeit gekleidet hat, liefert einen neuen
Beleg für die ungeheuren Fortschritte, welche die deutsche Geschichtsschreibung in
formaler Beziehung seit den letzten Jahrzehnten gemacht hat.




Welche Wege führen nach Rom? Geschichtliche Beleuchtung der römischen Illu¬
sionen über die Resultate der Propaganda von Friedrich Nippold (Heidel¬
berg Fr. Bassermann 1869) 456 S.

Friedrich Nippold, der sich bereits durch seine Kirchengeschichte der neusten Zeit
(Elberfeld bei Friedrichs) und durch die Herausgabe des großen Werks über Bunsen
(2 Bände, Leipzig bei F. A. Brockhaus) als geistreicher kirchlicher Geschichtsschreiber
und muthiger Vorkämpfer gegen den Ultramontanismus hervorgethan hat, entwirft
in dem vorliegenden Buch ein eingehendes Bild der propagandistischen Thätigkeit,
welche Rom seit dem Beginne des Restaurations-Zeitalters aufgenommen und in angeb¬
lich so erfolgreicher Weise fortgeführt hat. Den rothen Faden, der sich durch das ge-
sammte Werk zieht, bildet der Nachweis, daß die zahlreichen Konversionen, welche
zu Folge der großen Reaction gegen die Humanitätsreligion des 18. Jahrhunderts
möglich geworden sind, in weitaus den meisten Fällen nicht auf religiöse Motive
zurückzuführen sind, daß es im Wesentlichen die von der Curie verfolgte Politisch¬
reactionäre Tendenz war, die eine lange Reihe innerlich haltloser, autoritärsbedürf-
tiger Männer und Frauen in den Schooß der alleinseligmachenden Kirche zurück¬
führte. Der Eingang charakterisirt die beiden scharf von einander geschiedenen Hälften
des 18. Jahrhunderts, deren erste ebenso fruchtbar an Conversionen, wie die zweite
steril war. Dann geht der Verf. zu der neuen kirchengeschichtlichen Periode über,
welche mit dem Wiener Kongreß beginnt und dem modernen Ultramontanismus,
der Religion der Fanatiker aus Reflexion ihr entscheidendes Merkmal aufgeprägt
hat. Der ungeheure Umschwung, der sich seit dem Versuch zur Wiederaufrichtung
der alt«in europäischen Staatsordnung auf religiösem Gebiet vollzogen hat, spiegelt
sich mit merkwürdiger Deutlichkeit in den Conversionen wieder', die nicht mehr, wie
im 17. und 18. Jahrhundert Resultate theologischer Studien ,und Scrupel sind,
sondern einer veränderten, dem modernen Leben tendenziös abgewandten Weltan¬
schauung entspringen. Das wird schon durch die Categorien bezeichnet, unter welche
Nippold die modernen Convertirten mit vielem Scharfsinn zu bringen weiß: „Mit
der Gegenwart zerfallene Geburtsaristokraten (politische Romantiker), denen die „staats¬
rechtlichen Romantiker" der Schule, Adam Müller's, v. Hallen's, Jarckes u. s. w.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/42>, abgerufen am 16.06.2024.