Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

des ungeduldigen, überall stürmisch durchgreifenden, stets zu den äußersten,
gewaltsamsten Maßregeln geneigten Kriegsmanns widerstrebte sein natürliches
Phlegma, sein bei aller Zähigkeit doch auch weiches Gemüth, seine Scheu
vor improvisirten Handeln. Der feste Glaube an seinen Beruf, der ihn mit
der Gewalt einer fixen Idee zu seinen Jugendstreichen getrieben harte, war
ihm geblieben, verstärkt durch die Hoffnung aus die von den Zeitgenossen
weit unterschätzte Gewalt der in der Bevölkerung lebendigen napoleonischen
Sympathien; seine Zuversicht wuchs im Hinblick auf das Schauspiel der
Parteikämpfe, welches die Staatsmänner der Julimonarchie vor ihm aus¬
führten, dessen selbstmörderische Wirkungen er mit dem Instinkt des Hasses
vollkommen klar erkannte. Er war, als die Revolution ausbrach, auf Alles
vorbereitet, sein Plan war längst gefaßt, wohl erwogen, und die Umstände
wie die Fehler seiner Gegner begünstigten ihn wunderbar bei Ausführung
derselben. Als er zum Deputirten gewählt war, schwebte die Versammlung
zwischen Furcht vor seinem Ehrgeize und der Verachtung seiner Fähigkeiten. Die
Verachtung trägt, nachdem auch Jules Favre in sehr geringschätziger Weise
für Zulassung gesprochen, den Sieg davon: er wird als Abgeordneter aner¬
kannt und kann sich Glück wünschen, daß die Versammlung Alles gethan
hat, was in ihren Kräften stand, um die Augen des Volkes auf ihn zu len¬
ken und ihm eine Sonderstellung als natürlichen Rivalen jeder anderen Macht
im Staate anzuweisen. Sie stempelt ihn zum Prätendenten und er schreitet
sofort mit vollster Sicherheit seinem Ziel entgegen. Er verschmähte es, seine
Gegner über seine letzten Absichten zu täuschen, nicht etwa aus innerer
Wahrhaftigkeit, sondern weil er der Täuschung nicht bedürfte. Er ließ keine
Gelegenheit vorübergehen, ohne seine Unterwürfigkeit unter den Willen des
französischen Volkes auszusprechen -- und das war keine Lüge, sondern der
kräftigste Ausdruck des Selbstvertrauens --; aber erließ auch darüber keinen
Zweifel, daß er sich durch den Einspruch keiner Versammlung werde abhalten
lassen, jede ihm vom Volke gebotene Gabe, selbst den Thron, anzunehmen.
Er nahm, wie Fallaux sagt, bereits als Abgeordneter die Haltung eines
Mannes an, der entschlossen ist, dem Schicksal seinen Lauf zu lassen, ohne es
zu zwingen, und dem nationalen Willen zu gehorchen, ohne ihn zu provociren.
Und diese Haltung behielt er als Präsident bei. Er ließ keine Ungeduld
blicken, aber sein ganzes Auftreten zeigte und war daraus berechnet, zu zeigen,
daß er vom Volke Alles hoffe. Niemals ist ein Prätendent offener auf¬
getreten ; niemals aber hat auch ein Prätendent durch sein verwegenes, durch¬
sichtiges Spiel die Gegner so aus aller Fassung gebracht, als er. Er war
ein Verschwörer, das wußte man; denn er sagte es Jedem, der Ohren hatte,
zu hören. Alle Parteien waren über seine andeutungsvollen Anreden an
die Stadtobrigkeiten oder Truppen, denen er sich als Gesellschaftsretter vor-


des ungeduldigen, überall stürmisch durchgreifenden, stets zu den äußersten,
gewaltsamsten Maßregeln geneigten Kriegsmanns widerstrebte sein natürliches
Phlegma, sein bei aller Zähigkeit doch auch weiches Gemüth, seine Scheu
vor improvisirten Handeln. Der feste Glaube an seinen Beruf, der ihn mit
der Gewalt einer fixen Idee zu seinen Jugendstreichen getrieben harte, war
ihm geblieben, verstärkt durch die Hoffnung aus die von den Zeitgenossen
weit unterschätzte Gewalt der in der Bevölkerung lebendigen napoleonischen
Sympathien; seine Zuversicht wuchs im Hinblick auf das Schauspiel der
Parteikämpfe, welches die Staatsmänner der Julimonarchie vor ihm aus¬
führten, dessen selbstmörderische Wirkungen er mit dem Instinkt des Hasses
vollkommen klar erkannte. Er war, als die Revolution ausbrach, auf Alles
vorbereitet, sein Plan war längst gefaßt, wohl erwogen, und die Umstände
wie die Fehler seiner Gegner begünstigten ihn wunderbar bei Ausführung
derselben. Als er zum Deputirten gewählt war, schwebte die Versammlung
zwischen Furcht vor seinem Ehrgeize und der Verachtung seiner Fähigkeiten. Die
Verachtung trägt, nachdem auch Jules Favre in sehr geringschätziger Weise
für Zulassung gesprochen, den Sieg davon: er wird als Abgeordneter aner¬
kannt und kann sich Glück wünschen, daß die Versammlung Alles gethan
hat, was in ihren Kräften stand, um die Augen des Volkes auf ihn zu len¬
ken und ihm eine Sonderstellung als natürlichen Rivalen jeder anderen Macht
im Staate anzuweisen. Sie stempelt ihn zum Prätendenten und er schreitet
sofort mit vollster Sicherheit seinem Ziel entgegen. Er verschmähte es, seine
Gegner über seine letzten Absichten zu täuschen, nicht etwa aus innerer
Wahrhaftigkeit, sondern weil er der Täuschung nicht bedürfte. Er ließ keine
Gelegenheit vorübergehen, ohne seine Unterwürfigkeit unter den Willen des
französischen Volkes auszusprechen — und das war keine Lüge, sondern der
kräftigste Ausdruck des Selbstvertrauens —; aber erließ auch darüber keinen
Zweifel, daß er sich durch den Einspruch keiner Versammlung werde abhalten
lassen, jede ihm vom Volke gebotene Gabe, selbst den Thron, anzunehmen.
