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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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ist, in einseitiger Weise die Fortschritte, die Frankreich dem Kaiserthum ver¬
dankt, abzuleugnen oder als unerheblich dazustellen.

Der antiimperialistischen Schule gehört nun auch Tcixile Delord an.
Daß er seine Angriffe in eine meist ruhige, gemessene, stets gebildete Form
kleidet, thut ihrer Schärfe und Bitterkeit keinen Abbruch. Gegen die vor¬
nehme Ruhe, den leichten, gefälligen, hin und wieder gemüthlich ironisirenden
Ton, der seine Darstellung im Allgemeinen durchweht, hebt sich die sittliche
Entrüstung, die an einigen Stellen, z. B. in der ausführlichen und meister¬
haften Schilderung des Staatsstreichs, den ebenen, behaglichen Fluß der Er¬
zählung zu einem kräftigen Pathos steigert, wirkungsvoll ab. Uebrigens
strebt er in seinem Urtheil nach der Unparteilichkeit des Geschichtsschreibers
und geißelt die Fehler der ihm nächststehenden Parteien ebenso schonungslos
wie die Vergehen und Unthaten der Gegner, wodurch dann der Leser aller¬
dings wider den Willen des Verfasseis zu einem milderen Urtheil über den
Prinzen geführt wird. Denn je klarer sich die Unfähigkeit aller Parteien,
der Republikaner jeder Farbe, wie der Anhänger der alten Dynastien, welche
die Republik nur über sich haben ergehen lassen, herausstellt, um so ent¬
schuldbarer wird das Streben des ehrgeizigen Prätendenten, durch seine Er¬
hebung Ordnung in das Chaos zu bringen. Wo die Regierenden die Zügel
verloren haben, da hat der, welcher die Entschlossenheit besitzt, sie aufzuheben,
doch einige Ursache, sich als Staats- und Gesellschaftsretter zu rühmen. Und
wenn die Vertheidiger der Verfassung dem Prinzen unausgesetzt in die Hände
arbeiteten, indem sie in der hochmüthigen Ueberschätzung ihrer und der leicht¬
fertigen Unterschätzung seiner Fähigkeiten hofften, ihn zum Werkzeug ihrer
größtentheils durchaus nicht verfassungsmäßigen Pläne machen zu können, so
war dem Prätendenten doch kaum ein Vorwurf daraus zu machen, daß er aus
der Verblendung seiner Gegner für sich den möglichsten Vortheil zog und
ihnen zu ihrem Schaden den thatsächlichen Beweis lieferte, daß er alle die
eingebildeten und größtentheils sehr eigennützigen Staatsmänner, die seine
Popularität zu ihrem Privatvortheil auszubeuten trachteten, um ihn später
wie eine ausgepreßte Citrone bei Seite zu werfen, an Klugheit und Scharf¬
blick weit überragt.

Man muß in der That, wenn man in der übersichtlichen Darstellung
Taxile Delords den Verlauf der Begebenheiten überblickt, über die ungeschickte
und verblendete Politik der Gegner des Prinzen staunen. Es war verzeihlich,
daß sie, so lange sie ihn nur als den Abenteurer von Straßburg und Boulogne
kannten, eine untergeordnete Persönlichkeit in ihm sahen, der nur ihr großer
Name eine gewisse Bedeutung verschafft hatte. Aber sein erstes Auftreten
nach den Februartagen offenbarte jedem unbefangenen Beobachter, der sich
nicht selbst täuschen wollte, daß der Prinz von den Mauern seines Gesang-


ist, in einseitiger Weise die Fortschritte, die Frankreich dem Kaiserthum ver¬
dankt, abzuleugnen oder als unerheblich dazustellen.

Der antiimperialistischen Schule gehört nun auch Tcixile Delord an.
Daß er seine Angriffe in eine meist ruhige, gemessene, stets gebildete Form
kleidet, thut ihrer Schärfe und Bitterkeit keinen Abbruch. Gegen die vor¬
nehme Ruhe, den leichten, gefälligen, hin und wieder gemüthlich ironisirenden
Ton, der seine Darstellung im Allgemeinen durchweht, hebt sich die sittliche
Entrüstung, die an einigen Stellen, z. B. in der ausführlichen und meister¬
haften Schilderung des Staatsstreichs, den ebenen, behaglichen Fluß der Er¬
zählung zu einem kräftigen Pathos steigert, wirkungsvoll ab. Uebrigens
strebt er in seinem Urtheil nach der Unparteilichkeit des Geschichtsschreibers
und geißelt die Fehler der ihm nächststehenden Parteien ebenso schonungslos
wie die Vergehen und Unthaten der Gegner, wodurch dann der Leser aller¬
dings wider den Willen des Verfasseis zu einem milderen Urtheil über den
Prinzen geführt wird. Denn je klarer sich die Unfähigkeit aller Parteien,
der Republikaner jeder Farbe, wie der Anhänger der alten Dynastien, welche
die Republik nur über sich haben ergehen lassen, herausstellt, um so ent¬
schuldbarer wird das Streben des ehrgeizigen Prätendenten, durch seine Er¬
hebung Ordnung in das Chaos zu bringen. Wo die Regierenden die Zügel
verloren haben, da hat der, welcher die Entschlossenheit besitzt, sie aufzuheben,
doch einige Ursache, sich als Staats- und Gesellschaftsretter zu rühmen. Und
wenn die Vertheidiger der Verfassung dem Prinzen unausgesetzt in die Hände
arbeiteten, indem sie in der hochmüthigen Ueberschätzung ihrer und der leicht¬
fertigen Unterschätzung seiner Fähigkeiten hofften, ihn zum Werkzeug ihrer
größtentheils durchaus nicht verfassungsmäßigen Pläne machen zu können, so
war dem Prätendenten doch kaum ein Vorwurf daraus zu machen, daß er aus
der Verblendung seiner Gegner für sich den möglichsten Vortheil zog und
ihnen zu ihrem Schaden den thatsächlichen Beweis lieferte, daß er alle die
eingebildeten und größtentheils sehr eigennützigen Staatsmänner, die seine
Popularität zu ihrem Privatvortheil auszubeuten trachteten, um ihn später
wie eine ausgepreßte Citrone bei Seite zu werfen, an Klugheit und Scharf¬
blick weit überragt.

Man muß in der That, wenn man in der übersichtlichen Darstellung
Taxile Delords den Verlauf der Begebenheiten überblickt, über die ungeschickte
und verblendete Politik der Gegner des Prinzen staunen. Es war verzeihlich,
daß sie, so lange sie ihn nur als den Abenteurer von Straßburg und Boulogne
kannten, eine untergeordnete Persönlichkeit in ihm sahen, der nur ihr großer
Name eine gewisse Bedeutung verschafft hatte. Aber sein erstes Auftreten
nach den Februartagen offenbarte jedem unbefangenen Beobachter, der sich
nicht selbst täuschen wollte, daß der Prinz von den Mauern seines Gesang-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/141>, abgerufen am 17.06.2024.