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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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nisses aus Frankreich gründlich studirt hatte, gründlicher als die alten und
jungen Staatsmänner mitten im lebhaftesten politischen Treiben. Er hatte
beobachtet und gedacht. Die Bewunderung und Verehrung des Oheims, wie
sie in seinen früheren, Schriften und namentlich in den laves napolsonisnnes
mit einem oft den Eindruck geistiger Beschränktheit hervorrufenden aber¬
gläubigen Fanatismus sich ausspricht, war wohl in ihm lebendig geblieben.
Aber dennoch muß man sich hüten, das Urtheil über ihn allein auf diese
Früchte seiner schriftstellerischen Thätigkeit zu begründen; indeß selbst wenn
man diese Schrift zur Grundlage des Urtheils über seine geistige Befähigung
machen wollte, läßt sich gar nicht verkennen, daß bereits seine Jugendstreiche
wie seine Jugendschriften ein unzweideutiges Zeugniß ablegen von der Zähig¬
keit seines Willens, wie von der Schmiegsamkeit seines Geistes, der alle gerade
im Umlauf befindlichen politischen, besonders aber socialen Ideen aufgreift,
um ihnen das napoleonische Gepräge aufzudrücken, sie in das napoleonische
System einzureihen. A. Morel in seinem neuerdings erschienenen mit vieler
Malice geschriebenen aber instructiven Buche "Napoleon III. vis, "es
Oeuvres et öff oxinions" begleitet und illustrirt die Erzählung der Erlebnisse
des Prinzen von frühester Jugend bis zum Staatsstreich mit zahlreichen und
ausführlichen Auszügen aus feinen Briefen und Schriften; Auszüge, die zwar
keineswegs das Studium der napoleonischen Schriften entbehrlich machen,
aber doch einen guten chronologischen Ueberblick über den Gang seiner Ent¬
wickelung geben. Die oben erwähnte Zähigkeit und Schmiegsamkeit tritt in
diesen Selbstbekenntnissen, wenn wir uns so ausdrücken dürfen, sehr klar her¬
vor. Von Idealität und geistigem Schwung keine Spur. Ueberall Berechnung.
Der Gedanke an die ihm vorenthaltene aber vorbehaltene Hinterlassenschaft
des Oheims beherrscht ihn vollständig; er verfolgt jedoch diesen Gedanken
nicht wie ein wahnwitziger Träumer, sondern wie ein kühner, aber berechnen¬
der Speculant, der, wenn er sich auch manchmal in seiner Beurtheilung des
Individuums getäuscht hat, doch für die Gefühle der Massen einen bedeuten¬
den natürlichen Scharfblick besitzt, und auf diese Gefühle, die er unausgesetzt
studirt, seine Zukunftspläne gründet. Diesen Gefühlen schmiegt er sich an;
er zeigt sich bald als Demokrat, bald als Socialist, immer aber als der
kräftige Autokrat und glühendste Feind des constitutionellen Systems, des
Bourgeoisliberalismus und des Bürgerkönigthums.

Er war ein gefährlicher Gegner schon als jugendlicher Abenteurer, und
seine Bedeutung war gewachsen in gleichem Verhältniß mit der Abnutzung
Ludwig Philipps. Sein Verständniß sür die Erfordernisse der Lage war
geschärft. Durch beharrliches Grübeln war er zu der Erkenntniß gekommen,
daß die Grundsätze des ersten Napoleon sich unmöglich unverändert auf die
Zustände der Gegenwart anwenden ließen. Auch der politischen Methode


nisses aus Frankreich gründlich studirt hatte, gründlicher als die alten und
jungen Staatsmänner mitten im lebhaftesten politischen Treiben. Er hatte
beobachtet und gedacht. Die Bewunderung und Verehrung des Oheims, wie
sie in seinen früheren, Schriften und namentlich in den laves napolsonisnnes
mit einem oft den Eindruck geistiger Beschränktheit hervorrufenden aber¬
gläubigen Fanatismus sich ausspricht, war wohl in ihm lebendig geblieben.
Aber dennoch muß man sich hüten, das Urtheil über ihn allein auf diese
Früchte seiner schriftstellerischen Thätigkeit zu begründen; indeß selbst wenn
man diese Schrift zur Grundlage des Urtheils über seine geistige Befähigung
machen wollte, läßt sich gar nicht verkennen, daß bereits seine Jugendstreiche
wie seine Jugendschriften ein unzweideutiges Zeugniß ablegen von der Zähig¬
keit seines Willens, wie von der Schmiegsamkeit seines Geistes, der alle gerade
im Umlauf befindlichen politischen, besonders aber socialen Ideen aufgreift,
um ihnen das napoleonische Gepräge aufzudrücken, sie in das napoleonische
System einzureihen. A. Morel in seinem neuerdings erschienenen mit vieler
Malice geschriebenen aber instructiven Buche „Napoleon III. vis, »es
Oeuvres et öff oxinions" begleitet und illustrirt die Erzählung der Erlebnisse
des Prinzen von frühester Jugend bis zum Staatsstreich mit zahlreichen und
ausführlichen Auszügen aus feinen Briefen und Schriften; Auszüge, die zwar
keineswegs das Studium der napoleonischen Schriften entbehrlich machen,
aber doch einen guten chronologischen Ueberblick über den Gang seiner Ent¬
wickelung geben. Die oben erwähnte Zähigkeit und Schmiegsamkeit tritt in
diesen Selbstbekenntnissen, wenn wir uns so ausdrücken dürfen, sehr klar her¬
vor. Von Idealität und geistigem Schwung keine Spur. Ueberall Berechnung.
Der Gedanke an die ihm vorenthaltene aber vorbehaltene Hinterlassenschaft
des Oheims beherrscht ihn vollständig; er verfolgt jedoch diesen Gedanken
nicht wie ein wahnwitziger Träumer, sondern wie ein kühner, aber berechnen¬
der Speculant, der, wenn er sich auch manchmal in seiner Beurtheilung des
Individuums getäuscht hat, doch für die Gefühle der Massen einen bedeuten¬
den natürlichen Scharfblick besitzt, und auf diese Gefühle, die er unausgesetzt
studirt, seine Zukunftspläne gründet. Diesen Gefühlen schmiegt er sich an;
er zeigt sich bald als Demokrat, bald als Socialist, immer aber als der
kräftige Autokrat und glühendste Feind des constitutionellen Systems, des
Bourgeoisliberalismus und des Bürgerkönigthums.

Er war ein gefährlicher Gegner schon als jugendlicher Abenteurer, und
seine Bedeutung war gewachsen in gleichem Verhältniß mit der Abnutzung
Ludwig Philipps. Sein Verständniß sür die Erfordernisse der Lage war
geschärft. Durch beharrliches Grübeln war er zu der Erkenntniß gekommen,
daß die Grundsätze des ersten Napoleon sich unmöglich unverändert auf die
Zustände der Gegenwart anwenden ließen. Auch der politischen Methode


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/142>, abgerufen am 17.06.2024.