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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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die Unordnung durch Maßregeln der Unterdrückung zu bekämpfen; wenn ich
das Gute habe thun, das Loos des Volkes verbessern wollen, hat sie mir
ihre Mitwirkung versagt. Wenn Frankreich zu der Erkenntniß kommt, daß
man nicht das Recht hat, ohne sein Zuthun über es zu verfügen, so braucht
Frankreich es nur zu sagen; meinen Muth und meine Energie wird es nicht
vergebens anrufen." Daß diese Stelle bei der Wiedergabe der Rede im
Moniteur ausgelassen und somit stillschweigend verleugnet wurde, war keines¬
wegs geeignet, ihren Eindruck auf Feind und Freund zu schwächen.

Unter diesen Umständen, bei dieser Offenheit mit der der Prinz bei den>
verschiedensten Veranlassungen der Nation seine Gedanken und Hoffnungen ver-
kündigte, waren die Sraatsstreichgerüchte epidemisch geworden. Eine schnelle
Entscheidung herbeizuführen lag indessen nicht in der Absicht des Prinzen,
der vielmehr wünschte, sein Ziel allmälig und ohne Staatsstreich zu er¬
reichen, oder, wenn dies nicht möglich sein sollte, den Staatsstreich wenig¬
stens als aufgezwungene Maßregel berechtigter Abwehr erscheinen zu lassen.
Er wünschte zunächst nach Ablauf seiner Präsidentschaft sich von Neuem
wählen zu lassen und er mußte daher Alles aufbieten, um aus der Ver¬
fassung die Bestimmung hinauszurevidiren, welche die unmittelbare Wieder¬
wahl des Präsidenten verbot Um die Revision drehte sich also eine Zeit
lang die Frage der Zukunft. Für dieselbe stimmte die Mehrzahl der Con-
servativen: die Legitimisten in dem thörichten Wahne, daß dieselbe die Wie¬
derherstellung der alten Monarchie zur Folge haben werde; die Orleanisten
(es ist kaum glaublich), weil sie dem Prinzen durch Verlängerung seines
Maubads auf etwa zehn Jahre den Vorwand zu einem Staatsstreich ab¬
schneiden wollten! Die Republikaner stimmten gegen die Revision, und ihnen
schlossen sich einige wenige Conservative an. darunter Thiers, der es nicht
vergessen konnte, daß er von dem Präsidenten, den er zu leiten glaubte,
dupirt worden war. Das Resultat war, daß die Revision, obgleich sich eine
bedeutende Mehrheit für dieselbe erklärt hatte, fiel, weil diese Mehrheit die
erforderlichen zwei Drittel nicht erreichte.

Von diesem Augenblick an war der Staatsstreich beschlossene Sache. Die
Bildung eines neuen Ministeriums, in dem Saint-Arnaud das Departement
des Kriegs übernahm, die immer offener und mit herausfordernder Osten¬
tation betriebene Bearbeitung des Militärs, machten es dem Blindesten klar,
daß der entscheidende Augenblick herannahe. Die Versammlung suchte sich
in Vertheidigungszustand zu setzen; aber der viel besprochene Antrag, der
Quästoren. der ihr die Verfügung über die bewaffnete Macht in die Hände
spielen sollte, ward abgelehnt, in Folge des höchst unzeitgemäßer Gelüstens
der Linken, der Rechten eine Lection zu ertheilen. Die Annahme des An¬
trags würde übrigens nur die Entscheidung beschleunigt, nicht aber den Gang


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die Unordnung durch Maßregeln der Unterdrückung zu bekämpfen; wenn ich
das Gute habe thun, das Loos des Volkes verbessern wollen, hat sie mir
ihre Mitwirkung versagt. Wenn Frankreich zu der Erkenntniß kommt, daß
man nicht das Recht hat, ohne sein Zuthun über es zu verfügen, so braucht
Frankreich es nur zu sagen; meinen Muth und meine Energie wird es nicht
vergebens anrufen." Daß diese Stelle bei der Wiedergabe der Rede im
Moniteur ausgelassen und somit stillschweigend verleugnet wurde, war keines¬
wegs geeignet, ihren Eindruck auf Feind und Freund zu schwächen.

Unter diesen Umständen, bei dieser Offenheit mit der der Prinz bei den>
verschiedensten Veranlassungen der Nation seine Gedanken und Hoffnungen ver-
kündigte, waren die Sraatsstreichgerüchte epidemisch geworden. Eine schnelle
Entscheidung herbeizuführen lag indessen nicht in der Absicht des Prinzen,
der vielmehr wünschte, sein Ziel allmälig und ohne Staatsstreich zu er¬
reichen, oder, wenn dies nicht möglich sein sollte, den Staatsstreich wenig¬
stens als aufgezwungene Maßregel berechtigter Abwehr erscheinen zu lassen.
Er wünschte zunächst nach Ablauf seiner Präsidentschaft sich von Neuem
wählen zu lassen und er mußte daher Alles aufbieten, um aus der Ver¬
fassung die Bestimmung hinauszurevidiren, welche die unmittelbare Wieder¬
wahl des Präsidenten verbot Um die Revision drehte sich also eine Zeit
lang die Frage der Zukunft. Für dieselbe stimmte die Mehrzahl der Con-
servativen: die Legitimisten in dem thörichten Wahne, daß dieselbe die Wie¬
derherstellung der alten Monarchie zur Folge haben werde; die Orleanisten
(es ist kaum glaublich), weil sie dem Prinzen durch Verlängerung seines
Maubads auf etwa zehn Jahre den Vorwand zu einem Staatsstreich ab¬
schneiden wollten! Die Republikaner stimmten gegen die Revision, und ihnen
schlossen sich einige wenige Conservative an. darunter Thiers, der es nicht
vergessen konnte, daß er von dem Präsidenten, den er zu leiten glaubte,
dupirt worden war. Das Resultat war, daß die Revision, obgleich sich eine
bedeutende Mehrheit für dieselbe erklärt hatte, fiel, weil diese Mehrheit die
erforderlichen zwei Drittel nicht erreichte.

