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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Ein Gesuch in Kopenhagen.

Von Kiel geht jede Nacht nach Ankunft des letzten Hamburger Zuges
das Dampfboot nach Korsör an der Südwestküste von Seeland und ver¬
mittelt den Hauptpostverkehr des westlichen Deutschlands mit dem skandi¬
navischen Norden. Will man mit dem ersten Frühzuge weiter nach Kopen¬
hagen, so bleibt zur Musterung jenes kleinen Hafenplatzes, der dem Auge
des Binnenländers genug des Anziehenden darbietet, nur wenig Zeit, um so
weniger, wenn man etwa mit dem Phlegma der schwerfälligen, in plumpen
Holzschuhen einherwandelnden Lastträger in verdrießlichen Conflict geräth.
Quer durch Seeland, durch fruchtbare Ebenen, deren Einförmigkeit durch die
schönen Buchenwälder bet Soröe und den Fjord bei Roeskilde angenehm
unterbrochen wird, führt die Eisenbahn in ungefähr vier Stunden nach der
dänischen Hauptstadt.

Der Anblick Kopenhagens von der Seeseite entspricht nicht völlig den
Erwartungen, welche die rühmenden Schilderungen vieler Touristen erwecken.
Mit der prachtvollen Lage südlicher Seestädte kann die von Kopenhagen nicht
in Vergleich kommen. Die Stadt ist nicht frei an einer weitgeöffneten Bucht
sondern etwas versteckt an einem schmalen Meeresarme gelegen, welcher See¬
land von der kleinen Insel Amager trennt und einen langgestreckten Hafen¬
raum bildet. Das Terraivi Kopenhagens ist völlig flach, sodaß außer ein¬
zelnen Thürmen hinter den Bäumen des Strandes und den Hafenanstalten
von der Stadt nur wenig sichtbar wird. Breit und flach dehnen sich die
Umgebungen, deren einförmiger Horizont von keinem bedeutenden oder an¬
muthigen Höhencontour umschrieben wird. Den meisten landschaftlichen Reiz
bieten auch hier, wie allenthalben auf Seeland, die dichten dunkelgrünen
Buchenwaldungen, von denen die Stadt eng umschlossen wird und welche
bis scire an die Seeufer herantreten, einen Reiz, der in der Gesammtansicht
dieser nordischen Küste mehr poetischer als malerischer Natur ist.

Der Hafen ist in zwei Theile geschieden; Vereine, in welchem ein buntes
geschäftiges Leben herrscht, beherbergt die Handelsschiffe, Fahrzeuge aller Na¬
tionen; in dem stillen Bezirk des anderen liegen die dänischen Kriegsschiffe, abge¬
takelt, unter breiten dunkeln Dächern, in einem schweren lethargischen Schlummer,
aus dem sie wohl nie mehr völlig erwachen werden, Ihr Anblick ist impo¬
sant genug, aber man weiß, die beste Lebenskraft dieser Flotte ist dahin,
schon seit je^Nein verhängnißvollen Gewaltstreich Englands 1807; mit der po¬
litischen Bedeutung des Landes ist auch ihre Bedeutung mehr und mehr ge¬
sunken und sie erinnert jetzt mit dem mythologisch klingenden Namen ihrer
Orlogsschiffe nur noch an eine vergangene Zeit der Größe.

Einen Eindruck ähnlicher Art macht de'r Stadttheil, der an die nördliche


Grenzboten III. 1870. Is
Ein Gesuch in Kopenhagen.

Von Kiel geht jede Nacht nach Ankunft des letzten Hamburger Zuges
das Dampfboot nach Korsör an der Südwestküste von Seeland und ver¬
mittelt den Hauptpostverkehr des westlichen Deutschlands mit dem skandi¬
navischen Norden. Will man mit dem ersten Frühzuge weiter nach Kopen¬
hagen, so bleibt zur Musterung jenes kleinen Hafenplatzes, der dem Auge
des Binnenländers genug des Anziehenden darbietet, nur wenig Zeit, um so
weniger, wenn man etwa mit dem Phlegma der schwerfälligen, in plumpen
Holzschuhen einherwandelnden Lastträger in verdrießlichen Conflict geräth.
Quer durch Seeland, durch fruchtbare Ebenen, deren Einförmigkeit durch die
schönen Buchenwälder bet Soröe und den Fjord bei Roeskilde angenehm
unterbrochen wird, führt die Eisenbahn in ungefähr vier Stunden nach der
dänischen Hauptstadt.

Der Anblick Kopenhagens von der Seeseite entspricht nicht völlig den
Erwartungen, welche die rühmenden Schilderungen vieler Touristen erwecken.
Mit der prachtvollen Lage südlicher Seestädte kann die von Kopenhagen nicht
in Vergleich kommen. Die Stadt ist nicht frei an einer weitgeöffneten Bucht
sondern etwas versteckt an einem schmalen Meeresarme gelegen, welcher See¬
land von der kleinen Insel Amager trennt und einen langgestreckten Hafen¬
raum bildet. Das Terraivi Kopenhagens ist völlig flach, sodaß außer ein¬
zelnen Thürmen hinter den Bäumen des Strandes und den Hafenanstalten
von der Stadt nur wenig sichtbar wird. Breit und flach dehnen sich die
Umgebungen, deren einförmiger Horizont von keinem bedeutenden oder an¬
muthigen Höhencontour umschrieben wird. Den meisten landschaftlichen Reiz
bieten auch hier, wie allenthalben auf Seeland, die dichten dunkelgrünen
Buchenwaldungen, von denen die Stadt eng umschlossen wird und welche
bis scire an die Seeufer herantreten, einen Reiz, der in der Gesammtansicht
dieser nordischen Küste mehr poetischer als malerischer Natur ist.

