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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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aller Parteien mehr als ebenbürtig gegenübergestellt, zwang er seine Gegner,
ihm eine Position nach der andern preiszugeben; nicht mit Gewalt, sondern
dadurch, daß er ihnen volle Freiheit gewährte, ihre selbstmörderische Politik
nach allen Richtungen hin zu entwickeln. Die Conservativen bildeten sich
ein, daß der Präsident für ihre Interessen arbeite, wenn er in Gemeinschaft
mit ihnen die entschieden republikanische Partei unterdrückte und überhaupt
der Reaction soviel Spielraum gewährte, als die Verhältnisse es irgend ge¬
statteten. In ihrer Verblendung sahen sie nicht, daß jeder Schlag, den sie
gegen die Demokratie führten, ihre Kräfte lähmte und daß sie durch die Fesselung
der unruhigen Pariser Elemente sich aller Mittel beraubten, um einem
Staatsstreich des Präsidenten Widerstand entgegenzusetzen. Man hatte jede
Repressivmaßregel des Präsidenten als rettende That gepriesen; man hatte
ihn auf der Bahn der Reaction weiter und weiter gedrängt und er hatte
sich sehr gern weiter drängen lassen. Man hatte die römische .Erpedition, die
nur dem Präsidenten Nutzen brachte, gut geheißen und den durch dieselbe
hervorgerufenen Aufstandsversuch der äußersten Linken zu Repressivmaßregeln,
wie die Suspension der Clubs, ausgebeutet; man hatte in Folge der Wahl
Eugen Sue's das Stimmrecht beschränkt (31. Mai 1850), der Presse durch
den Stempel und die Unterzeichnungspflicht Fesseln angelegt; man hatte in
der Unterrichtsfrage den Klerikalen Zugeständnisse gemacht: -- die Früchte
aller dieser Maßregeln erntete der Prinz. Die Concessionen an die klerikal"
Partei in der römischen und Unterrichtsfrage besiegelten sein Bündniß mit
der Geistlichkeit, das für ihn wegen des Einflusses derselben auf die Land,
bevölkerung von so großer Wichtigkeit war; die Repressivmaßregeln brachen
die Widerstandskraft der Massen. Und dabei verstand es der Prinz vortreff¬
lich, den Liberalen zu spielen und die Verantwortlichkeit für alle gehässigen
Maßregeln auf die Majorität der Versammlung abzuwälzen. Als ihm gegen¬
über in einer Privatunterredung ein ehemaliger Minister der Republik auf
die Frage, welches die bisher begangenen Fehler seiner Regierung seien, die
römische Expedition als den größten von allen bezeichnete, erwiderte der Prinz,
auf die Thüre seines Cabinets zeigend: "Diese Thüre hat sich niemals geöffnet,
seit ich hier wohne, ohne Jemandem Einlaß zu gewähren, der mir nicht zu¬
gerufen: Nach Rom! Herr von Montalembert, Herr Thiers, Herr Berryer
haben mir unaufhörlich diese beiden Worte wiederholt, die Zahl der Anhänger
der Expedition hat in dem Maße zugenommen, daß es zuletzt eine wahre
Fluth geworden ist." Dabei hob er die Hände in die Höhe, als ob er sagen
wollte: die Fluth ist mir über den Kopf gestiegen. Ein anderes noch
schlagenderes Beispiel: Bei Einweihung einer Eisenbahn in Dijon erklärte er
ganz offen: "Seit drei Jahren hat man bemerken können. i>aß ich immer von
der Versammlung unterstützt worden bin, wenn es sich darum gehandelt hat,


aller Parteien mehr als ebenbürtig gegenübergestellt, zwang er seine Gegner,
ihm eine Position nach der andern preiszugeben; nicht mit Gewalt, sondern
dadurch, daß er ihnen volle Freiheit gewährte, ihre selbstmörderische Politik
nach allen Richtungen hin zu entwickeln. Die Conservativen bildeten sich
ein, daß der Präsident für ihre Interessen arbeite, wenn er in Gemeinschaft
mit ihnen die entschieden republikanische Partei unterdrückte und überhaupt
der Reaction soviel Spielraum gewährte, als die Verhältnisse es irgend ge¬
statteten. In ihrer Verblendung sahen sie nicht, daß jeder Schlag, den sie
gegen die Demokratie führten, ihre Kräfte lähmte und daß sie durch die Fesselung
der unruhigen Pariser Elemente sich aller Mittel beraubten, um einem
Staatsstreich des Präsidenten Widerstand entgegenzusetzen. Man hatte jede
Repressivmaßregel des Präsidenten als rettende That gepriesen; man hatte
ihn auf der Bahn der Reaction weiter und weiter gedrängt und er hatte
sich sehr gern weiter drängen lassen. Man hatte die römische .Erpedition, die
nur dem Präsidenten Nutzen brachte, gut geheißen und den durch dieselbe
hervorgerufenen Aufstandsversuch der äußersten Linken zu Repressivmaßregeln,
wie die Suspension der Clubs, ausgebeutet; man hatte in Folge der Wahl
Eugen Sue's das Stimmrecht beschränkt (31. Mai 1850), der Presse durch
den Stempel und die Unterzeichnungspflicht Fesseln angelegt; man hatte in
der Unterrichtsfrage den Klerikalen Zugeständnisse gemacht: — die Früchte
aller dieser Maßregeln erntete der Prinz. Die Concessionen an die klerikal«
Partei in der römischen und Unterrichtsfrage besiegelten sein Bündniß mit
der Geistlichkeit, das für ihn wegen des Einflusses derselben auf die Land,
bevölkerung von so großer Wichtigkeit war; die Repressivmaßregeln brachen
die Widerstandskraft der Massen. Und dabei verstand es der Prinz vortreff¬
lich, den Liberalen zu spielen und die Verantwortlichkeit für alle gehässigen
Maßregeln auf die Majorität der Versammlung abzuwälzen. Als ihm gegen¬
über in einer Privatunterredung ein ehemaliger Minister der Republik auf
die Frage, welches die bisher begangenen Fehler seiner Regierung seien, die
römische Expedition als den größten von allen bezeichnete, erwiderte der Prinz,
auf die Thüre seines Cabinets zeigend: „Diese Thüre hat sich niemals geöffnet,
seit ich hier wohne, ohne Jemandem Einlaß zu gewähren, der mir nicht zu¬
gerufen: Nach Rom! Herr von Montalembert, Herr Thiers, Herr Berryer
haben mir unaufhörlich diese beiden Worte wiederholt, die Zahl der Anhänger
der Expedition hat in dem Maße zugenommen, daß es zuletzt eine wahre
Fluth geworden ist." Dabei hob er die Hände in die Höhe, als ob er sagen
wollte: die Fluth ist mir über den Kopf gestiegen. Ein anderes noch
schlagenderes Beispiel: Bei Einweihung einer Eisenbahn in Dijon erklärte er
ganz offen: „Seit drei Jahren hat man bemerken können. i>aß ich immer von
der Versammlung unterstützt worden bin, wenn es sich darum gehandelt hat,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/146>, abgerufen am 17.06.2024.