Von diesem Augenblick an war der Staatsstreich beschlossene Sache. Die
Bildung eines neuen Ministeriums, in dem Saint-Arnaud das Departement
des Kriegs übernahm, die immer offener und mit herausfordernder Osten¬
tation betriebene Bearbeitung des Militärs, machten es dem Blindesten klar,
daß der entscheidende Augenblick herannahe. Die Versammlung suchte sich
in Vertheidigungszustand zu setzen; aber der viel besprochene Antrag, der
Quästoren. der ihr die Verfügung über die bewaffnete Macht in die Hände
spielen sollte, ward abgelehnt, in Folge des höchst unzeitgemäßer Gelüstens
der Linken, der Rechten eine Lection zu ertheilen. Die Annahme des An¬
trags würde übrigens nur die Entscheidung beschleunigt, nicht aber den Gang


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[0147] die Unordnung durch Maßregeln der Unterdrückung zu bekämpfen; wenn ich das Gute habe thun, das Loos des Volkes verbessern wollen, hat sie mir ihre Mitwirkung versagt. Wenn Frankreich zu der Erkenntniß kommt, daß man nicht das Recht hat, ohne sein Zuthun über es zu verfügen, so braucht Frankreich es nur zu sagen; meinen Muth und meine Energie wird es nicht vergebens anrufen." Daß diese Stelle bei der Wiedergabe der Rede im Moniteur ausgelassen und somit stillschweigend verleugnet wurde, war keines¬ wegs geeignet, ihren Eindruck auf Feind und Freund zu schwächen. Unter diesen Umständen, bei dieser Offenheit mit der der Prinz bei den> verschiedensten Veranlassungen der Nation seine Gedanken und Hoffnungen ver- kündigte, waren die Sraatsstreichgerüchte epidemisch geworden. Eine schnelle Entscheidung herbeizuführen lag indessen nicht in der Absicht des Prinzen, der vielmehr wünschte, sein Ziel allmälig und ohne Staatsstreich zu er¬ reichen, oder, wenn dies nicht möglich sein sollte, den Staatsstreich wenig¬ stens als aufgezwungene Maßregel berechtigter Abwehr erscheinen zu lassen. Er wünschte zunächst nach Ablauf seiner Präsidentschaft sich von Neuem wählen zu lassen und er mußte daher Alles aufbieten, um aus der Ver¬ fassung die Bestimmung hinauszurevidiren, welche die unmittelbare Wieder¬ wahl des Präsidenten verbot Um die Revision drehte sich also eine Zeit lang die Frage der Zukunft. Für dieselbe stimmte die Mehrzahl der Con- servativen: die Legitimisten in dem thörichten Wahne, daß dieselbe die Wie¬ derherstellung der alten Monarchie zur Folge haben werde; die Orleanisten (es ist kaum glaublich), weil sie dem Prinzen durch Verlängerung seines Maubads auf etwa zehn Jahre den Vorwand zu einem Staatsstreich ab¬ schneiden wollten! Die Republikaner stimmten gegen die Revision, und ihnen schlossen sich einige wenige Conservative an. darunter Thiers, der es nicht vergessen konnte, daß er von dem Präsidenten, den er zu leiten glaubte, dupirt worden war. Das Resultat war, daß die Revision, obgleich sich eine bedeutende Mehrheit für dieselbe erklärt hatte, fiel, weil diese Mehrheit die erforderlichen zwei Drittel nicht erreichte. Von diesem Augenblick an war der Staatsstreich beschlossene Sache. Die Bildung eines neuen Ministeriums, in dem Saint-Arnaud das Departement des Kriegs übernahm, die immer offener und mit herausfordernder Osten¬ tation betriebene Bearbeitung des Militärs, machten es dem Blindesten klar, daß der entscheidende Augenblick herannahe. Die Versammlung suchte sich in Vertheidigungszustand zu setzen; aber der viel besprochene Antrag, der Quästoren. der ihr die Verfügung über die bewaffnete Macht in die Hände spielen sollte, ward abgelehnt, in Folge des höchst unzeitgemäßer Gelüstens der Linken, der Rechten eine Lection zu ertheilen. Die Annahme des An¬ trags würde übrigens nur die Entscheidung beschleunigt, nicht aber den Gang 18*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/147>, abgerufen am 17.06.2024.