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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Hälfte des Hafens grenzt. Den Plan desselben entwarf ein Deutscher. Markus
Tuscher aus Nürnberg, der Hofbaumeister Friedrichs V. Stattliche Palais
in etwas nüchternem Roeoceostil umgeben den Mittelpunkt dieses Stadt¬
theils, den Amalievplatz, und verleihen den breiten angrenzenden Straßen
ein aristokratisches Ansehn. Aber Platz und Straßen sind öde; zwischen den
Steinen des Pflasters wuchert stellenweise das Gras und das ruinenartige
Aeußere der unvollendet gebliebenen "Marmorkirche" steht zu dem Charakter
dieses Stadttheils nicht in Widerspruch.

Ein ganz anderes Bild tritt uns entgegen, wenn wir von hier über
"Konings Nytorv" (Königs Neumarkt) die Ostergade und Mmmelskaftet ent¬
lang gehn. Diese Straßen sind minder breit, als die jenes aristokratischen
Viertels und durch Nichts in baulicher Hinsicht ausgezeichnet. Aber ein
vielbewegtes Leben entfaltet sich hier, zwar nicht glänzend und prächtig, nicht
mit weltstädtischem Pomp, aber doch reich und mit dem blühenden Ansehn
bürgerlichen Wohlstandes. Die genannten Straßen sind die Boulevards von
Kopenhagen und zugleich die Hauptwege des industriellen Verkehrs; zu bei¬
den Seiten derselben in den unteren, um mehrere Stufen erhöhten Stock¬
werken befinden sich große stattliche Kaufläden. darunter in dem eigentlichen
Erdgeschosse kleinere Kaufgewölbe. Speisewirthschasten, in denen auf reich ge¬
schmückten Schautischen Früchte, Gemüse, Fleisch- und Fischwaaren zierlich
ausgestellt sind, Oel-Hallen (Bierlocale), Austernkeller u. s. w.

In dem geschäftigen Treiben dieser Gegend der Hauptstadt concentrirt
sich ein guter Theil der wichtigsten Interessen des Landes. Unter den gegen¬
wärtigen Verhältnissen, nachdem das Feld des politischen Ehrgeizes für
Dänemark mehr und mehr beschränkt worden ist, sind es die Fragen des
industriellen Lebens, die am meisten in den Vordergrund treten. Auf diesem
Gebiete kann das Land, durch seinen überseeischen Handel kräftig unterstützt,
für die politischen Verluste Ersatz finden, und es darf innerhalb der beschei¬
denen Grenzen seiner jetzigen Existenz, wenn der vielberufene Nationaldünkel
ihm Ruhe läßt, ohne Zweifel einer dauernden Blüthe gewiß sein.

In den meisten inneren Stadttheilen Kopenhagens kann man glauben,
sich in einer mittleren Hauptstadt Deutschlands zu befinden. Um so über¬
raschender und eigenthümlicher erscheinen die Gegenden, die von breiten Ka¬
nälen durchschnitten plötzlich an die Nähe des Meeres erinnern. Diese Par¬
tien, wo sich zwischen den Häusern die hohen Mastbäume ansehnlicher Schiffe
drängen und das breite Geäst ihres Takelwerks weit über die Straßen
hinausstrecken, bieten einen höchst pittoresken Anblick und sind die interessan¬
testen Theile der Stadt. Ein eigenes Viertel von wunderlichem Aussehn
bilden die Matrosenwohnungen in der Nähe des Osterthors, die sogenannten
Nyboder (neue Buden), niedrige, sämmtlich gclbgetünchte einstöckige Häuser,
die alle unter gleich hohem Dach in langen, schnurgeraden Straßen beisam-


Hälfte des Hafens grenzt. Den Plan desselben entwarf ein Deutscher. Markus
Tuscher aus Nürnberg, der Hofbaumeister Friedrichs V. Stattliche Palais
in etwas nüchternem Roeoceostil umgeben den Mittelpunkt dieses Stadt¬
theils, den Amalievplatz, und verleihen den breiten angrenzenden Straßen
ein aristokratisches Ansehn. Aber Platz und Straßen sind öde; zwischen den
Steinen des Pflasters wuchert stellenweise das Gras und das ruinenartige
Aeußere der unvollendet gebliebenen „Marmorkirche" steht zu dem Charakter
dieses Stadttheils nicht in Widerspruch.

Ein ganz anderes Bild tritt uns entgegen, wenn wir von hier über
„Konings Nytorv" (Königs Neumarkt) die Ostergade und Mmmelskaftet ent¬
lang gehn. Diese Straßen sind minder breit, als die jenes aristokratischen
Viertels und durch Nichts in baulicher Hinsicht ausgezeichnet. Aber ein
vielbewegtes Leben entfaltet sich hier, zwar nicht glänzend und prächtig, nicht
mit weltstädtischem Pomp, aber doch reich und mit dem blühenden Ansehn
bürgerlichen Wohlstandes. Die genannten Straßen sind die Boulevards von
Kopenhagen und zugleich die Hauptwege des industriellen Verkehrs; zu bei¬
den Seiten derselben in den unteren, um mehrere Stufen erhöhten Stock¬
werken befinden sich große stattliche Kaufläden. darunter in dem eigentlichen
Erdgeschosse kleinere Kaufgewölbe. Speisewirthschasten, in denen auf reich ge¬
schmückten Schautischen Früchte, Gemüse, Fleisch- und Fischwaaren zierlich
ausgestellt sind, Oel-Hallen (Bierlocale), Austernkeller u. s. w.