Er nahm, wie Fallaux sagt, bereits als Abgeordneter die Haltung eines
Mannes an, der entschlossen ist, dem Schicksal seinen Lauf zu lassen, ohne es
zu zwingen, und dem nationalen Willen zu gehorchen, ohne ihn zu provociren.
Und diese Haltung behielt er als Präsident bei. Er ließ keine Ungeduld
blicken, aber sein ganzes Auftreten zeigte und war daraus berechnet, zu zeigen,
daß er vom Volke Alles hoffe. Niemals ist ein Prätendent offener auf¬
getreten ; niemals aber hat auch ein Prätendent durch sein verwegenes, durch¬
sichtiges Spiel die Gegner so aus aller Fassung gebracht, als er. Er war
ein Verschwörer, das wußte man; denn er sagte es Jedem, der Ohren hatte,
zu hören. Alle Parteien waren über seine andeutungsvollen Anreden an
die Stadtobrigkeiten oder Truppen, denen er sich als Gesellschaftsretter vor-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0143" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124293"/>
            <p xml:id="ID_381" prev="#ID_380" next="#ID_382"> des ungeduldigen, überall stürmisch durchgreifenden, stets zu den äußersten,<lb/>
gewaltsamsten Maßregeln geneigten Kriegsmanns widerstrebte sein natürliches<lb/>
Phlegma, sein bei aller Zähigkeit doch auch weiches Gemüth, seine Scheu<lb/>
vor improvisirten Handeln. Der feste Glaube an seinen Beruf, der ihn mit<lb/>
der Gewalt einer fixen Idee zu seinen Jugendstreichen getrieben harte, war<lb/>
ihm geblieben, verstärkt durch die Hoffnung aus die von den Zeitgenossen<lb/>
weit unterschätzte Gewalt der in der Bevölkerung lebendigen napoleonischen<lb/>
Sympathien; seine Zuversicht wuchs im Hinblick auf das Schauspiel der<lb/>
Parteikämpfe, welches die Staatsmänner der Julimonarchie vor ihm aus¬<lb/>
führten, dessen selbstmörderische Wirkungen er mit dem Instinkt des Hasses<lb/>
vollkommen klar erkannte. Er war, als die Revolution ausbrach, auf Alles<lb/>
vorbereitet, sein Plan war längst gefaßt, wohl erwogen, und die Umstände<lb/>
wie die Fehler seiner Gegner begünstigten ihn wunderbar bei Ausführung<lb/>
derselben. Als er zum Deputirten gewählt war, schwebte die Versammlung<lb/>
zwischen Furcht vor seinem Ehrgeize und der Verachtung seiner Fähigkeiten. Die<lb/>
Verachtung trägt, nachdem auch Jules Favre in sehr geringschätziger Weise<lb/>
für Zulassung gesprochen, den Sieg davon: er wird als Abgeordneter aner¬<lb/>
kannt und kann sich Glück wünschen, daß die Versammlung Alles gethan<lb/>
hat, was in ihren Kräften stand, um die Augen des Volkes auf ihn zu len¬<lb/>
ken und ihm eine Sonderstellung als natürlichen Rivalen jeder anderen Macht<lb/>
im Staate anzuweisen. Sie stempelt ihn zum Prätendenten und er schreitet<lb/>
sofort mit vollster Sicherheit seinem Ziel entgegen. Er verschmähte es, seine<lb/>
Gegner über seine letzten Absichten zu täuschen, nicht etwa aus innerer<lb/>
Wahrhaftigkeit, sondern weil er der Täuschung nicht bedürfte. Er ließ keine<lb/>
Gelegenheit vorübergehen, ohne seine Unterwürfigkeit unter den Willen des<lb/>
französischen Volkes auszusprechen &#x2014; und das war keine Lüge, sondern der<lb/>
kräftigste Ausdruck des Selbstvertrauens &#x2014;; aber erließ auch darüber keinen<lb/>
Zweifel, daß er sich durch den Einspruch keiner Versammlung werde abhalten<lb/>
lassen, jede ihm vom Volke gebotene Gabe, selbst den Thron, anzunehmen.<lb/>
Er nahm, wie Fallaux sagt, bereits als Abgeordneter die Haltung eines<lb/>
Mannes an, der entschlossen ist, dem Schicksal seinen Lauf zu lassen, ohne es<lb/>
zu zwingen, und dem nationalen Willen zu gehorchen, ohne ihn zu provociren.<lb/>
Und diese Haltung behielt er als Präsident bei. Er ließ keine Ungeduld<lb/>
blicken, aber sein ganzes Auftreten zeigte und war daraus berechnet, zu zeigen,<lb/>
