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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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als Vertreter der Ordnung, als Gehilfen des Präsidenten, nicht als Gegner
desselben von irgend einem alten dynastischen Standpunkte aus, gewählt.
Zur Monarchie neigten die Blassen allerdings, aber die ihnen vorschwebende
Monarchie war nicht eine bourbonische Adels-oder Bourgeoisherrschaft, son¬
dern die demokratische napoleonische Republik oder Kaiserthum -- so stellte
sich die Frage. Und wer gegen die Republik arbeitete, der arbeitete für den
Prinzen Louis Napoleon. Das sahen die alten Parteihäupter freilich nicht
ein, die sich in ihrer Selbstüberschätzung mit der eitlen Hoffnung schmeichel¬
ten, daß es ihnen ein Leichtes sein werde, den Prätendenten, wenn er gegen
die Republikaner seine Dienste geleistet, ins Nichts zurückzuwerfen. Hatten
doch Viele unter ihnen bei der Präsidentenwahl für ihn gegen Cavaignac
agitirt, in dem guten Glauben, damit einen politischen Meisterzug zu thun.
Denn das galt ihnen für eine ausgemachte Sache, daß der Prinz, um sich
zu halten, ganz ihren Eingebungen folgen werde. Der eitelste und intri-
guanteste der alten Politiker, Thiers, bildete sich ungefähr ein Jahr lang ein,
daß er den Prinzen leite, ohne zu merken, daß dieser ihm und seinen Ge¬
nossen nur deshalb einen ziemlich weitgehenden Spielraum gestatte, um sie in
seinem Dienste sich abnutzen zu lassen.

Die Uneinigkeit im republikanischen Lager, die Schwäche und wachsende
UnPopularität der Gemäßigten, die reactionären Gelüste der "Burggrafen"
machten den Prinzen rasch zum Herrn der Lage. Da er als Vertreter der
Demokratie und der Ordnung auftrat, deren Versöhnung der Bonapartismus
als seine weltgeschichtliche Aufgabe ansieht, so war es ganz consequent, wenn
er behauptete, daß alle seine Gegner entweder gegen das demokratische Princip
oder für die Anarchie arbeiteten. Und diese von den ihm ergebenen Preßor¬
ganen täglich mit großer Unverschämtheit wiederholten Beschuldigungen
fanden in sehr weiten Kreisen Glauben, entsprachen wenigstens vollkommen
den Sympathien und Antipathien derselben.

Das stand dem Prinzen fest, daß in den ihm unvermeidlich bevorstehenden
Reibungen mit der Nationalversammlung ein großer Theil der Nation auf
seiner Seite stehen werde: dafür leistete ihm der glänzende Erfolg seiner
Präsidentschaftseandidatur Bürgschaft. Fünf und eine halbe Million Wähler
hatten ihn nicht blos für einen domus s6risux, sondern auch für den Mann
ihres Vertrauens erklärt. Das war ein glänzender Erfolg und der Erfolg
macht in Frankreich Propaganda. Einen Napoleon zum Präsidenten wählen,
hieß ihn als Throncandidaten aufstellen. Das fühlte man in Frankreich
vollkommen. Es war nicht zu bestreiten, daß seine Wahl ein Sieg des
monarchischen Princips war. Darin, daß die Nation im Voraus seine Herr¬
schaftspläne gebilligt, ja ihn zur Verfolgung derselben ermuntert hatte, lag
die Stärke seiner Stellung. Und so von dem Volke selbst der Gesammtheit


Grenzboten til. 1370. 13

als Vertreter der Ordnung, als Gehilfen des Präsidenten, nicht als Gegner
desselben von irgend einem alten dynastischen Standpunkte aus, gewählt.
Zur Monarchie neigten die Blassen allerdings, aber die ihnen vorschwebende
Monarchie war nicht eine bourbonische Adels-oder Bourgeoisherrschaft, son¬
dern die demokratische napoleonische Republik oder Kaiserthum — so stellte
sich die Frage. Und wer gegen die Republik arbeitete, der arbeitete für den
Prinzen Louis Napoleon. Das sahen die alten Parteihäupter freilich nicht
ein, die sich in ihrer Selbstüberschätzung mit der eitlen Hoffnung schmeichel¬
ten, daß es ihnen ein Leichtes sein werde, den Prätendenten, wenn er gegen
die Republikaner seine Dienste geleistet, ins Nichts zurückzuwerfen. Hatten
doch Viele unter ihnen bei der Präsidentenwahl für ihn gegen Cavaignac
agitirt, in dem guten Glauben, damit einen politischen Meisterzug zu thun.
Denn das galt ihnen für eine ausgemachte Sache, daß der Prinz, um sich
zu halten, ganz ihren Eingebungen folgen werde. Der eitelste und intri-
guanteste der alten Politiker, Thiers, bildete sich ungefähr ein Jahr lang ein,
daß er den Prinzen leite, ohne zu merken, daß dieser ihm und seinen Ge¬
nossen nur deshalb einen ziemlich weitgehenden Spielraum gestatte, um sie in
seinem Dienste sich abnutzen zu lassen.

Die Uneinigkeit im republikanischen Lager, die Schwäche und wachsende
UnPopularität der Gemäßigten, die reactionären Gelüste der „Burggrafen"
machten den Prinzen rasch zum Herrn der Lage. Da er als Vertreter der
Demokratie und der Ordnung auftrat, deren Versöhnung der Bonapartismus
als seine weltgeschichtliche Aufgabe ansieht, so war es ganz consequent, wenn
er behauptete, daß alle seine Gegner entweder gegen das demokratische Princip
oder für die Anarchie arbeiteten. Und diese von den ihm ergebenen Preßor¬
ganen täglich mit großer Unverschämtheit wiederholten Beschuldigungen
fanden in sehr weiten Kreisen Glauben, entsprachen wenigstens vollkommen
den Sympathien und Antipathien derselben.

Das stand dem Prinzen fest, daß in den ihm unvermeidlich bevorstehenden
Reibungen mit der Nationalversammlung ein großer Theil der Nation auf
seiner Seite stehen werde: dafür leistete ihm der glänzende Erfolg seiner
Präsidentschaftseandidatur Bürgschaft. Fünf und eine halbe Million Wähler
hatten ihn nicht blos für einen domus s6risux, sondern auch für den Mann
ihres Vertrauens erklärt. Das war ein glänzender Erfolg und der Erfolg
macht in Frankreich Propaganda. Einen Napoleon zum Präsidenten wählen,
hieß ihn als Throncandidaten aufstellen. Das fühlte man in Frankreich
vollkommen. Es war nicht zu bestreiten, daß seine Wahl ein Sieg des
monarchischen Princips war. Darin, daß die Nation im Voraus seine Herr¬
schaftspläne gebilligt, ja ihn zur Verfolgung derselben ermuntert hatte, lag
die Stärke seiner Stellung. Und so von dem Volke selbst der Gesammtheit


Grenzboten til. 1370. 13
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/145>, abgerufen am 17.06.2024.