In dem geschäftigen Treiben dieser Gegend der Hauptstadt concentrirt
sich ein guter Theil der wichtigsten Interessen des Landes. Unter den gegen¬
wärtigen Verhältnissen, nachdem das Feld des politischen Ehrgeizes für
Dänemark mehr und mehr beschränkt worden ist, sind es die Fragen des
industriellen Lebens, die am meisten in den Vordergrund treten. Auf diesem
Gebiete kann das Land, durch seinen überseeischen Handel kräftig unterstützt,
für die politischen Verluste Ersatz finden, und es darf innerhalb der beschei¬
denen Grenzen seiner jetzigen Existenz, wenn der vielberufene Nationaldünkel
ihm Ruhe läßt, ohne Zweifel einer dauernden Blüthe gewiß sein.

In den meisten inneren Stadttheilen Kopenhagens kann man glauben,
sich in einer mittleren Hauptstadt Deutschlands zu befinden. Um so über¬
raschender und eigenthümlicher erscheinen die Gegenden, die von breiten Ka¬
nälen durchschnitten plötzlich an die Nähe des Meeres erinnern. Diese Par¬
tien, wo sich zwischen den Häusern die hohen Mastbäume ansehnlicher Schiffe
drängen und das breite Geäst ihres Takelwerks weit über die Straßen
hinausstrecken, bieten einen höchst pittoresken Anblick und sind die interessan¬
testen Theile der Stadt. Ein eigenes Viertel von wunderlichem Aussehn
bilden die Matrosenwohnungen in der Nähe des Osterthors, die sogenannten
Nyboder (neue Buden), niedrige, sämmtlich gclbgetünchte einstöckige Häuser,
die alle unter gleich hohem Dach in langen, schnurgeraden Straßen beisam-


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[0122] Hälfte des Hafens grenzt. Den Plan desselben entwarf ein Deutscher. Markus Tuscher aus Nürnberg, der Hofbaumeister Friedrichs V. Stattliche Palais in etwas nüchternem Roeoceostil umgeben den Mittelpunkt dieses Stadt¬ theils, den Amalievplatz, und verleihen den breiten angrenzenden Straßen ein aristokratisches Ansehn. Aber Platz und Straßen sind öde; zwischen den Steinen des Pflasters wuchert stellenweise das Gras und das ruinenartige Aeußere der unvollendet gebliebenen „Marmorkirche" steht zu dem Charakter dieses Stadttheils nicht in Widerspruch. Ein ganz anderes Bild tritt uns entgegen, wenn wir von hier über „Konings Nytorv" (Königs Neumarkt) die Ostergade und Mmmelskaftet ent¬ lang gehn. Diese Straßen sind minder breit, als die jenes aristokratischen Viertels und durch Nichts in baulicher Hinsicht ausgezeichnet. Aber ein vielbewegtes Leben entfaltet sich hier, zwar nicht glänzend und prächtig, nicht mit weltstädtischem Pomp, aber doch reich und mit dem blühenden Ansehn bürgerlichen Wohlstandes. Die genannten Straßen sind die Boulevards von Kopenhagen und zugleich die Hauptwege des industriellen Verkehrs; zu bei¬ den Seiten derselben in den unteren, um mehrere Stufen erhöhten Stock¬ werken befinden sich große stattliche Kaufläden. darunter in dem eigentlichen Erdgeschosse kleinere Kaufgewölbe. Speisewirthschasten, in denen auf reich ge¬ schmückten Schautischen Früchte, Gemüse, Fleisch- und Fischwaaren zierlich ausgestellt sind, Oel-Hallen (Bierlocale), Austernkeller u. s. w. In dem geschäftigen Treiben dieser Gegend der Hauptstadt concentrirt sich ein guter Theil der wichtigsten Interessen des Landes. Unter den gegen¬ wärtigen Verhältnissen, nachdem das Feld des politischen Ehrgeizes für Dänemark mehr und mehr beschränkt worden ist, sind es die Fragen des industriellen Lebens, die am meisten in den Vordergrund treten. Auf diesem Gebiete kann das Land, durch seinen überseeischen Handel kräftig unterstützt, für die politischen Verluste Ersatz finden, und es darf innerhalb der beschei¬ denen Grenzen seiner jetzigen Existenz, wenn der vielberufene Nationaldünkel ihm Ruhe läßt, ohne Zweifel einer dauernden Blüthe gewiß sein. In den meisten inneren Stadttheilen Kopenhagens kann man glauben, sich in einer mittleren Hauptstadt Deutschlands zu befinden. Um so über¬ raschender und eigenthümlicher erscheinen die Gegenden, die von breiten Ka¬ nälen durchschnitten plötzlich an die Nähe des Meeres erinnern. Diese Par¬ tien, wo sich zwischen den Häusern die hohen Mastbäume ansehnlicher Schiffe drängen und das breite Geäst ihres Takelwerks weit über die Straßen hinausstrecken, bieten einen höchst pittoresken Anblick und sind die interessan¬ testen Theile der Stadt. Ein eigenes Viertel von wunderlichem Aussehn bilden die Matrosenwohnungen in der Nähe des Osterthors, die sogenannten Nyboder (neue Buden), niedrige, sämmtlich gclbgetünchte einstöckige Häuser, die alle unter gleich hohem Dach in langen, schnurgeraden Straßen beisam-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/122>, abgerufen am 17.06.2024.