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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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der Begebenheiten verändert haben, da die Pariser Truppen längst für den
Prinzen gewonnen waren. Taxile Delord ist der Meinung, die Partie habe
damals noch so gestanden, daß. wer den ersten Schlag gethan, des Sieges
hätte sicher sein können. Aber die Versammlung hatte sich so geschwächt,
daß sie weder einen Schlag führen noch Pariren. daß sie überhaupt nicht mehr
handeln konnte.

Unter diesen Umständen hätte, wie auch aus Delords Darstellung im
Widerspruch zu seiner Ansicht über die Widerstandskraft der Versammlung
klar hervorgeht, der Prinz des Gemetzels in den Deeembertagen gar nicht
bedurft, um zum Ziele zu gelangen; die Bewegung in den Straßen hätte
sich leicht und ohne Blutvergießen unterdrücken lassen. Ob ein Ausruf zu
den Waffen, im Beginn der entscheidenden Krisis von der Versammlung er¬
lassen, einen namhaften Theil der Pariser Bevölkerung begeistert haben würde,
läßt sich nicht entscheiden. Aber ein solcher Aufruf erfolgte nicht. Der
Widerstand der Versammlung und einzelner Gruppen derselben beschränkte
sich auf wirkungslose Proteste. Man wich nur der "Gewalt", die in einer
Parteiversammlung darin bestand, daß die Truppen den Präsidenten an dem
Arme faßten und höflich aus dem Saale führten. Die Führer waren offen¬
bar sehr zufrieden damit, daß sie durch ihre Verhaftung der Verlegenheit,
einen Entschluß zu fassen, enthoben worden waren. Die Bevölkerung, die
sich für eine Versammlung, deren Dasein ein beständiger Kampf gegen die
Republik gewesen war, unmöglich begeistern konnte, zeigte sich im Ganzen so
gleichgtltig, daß der Barrikadenbau, der den Vorwand zum Blutvergießen
bot. sich ohne Mühe hätte verhindern lassen. Aber der Prinz glaubte eines
Straßenkampfes zur Rechtfertigung des Staatsstreichs zu bedürfen. Hätte
er bei der Bevölkerung Begeisterung statt Glnchgiltigkeit gefunden, dann
hätte er ohne Kampf als Sieger triumphiren können; die Begeisterung hätte
ihm Absolution für seinen Verfassungsbruch gewährt. Aber von Begeiste¬
rung keine Spur! So hielt man denn einen Kampf, der es möglich machte,
die Führer der Versammlung als Verschwörer gegen die Executtvgewalt er¬
scheinen zu lassen und als solche zu ächten, für das einzige Mittel, den
Staatsstreich formell zu rechtfertigen. Hierin liegt das Grauenhafte, Em¬
pörende des Kampfes. Dies Grauen haftet noch bis auf den heutigen Tag
in den Gemüthern; und ohne die Füstlladen des Decembers gäbe es keine
"Unversöhnlichen", wenigstens würde es ihnen nimmermehr gelingen, eine
allerdings fluctuirende, aber in kritischen Momenten oft gewaltig anschwel¬
lende Partei um sich zu sammeln.

Indessen für den Frevel im December hat die Nation dem Kaiser eine
bedingte Amnestie ertheilt durch das Wohlwollen, mit dem auch die über¬
wiegende Mehrheit der liberalen Partei die Neubegründung des constitutio-


der Begebenheiten verändert haben, da die Pariser Truppen längst für den
Prinzen gewonnen waren. Taxile Delord ist der Meinung, die Partie habe
damals noch so gestanden, daß. wer den ersten Schlag gethan, des Sieges
hätte sicher sein können. Aber die Versammlung hatte sich so geschwächt,
daß sie weder einen Schlag führen noch Pariren. daß sie überhaupt nicht mehr
handeln konnte.

