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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Der Sturm ist herauf! Mit unerhörter Schnelle und unwiderstehlich
braust er über das Gefüge der Staaten, durch die Herzen der Menschen.
Zahllose Hoffnungen friedlicher Arbeit flattern in ihm dahin, in alle Seelen
dröhnt die große Mahnung, daß ein ungeheures Etwas dem Leben unserer
Nation bevorstehe, daß wieder eine Zeit gekommen sei, wo Leben und Glück
des Einzelnen geprüft und gewagt wird und unermeßlich klein befunden
wird gegen Leben und Glück seines Staates. Zum zweiten Male in wenig
Jahren wird uns das Schicksal, zu erleben, was sonst nur in größeren Zeit¬
räumen ein Volk aufregt und erhebt: ein Waffenkampf um Leben und Tod,
um die höchsten irdischen Güter, nationale Unabhängigkeit und Ehre.

Und wie hat diese Zeit unser Volk gefunden? Vier Jahre nach einem
inneren Kriege, mitten unter dem Hader der Parteien, zwischen der Sehn¬
sucht nach Altem und dem Mißvergnügen um Neues, über unvollendeten
Bildungen, wie sie bei einer radicalen Umgestaltung der innern Staats¬
verhältnisse unvermeidlich sind? Wie bestehen die Deutschen die erste große
Probe, welche der neue unfertige Bundesstaat ihrem Patriotismus auszulegen
genöthigt wird? Ueberall im Süden und Norden dieselbe Begeisterung, ein-
müthiger Wille, männlicher Entschluß. Weggeblasen ist von den Seelen der
Parteigroll, wetteifernd bethätigen Männer des verschiedensten politischen
Glaubens ihren Zorn gegen die anmaßenden Fremden, ihren Entschluß, ver¬
eint zu stehen für, die Selbständigkeit des Vaterlandes. Die Jugend drängt
sich zu den Fahnen, die Universitäten mußten vor der Zeit ihre Hörsäle
schließen, weil die große Mehrzahl der Studenten sich freiwillig zum Kriegs¬
dienst meldet, die Hansestädte, die ruhmvollen Vertreter des deutschen Ver¬
kehrs vor dem Ausland, sie, die am schwersten von der plötzlichen Minderung
des geschäftlichen Vertrauens betroffen werden, sprechen dem Bundesfeldherrn
feierlich aus, daß auch sie das eigene Leiden gering achten gegen die große
Aufgabe des bevorstehenden Kampfes. An allen Orten, wo der greise König
auf seiner Reise von Ems nach Berlin anhielt, umwogte ihn Begeisterung
und Kampfesmuth. Keinen schöneren Lohn und keine bessere Bestätigung
ihrer Arbeit seit dem Jahre 1866 konnten die Leiter unserer Bundespolitik
erleben als diese Tage. Aus der Saat, die sie gesäet unter dem Zweifel
und dem Widerstreben Vieler ist in dem guten, ehrlichen, warmherzigen Ge¬
müth des deutschen Volkes eine so schöne und großartige Hingabe an das
Vaterland erwachsen, daß wir wohl sagen dürfen: was auch die nächste Zu¬
kunft bringen möge, glücklich sind, die diese Tage erlebten!


Grenzboten III. 1370. 16

Der Sturm ist herauf! Mit unerhörter Schnelle und unwiderstehlich
braust er über das Gefüge der Staaten, durch die Herzen der Menschen.
Zahllose Hoffnungen friedlicher Arbeit flattern in ihm dahin, in alle Seelen
dröhnt die große Mahnung, daß ein ungeheures Etwas dem Leben unserer
Nation bevorstehe, daß wieder eine Zeit gekommen sei, wo Leben und Glück
des Einzelnen geprüft und gewagt wird und unermeßlich klein befunden
wird gegen Leben und Glück seines Staates. Zum zweiten Male in wenig
Jahren wird uns das Schicksal, zu erleben, was sonst nur in größeren Zeit¬
räumen ein Volk aufregt und erhebt: ein Waffenkampf um Leben und Tod,
um die höchsten irdischen Güter, nationale Unabhängigkeit und Ehre.

