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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Wer wagt noch zu sagen, daß unsere Gegenwart, die Zeit praktischer
Tüchtigkeit arm an Poesie und idealen Empfindungen sei? Nie ist lauterer
und Heller die Flamme der edelsten Poesie aus dem Herzen zum Himmel ge¬
schlagen, nie haben die Deutschen hochsinniger sich als ein Volk von Brü¬
dern gefühlt als in diesen Tagen, wo jedem Einzelnen die Sorge um das
eigene Wohl und das seiner Liebsten dahinschwand in der Sorge um die
Ehre unseres Volksthums.

Wir sind glücklich über die patriotische Gluth, welche die Stunde der
Gefahr in den Herzen ausgesandt hat, nicht weniger über die männliche Be¬
scheidenheit, welche dabei überall zu Tage kommt, in den Worten des Königs
von Preußen, wie in dem Urtheil des einfachen Privatmannes. Wir wissen,
daß uns ein anderer Kampf bevorsteht als der von 1866, wir wissen, daß wir
mit einem Staate zu thun haben, dessen unerträgliche Ansprüche sich herleiten
von einer Geschichte, die überreich ist an den größten militärischen Erfolgen.
Wir wissen, daß es eine Nation ist, welche sich vor anderen die kriegerische nennt,
von unseren militärischen Erfindungen jeden Nutzen gezogen hat, in manchen
neuen Einrichtungen uns vielleicht überlegen ist, weit stärker zur See als
wir, an Truppenzahl uns fast gleich, durch einen einheitlichen rücksichtslosen
Willen organisirt, reicher als wir, von ungeheuren Machtmitteln. Wir wissen
daß der Krieg ein großer, schwerer, vielleicht langwieriger Kampf werden
wird. Wir sind darauf gefaßt, daß auch wir noch Lehrgeld zu zahlen haben
und daß es ein hartes Ringen um den Sieg fein wird, bei dem auch uns
Fehlschlag und harte Verluste nicht erspart bleiben. Wir unterschätzen keinen
Augenblick die Macht des Feindes und wir denken demüthig daran, daß das
Schicksal schwerlich zweimal demselben Geschlecht glänzende Kriegserfolge gönnt.
Aber wie tief wir Schwere und Gefahr der bevorstehenden Wochen empfinden,
wir leben doch in einer Stimmung, die bei aller Erregung viel sicherer und
-- man zürne dem Worte nicht -- viel heiterer ist als vor wenig Jahren,
denn wir sind einig. Das ist kein Krieg gegen Landsleute. Der Sachse,
Baier, Schwabe, Alemanne, unsere guten Gesellen in der Mitte Deutschlands
und im Süden kämpfen mit uns als treue Bundesgenossen gegen den fremden
Feind. Lange ahnten wir, es mußte einmal so kommen. Seit vier Jahren
haben wir unablässig die Anmaßungen französischer Politik als eine De¬
müthigung empfunden. Nie haben wir etwas begehrt, was dem Leben und
Wohl der französischen Nation wehe thun durfte. Immer haben wir neidlos
das Gute und Große anerkannt, worin sie uns voraus waren, immer war
unser Wunsch, wie unser Interesse, mit ihnen in einem guten freundlichen
Frieden zu leben. Nur in unseren Grenzen, innerhalb unseres Staatenbaues
wollten wir uns das Leben einrichten nach den Bedürfnissen einer civilisirten
Gegenwart. Sie haben in einer übermüthigen Herrschsucht, die so arg ist,
als damals, wo die Hofschmeichler ihren König Ludwig den Großen nannten,


Wer wagt noch zu sagen, daß unsere Gegenwart, die Zeit praktischer
Tüchtigkeit arm an Poesie und idealen Empfindungen sei? Nie ist lauterer
und Heller die Flamme der edelsten Poesie aus dem Herzen zum Himmel ge¬
schlagen, nie haben die Deutschen hochsinniger sich als ein Volk von Brü¬
dern gefühlt als in diesen Tagen, wo jedem Einzelnen die Sorge um das
eigene Wohl und das seiner Liebsten dahinschwand in der Sorge um die
Ehre unseres Volksthums.

Wir sind glücklich über die patriotische Gluth, welche die Stunde der
Gefahr in den Herzen ausgesandt hat, nicht weniger über die männliche Be¬
scheidenheit, welche dabei überall zu Tage kommt, in den Worten des Königs
von Preußen, wie in dem Urtheil des einfachen Privatmannes. Wir wissen,
daß uns ein anderer Kampf bevorsteht als der von 1866, wir wissen, daß wir
mit einem Staate zu thun haben, dessen unerträgliche Ansprüche sich herleiten
von einer Geschichte, die überreich ist an den größten militärischen Erfolgen.
Wir wissen, daß es eine Nation ist, welche sich vor anderen die kriegerische nennt,
von unseren militärischen Erfindungen jeden Nutzen gezogen hat, in manchen
neuen Einrichtungen uns vielleicht überlegen ist, weit stärker zur See als
wir, an Truppenzahl uns fast gleich, durch einen einheitlichen rücksichtslosen
Willen organisirt, reicher als wir, von ungeheuren Machtmitteln. Wir wissen
daß der Krieg ein großer, schwerer, vielleicht langwieriger Kampf werden
wird. Wir sind darauf gefaßt, daß auch wir noch Lehrgeld zu zahlen haben
und daß es ein hartes Ringen um den Sieg fein wird, bei dem auch uns
Fehlschlag und harte Verluste nicht erspart bleiben. Wir unterschätzen keinen
Augenblick die Macht des Feindes und wir denken demüthig daran, daß das
Schicksal schwerlich zweimal demselben Geschlecht glänzende Kriegserfolge gönnt.
Aber wie tief wir Schwere und Gefahr der bevorstehenden Wochen empfinden,
wir leben doch in einer Stimmung, die bei aller Erregung viel sicherer und
— man zürne dem Worte nicht — viel heiterer ist als vor wenig Jahren,
denn wir sind einig. Das ist kein Krieg gegen Landsleute. Der Sachse,
Baier, Schwabe, Alemanne, unsere guten Gesellen in der Mitte Deutschlands
und im Süden kämpfen mit uns als treue Bundesgenossen gegen den fremden
Feind. Lange ahnten wir, es mußte einmal so kommen. Seit vier Jahren
haben wir unablässig die Anmaßungen französischer Politik als eine De¬
müthigung empfunden. Nie haben wir etwas begehrt, was dem Leben und
Wohl der französischen Nation wehe thun durfte. Immer haben wir neidlos
das Gute und Große anerkannt, worin sie uns voraus waren, immer war
unser Wunsch, wie unser Interesse, mit ihnen in einem guten freundlichen
Frieden zu leben. Nur in unseren Grenzen, innerhalb unseres Staatenbaues
wollten wir uns das Leben einrichten nach den Bedürfnissen einer civilisirten
Gegenwart. Sie haben in einer übermüthigen Herrschsucht, die so arg ist,
als damals, wo die Hofschmeichler ihren König Ludwig den Großen nannten,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/130>, abgerufen am 17.06.2024.