Unter diesen Umständen hätte, wie auch aus Delords Darstellung im
Widerspruch zu seiner Ansicht über die Widerstandskraft der Versammlung
klar hervorgeht, der Prinz des Gemetzels in den Deeembertagen gar nicht
bedurft, um zum Ziele zu gelangen; die Bewegung in den Straßen hätte
sich leicht und ohne Blutvergießen unterdrücken lassen. Ob ein Ausruf zu
den Waffen, im Beginn der entscheidenden Krisis von der Versammlung er¬
lassen, einen namhaften Theil der Pariser Bevölkerung begeistert haben würde,
läßt sich nicht entscheiden. Aber ein solcher Aufruf erfolgte nicht. Der
Widerstand der Versammlung und einzelner Gruppen derselben beschränkte
sich auf wirkungslose Proteste. Man wich nur der „Gewalt", die in einer
Parteiversammlung darin bestand, daß die Truppen den Präsidenten an dem
Arme faßten und höflich aus dem Saale führten. Die Führer waren offen¬
bar sehr zufrieden damit, daß sie durch ihre Verhaftung der Verlegenheit,
einen Entschluß zu fassen, enthoben worden waren. Die Bevölkerung, die
sich für eine Versammlung, deren Dasein ein beständiger Kampf gegen die
Republik gewesen war, unmöglich begeistern konnte, zeigte sich im Ganzen so
gleichgtltig, daß der Barrikadenbau, der den Vorwand zum Blutvergießen
bot. sich ohne Mühe hätte verhindern lassen. Aber der Prinz glaubte eines
Straßenkampfes zur Rechtfertigung des Staatsstreichs zu bedürfen. Hätte
er bei der Bevölkerung Begeisterung statt Glnchgiltigkeit gefunden, dann
hätte er ohne Kampf als Sieger triumphiren können; die Begeisterung hätte
ihm Absolution für seinen Verfassungsbruch gewährt. Aber von Begeiste¬
rung keine Spur! So hielt man denn einen Kampf, der es möglich machte,
die Führer der Versammlung als Verschwörer gegen die Executtvgewalt er¬
scheinen zu lassen und als solche zu ächten, für das einzige Mittel, den
Staatsstreich formell zu rechtfertigen. Hierin liegt das Grauenhafte, Em¬
pörende des Kampfes. Dies Grauen haftet noch bis auf den heutigen Tag
in den Gemüthern; und ohne die Füstlladen des Decembers gäbe es keine
„Unversöhnlichen", wenigstens würde es ihnen nimmermehr gelingen, eine
allerdings fluctuirende, aber in kritischen Momenten oft gewaltig anschwel¬
lende Partei um sich zu sammeln.

Indessen für den Frevel im December hat die Nation dem Kaiser eine
bedingte Amnestie ertheilt durch das Wohlwollen, mit dem auch die über¬
wiegende Mehrheit der liberalen Partei die Neubegründung des constitutio-


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[0148] der Begebenheiten verändert haben, da die Pariser Truppen längst für den Prinzen gewonnen waren. Taxile Delord ist der Meinung, die Partie habe damals noch so gestanden, daß. wer den ersten Schlag gethan, des Sieges hätte sicher sein können. Aber die Versammlung hatte sich so geschwächt, daß sie weder einen Schlag führen noch Pariren. daß sie überhaupt nicht mehr handeln konnte. Unter diesen Umständen hätte, wie auch aus Delords Darstellung im Widerspruch zu seiner Ansicht über die Widerstandskraft der Versammlung klar hervorgeht, der Prinz des Gemetzels in den Deeembertagen gar nicht bedurft, um zum Ziele zu gelangen; die Bewegung in den Straßen hätte sich leicht und ohne Blutvergießen unterdrücken lassen. Ob ein Ausruf zu den Waffen, im Beginn der entscheidenden Krisis von der Versammlung er¬ lassen, einen namhaften Theil der Pariser Bevölkerung begeistert haben würde, läßt sich nicht entscheiden. Aber ein solcher Aufruf erfolgte nicht. Der Widerstand der Versammlung und einzelner Gruppen derselben beschränkte sich auf wirkungslose Proteste. Man wich nur der „Gewalt", die in einer Parteiversammlung darin bestand, daß die Truppen den Präsidenten an dem Arme faßten und höflich aus dem Saale führten. Die Führer waren offen¬ bar sehr zufrieden damit, daß sie durch ihre Verhaftung der Verlegenheit, einen Entschluß zu fassen, enthoben worden waren. Die Bevölkerung, die sich für eine Versammlung, deren Dasein ein beständiger Kampf gegen die Republik gewesen war, unmöglich begeistern konnte, zeigte sich im Ganzen so gleichgtltig, daß der Barrikadenbau, der den Vorwand zum Blutvergießen bot. sich ohne Mühe hätte verhindern lassen. Aber der Prinz glaubte eines Straßenkampfes zur Rechtfertigung des Staatsstreichs zu bedürfen. Hätte er bei der Bevölkerung Begeisterung statt Glnchgiltigkeit gefunden, dann hätte er ohne Kampf als Sieger triumphiren können; die Begeisterung hätte ihm Absolution für seinen Verfassungsbruch gewährt. Aber von Begeiste¬ rung keine Spur! So hielt man denn einen Kampf, der es möglich machte, die Führer der Versammlung als Verschwörer gegen die Executtvgewalt er¬ scheinen zu lassen und als solche zu ächten, für das einzige Mittel, den Staatsstreich formell zu rechtfertigen. Hierin liegt das Grauenhafte, Em¬ pörende des Kampfes. Dies Grauen haftet noch bis auf den heutigen Tag in den Gemüthern; und ohne die Füstlladen des Decembers gäbe es keine „Unversöhnlichen", wenigstens würde es ihnen nimmermehr gelingen, eine allerdings fluctuirende, aber in kritischen Momenten oft gewaltig anschwel¬ lende Partei um sich zu sammeln. Indessen für den Frevel im December hat die Nation dem Kaiser eine bedingte Amnestie ertheilt durch das Wohlwollen, mit dem auch die über¬ wiegende Mehrheit der liberalen Partei die Neubegründung des constitutio-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/148>, abgerufen am 17.06.2024.