daß er vom Volke Alles hoffe. Niemals ist ein Prätendent offener auf¬<lb/>
getreten ; niemals aber hat auch ein Prätendent durch sein verwegenes, durch¬<lb/>
sichtiges Spiel die Gegner so aus aller Fassung gebracht, als er. Er war<lb/>
ein Verschwörer, das wußte man; denn er sagte es Jedem, der Ohren hatte,<lb/>
zu hören. Alle Parteien waren über seine andeutungsvollen Anreden an<lb/>
die Stadtobrigkeiten oder Truppen, denen er sich als Gesellschaftsretter vor-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0143] des ungeduldigen, überall stürmisch durchgreifenden, stets zu den äußersten, gewaltsamsten Maßregeln geneigten Kriegsmanns widerstrebte sein natürliches Phlegma, sein bei aller Zähigkeit doch auch weiches Gemüth, seine Scheu vor improvisirten Handeln. Der feste Glaube an seinen Beruf, der ihn mit der Gewalt einer fixen Idee zu seinen Jugendstreichen getrieben harte, war ihm geblieben, verstärkt durch die Hoffnung aus die von den Zeitgenossen weit unterschätzte Gewalt der in der Bevölkerung lebendigen napoleonischen Sympathien; seine Zuversicht wuchs im Hinblick auf das Schauspiel der Parteikämpfe, welches die Staatsmänner der Julimonarchie vor ihm aus¬ führten, dessen selbstmörderische Wirkungen er mit dem Instinkt des Hasses vollkommen klar erkannte. Er war, als die Revolution ausbrach, auf Alles vorbereitet, sein Plan war längst gefaßt, wohl erwogen, und die Umstände wie die Fehler seiner Gegner begünstigten ihn wunderbar bei Ausführung derselben. Als er zum Deputirten gewählt war, schwebte die Versammlung zwischen Furcht vor seinem Ehrgeize und der Verachtung seiner Fähigkeiten. Die Verachtung trägt, nachdem auch Jules Favre in sehr geringschätziger Weise für Zulassung gesprochen, den Sieg davon: er wird als Abgeordneter aner¬ kannt und kann sich Glück wünschen, daß die Versammlung Alles gethan hat, was in ihren Kräften stand, um die Augen des Volkes auf ihn zu len¬ ken und ihm eine Sonderstellung als natürlichen Rivalen jeder anderen Macht im Staate anzuweisen. Sie stempelt ihn zum Prätendenten und er schreitet sofort mit vollster Sicherheit seinem Ziel entgegen. Er verschmähte es, seine Gegner über seine letzten Absichten zu täuschen, nicht etwa aus innerer Wahrhaftigkeit, sondern weil er der Täuschung nicht bedürfte. Er ließ keine Gelegenheit vorübergehen, ohne seine Unterwürfigkeit unter den Willen des französischen Volkes auszusprechen — und das war keine Lüge, sondern der kräftigste Ausdruck des Selbstvertrauens —; aber erließ auch darüber keinen Zweifel, daß er sich durch den Einspruch keiner Versammlung werde abhalten lassen, jede ihm vom Volke gebotene Gabe, selbst den Thron, anzunehmen. Er nahm, wie Fallaux sagt, bereits als Abgeordneter die Haltung eines Mannes an, der entschlossen ist, dem Schicksal seinen Lauf zu lassen, ohne es zu zwingen, und dem nationalen Willen zu gehorchen, ohne ihn zu provociren. Und diese Haltung behielt er als Präsident bei. Er ließ keine Ungeduld blicken, aber sein ganzes Auftreten zeigte und war daraus berechnet, zu zeigen, daß er vom Volke Alles hoffe. Niemals ist ein Prätendent offener auf¬ getreten ; niemals aber hat auch ein Prätendent durch sein verwegenes, durch¬ sichtiges Spiel die Gegner so aus aller Fassung gebracht, als er. Er war ein Verschwörer, das wußte man; denn er sagte es Jedem, der Ohren hatte, zu hören. Alle Parteien waren über seine andeutungsvollen Anreden an die Stadtobrigkeiten oder Truppen, denen er sich als Gesellschaftsretter vor-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/143
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/143>, abgerufen am 17.06.2024.