Der Hafen ist in zwei Theile geschieden; Vereine, in welchem ein buntes
geschäftiges Leben herrscht, beherbergt die Handelsschiffe, Fahrzeuge aller Na¬
tionen; in dem stillen Bezirk des anderen liegen die dänischen Kriegsschiffe, abge¬
takelt, unter breiten dunkeln Dächern, in einem schweren lethargischen Schlummer,
aus dem sie wohl nie mehr völlig erwachen werden, Ihr Anblick ist impo¬
sant genug, aber man weiß, die beste Lebenskraft dieser Flotte ist dahin,
schon seit je^Nein verhängnißvollen Gewaltstreich Englands 1807; mit der po¬
litischen Bedeutung des Landes ist auch ihre Bedeutung mehr und mehr ge¬
sunken und sie erinnert jetzt mit dem mythologisch klingenden Namen ihrer
Orlogsschiffe nur noch an eine vergangene Zeit der Größe.

Einen Eindruck ähnlicher Art macht de'r Stadttheil, der an die nördliche


Grenzboten III. 1870. Is
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[0121] Ein Gesuch in Kopenhagen. Von Kiel geht jede Nacht nach Ankunft des letzten Hamburger Zuges das Dampfboot nach Korsör an der Südwestküste von Seeland und ver¬ mittelt den Hauptpostverkehr des westlichen Deutschlands mit dem skandi¬ navischen Norden. Will man mit dem ersten Frühzuge weiter nach Kopen¬ hagen, so bleibt zur Musterung jenes kleinen Hafenplatzes, der dem Auge des Binnenländers genug des Anziehenden darbietet, nur wenig Zeit, um so weniger, wenn man etwa mit dem Phlegma der schwerfälligen, in plumpen Holzschuhen einherwandelnden Lastträger in verdrießlichen Conflict geräth. Quer durch Seeland, durch fruchtbare Ebenen, deren Einförmigkeit durch die schönen Buchenwälder bet Soröe und den Fjord bei Roeskilde angenehm unterbrochen wird, führt die Eisenbahn in ungefähr vier Stunden nach der dänischen Hauptstadt. Der Anblick Kopenhagens von der Seeseite entspricht nicht völlig den Erwartungen, welche die rühmenden Schilderungen vieler Touristen erwecken. Mit der prachtvollen Lage südlicher Seestädte kann die von Kopenhagen nicht in Vergleich kommen. Die Stadt ist nicht frei an einer weitgeöffneten Bucht sondern etwas versteckt an einem schmalen Meeresarme gelegen, welcher See¬ land von der kleinen Insel Amager trennt und einen langgestreckten Hafen¬ raum bildet. Das Terraivi Kopenhagens ist völlig flach, sodaß außer ein¬ zelnen Thürmen hinter den Bäumen des Strandes und den Hafenanstalten von der Stadt nur wenig sichtbar wird. Breit und flach dehnen sich die Umgebungen, deren einförmiger Horizont von keinem bedeutenden oder an¬ muthigen Höhencontour umschrieben wird. Den meisten landschaftlichen Reiz bieten auch hier, wie allenthalben auf Seeland, die dichten dunkelgrünen Buchenwaldungen, von denen die Stadt eng umschlossen wird und welche bis scire an die Seeufer herantreten, einen Reiz, der in der Gesammtansicht dieser nordischen Küste mehr poetischer als malerischer Natur ist. Der Hafen ist in zwei Theile geschieden; Vereine, in welchem ein buntes geschäftiges Leben herrscht, beherbergt die Handelsschiffe, Fahrzeuge aller Na¬ tionen; in dem stillen Bezirk des anderen liegen die dänischen Kriegsschiffe, abge¬ takelt, unter breiten dunkeln Dächern, in einem schweren lethargischen Schlummer, aus dem sie wohl nie mehr völlig erwachen werden, Ihr Anblick ist impo¬ sant genug, aber man weiß, die beste Lebenskraft dieser Flotte ist dahin, schon seit je^Nein verhängnißvollen Gewaltstreich Englands 1807; mit der po¬ litischen Bedeutung des Landes ist auch ihre Bedeutung mehr und mehr ge¬ sunken und sie erinnert jetzt mit dem mythologisch klingenden Namen ihrer Orlogsschiffe nur noch an eine vergangene Zeit der Größe. Einen Eindruck ähnlicher Art macht de'r Stadttheil, der an die nördliche Grenzboten III. 1870. Is

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/121>, abgerufen am 17.06.2024.