Und wie hat diese Zeit unser Volk gefunden? Vier Jahre nach einem
inneren Kriege, mitten unter dem Hader der Parteien, zwischen der Sehn¬
sucht nach Altem und dem Mißvergnügen um Neues, über unvollendeten
Bildungen, wie sie bei einer radicalen Umgestaltung der innern Staats¬
verhältnisse unvermeidlich sind? Wie bestehen die Deutschen die erste große
Probe, welche der neue unfertige Bundesstaat ihrem Patriotismus auszulegen
genöthigt wird? Ueberall im Süden und Norden dieselbe Begeisterung, ein-
müthiger Wille, männlicher Entschluß. Weggeblasen ist von den Seelen der
Parteigroll, wetteifernd bethätigen Männer des verschiedensten politischen
Glaubens ihren Zorn gegen die anmaßenden Fremden, ihren Entschluß, ver¬
eint zu stehen für, die Selbständigkeit des Vaterlandes. Die Jugend drängt
sich zu den Fahnen, die Universitäten mußten vor der Zeit ihre Hörsäle
schließen, weil die große Mehrzahl der Studenten sich freiwillig zum Kriegs¬
dienst meldet, die Hansestädte, die ruhmvollen Vertreter des deutschen Ver¬
kehrs vor dem Ausland, sie, die am schwersten von der plötzlichen Minderung
des geschäftlichen Vertrauens betroffen werden, sprechen dem Bundesfeldherrn
feierlich aus, daß auch sie das eigene Leiden gering achten gegen die große
Aufgabe des bevorstehenden Kampfes. An allen Orten, wo der greise König
auf seiner Reise von Ems nach Berlin anhielt, umwogte ihn Begeisterung
und Kampfesmuth. Keinen schöneren Lohn und keine bessere Bestätigung
ihrer Arbeit seit dem Jahre 1866 konnten die Leiter unserer Bundespolitik
erleben als diese Tage. Aus der Saat, die sie gesäet unter dem Zweifel
und dem Widerstreben Vieler ist in dem guten, ehrlichen, warmherzigen Ge¬
müth des deutschen Volkes eine so schöne und großartige Hingabe an das
Vaterland erwachsen, daß wir wohl sagen dürfen: was auch die nächste Zu¬
kunft bringen möge, glücklich sind, die diese Tage erlebten!


Grenzboten III. 1370. 16
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[0129] Der Sturm ist herauf! Mit unerhörter Schnelle und unwiderstehlich braust er über das Gefüge der Staaten, durch die Herzen der Menschen. Zahllose Hoffnungen friedlicher Arbeit flattern in ihm dahin, in alle Seelen dröhnt die große Mahnung, daß ein ungeheures Etwas dem Leben unserer Nation bevorstehe, daß wieder eine Zeit gekommen sei, wo Leben und Glück des Einzelnen geprüft und gewagt wird und unermeßlich klein befunden wird gegen Leben und Glück seines Staates. Zum zweiten Male in wenig Jahren wird uns das Schicksal, zu erleben, was sonst nur in größeren Zeit¬ räumen ein Volk aufregt und erhebt: ein Waffenkampf um Leben und Tod, um die höchsten irdischen Güter, nationale Unabhängigkeit und Ehre. Und wie hat diese Zeit unser Volk gefunden? Vier Jahre nach einem inneren Kriege, mitten unter dem Hader der Parteien, zwischen der Sehn¬ sucht nach Altem und dem Mißvergnügen um Neues, über unvollendeten Bildungen, wie sie bei einer radicalen Umgestaltung der innern Staats¬ verhältnisse unvermeidlich sind? Wie bestehen die Deutschen die erste große Probe, welche der neue unfertige Bundesstaat ihrem Patriotismus auszulegen genöthigt wird? Ueberall im Süden und Norden dieselbe Begeisterung, ein- müthiger Wille, männlicher Entschluß. Weggeblasen ist von den Seelen der Parteigroll, wetteifernd bethätigen Männer des verschiedensten politischen Glaubens ihren Zorn gegen die anmaßenden Fremden, ihren Entschluß, ver¬ eint zu stehen für, die Selbständigkeit des Vaterlandes. Die Jugend drängt sich zu den Fahnen, die Universitäten mußten vor der Zeit ihre Hörsäle schließen, weil die große Mehrzahl der Studenten sich freiwillig zum Kriegs¬ dienst meldet, die Hansestädte, die ruhmvollen Vertreter des deutschen Ver¬ kehrs vor dem Ausland, sie, die am schwersten von der plötzlichen Minderung des geschäftlichen Vertrauens betroffen werden, sprechen dem Bundesfeldherrn feierlich aus, daß auch sie das eigene Leiden gering achten gegen die große Aufgabe des bevorstehenden Kampfes. An allen Orten, wo der greise König auf seiner Reise von Ems nach Berlin anhielt, umwogte ihn Begeisterung und Kampfesmuth. Keinen schöneren Lohn und keine bessere Bestätigung ihrer Arbeit seit dem Jahre 1866 konnten die Leiter unserer Bundespolitik erleben als diese Tage. Aus der Saat, die sie gesäet unter dem Zweifel und dem Widerstreben Vieler ist in dem guten, ehrlichen, warmherzigen Ge¬ müth des deutschen Volkes eine so schöne und großartige Hingabe an das Vaterland erwachsen, daß wir wohl sagen dürfen: was auch die nächste Zu¬ kunft bringen möge, glücklich sind, die diese Tage erlebten! Grenzboten III. 1370. 16

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/129>, abgerufen am 17.06.2024.