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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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retten Systems aufgenommen hat. Aber dieser Bruch des Liberalismus mit
den Unversöhnlichen ist an die Voraussetzung geknüpft, daß der Bruch des
Kaisers mit dem persönlichen Regime ein aufrichtiger sei. Ist es psycho¬
logisch wahrscheinlich, daß dieser Bruch mit der Vergangenheit, diese Selbst¬
verleugnung ohne jeden Hintergedanken erfolgt sei, daß der Kaiser innerlich
darauf Verzicht geleistet habe, eine sich ihm bietende Gelegenheit zur Wieder-
Herstellung des Absolutismus zu benutzen?

Der Charakter des Kaisers ist in hohem Grade entwickelungsfähig, und
er hat sich in der That fast unausgesetzt entwickelt. Welch ein Unterschied
in den Gesichtszügen des jugendlichen goues entste, wie Hortense ihn nannte,
und denen des langsam erwägenden, etwas schwerfälligen, verschlossenen Herr¬
schers! Aber vergleicht man die beiden Porträts genauer, so findet man doch
trotz aller äußeren Verschiedenheit dieselben wesentlichen Charakterzüge in
beiden. Eine bis zum Eigensinn gehende Beharrlichkeit, die durch keine Nie¬
derlage, keine Demüthigung von der Verfolgung ihres Zieles sich zurückschrecken
läßt. Der Kaiser hat bis jetzt niemals auf irgend einen Plan definitiv ver¬
zichtet. Und sollte er jetzt, wo er sich unter das Joch des ihm verhaßten
Systems gebeugt hat, endgiltig den Ideen entsagt haben, mit denen sein
Wesen so eng verwachsen ist, daß es ohne dieselben, man möchte fast sagen
leer und inhaltslos wird?

Und im Princip hat ja Napoleon trotz aller Zugeständnisse, durch Ein¬
fügung des Plebiscits in das neue constitutionelle Schema, mit der ihm
eigenthümlichen Zähigkeit das demokratische Kaiserthum aufrecht erhalten. Im
Princip, und in Folge der haltlosen Schwäche Ollivier's. auch wohl that¬
sächlich, ist er trotz aller Ministerverantwortlichkeit der verantwortliche Chef
der französischen Demokratie geblieben. Das kaum erloschene M-ißtrauen des
Liberalismus in die letzten Absichten des Kaisers ist daher durch die Plebis¬
citbewegung wieder ins Leben gerufen worden; jeder Erfolg des Kaisers
steigert dasselbe. Der Kaiser hat sich mit dem Plebiscit eine Waffe geschmie¬
det, und wer eine Waffe besitzt, von dem setzt man voraus, daß er sie bei
gegebener Gelegenheit auch gebrauchen wird. Die Zukunft Frankreichs ist
daher auch nach Wiederherstellung des Parlamentarismus ein Problem ge¬
blieben, dessen Lösung von der größeren oder geringeren Kraft und Einsicht
des öffentlichen Geistes bedingt ist. An eine naturgemäße Entwickelung der
Verhältnisse kann freilich jetzt, am Beginn des deutschen Krieges, nicht mehr
gedacht werden.


G. Z.


retten Systems aufgenommen hat. Aber dieser Bruch des Liberalismus mit
den Unversöhnlichen ist an die Voraussetzung geknüpft, daß der Bruch des
Kaisers mit dem persönlichen Regime ein aufrichtiger sei. Ist es psycho¬
logisch wahrscheinlich, daß dieser Bruch mit der Vergangenheit, diese Selbst¬
verleugnung ohne jeden Hintergedanken erfolgt sei, daß der Kaiser innerlich
darauf Verzicht geleistet habe, eine sich ihm bietende Gelegenheit zur Wieder-
Herstellung des Absolutismus zu benutzen?

Der Charakter des Kaisers ist in hohem Grade entwickelungsfähig, und
er hat sich in der That fast unausgesetzt entwickelt. Welch ein Unterschied
in den Gesichtszügen des jugendlichen goues entste, wie Hortense ihn nannte,
und denen des langsam erwägenden, etwas schwerfälligen, verschlossenen Herr¬
schers! Aber vergleicht man die beiden Porträts genauer, so findet man doch
trotz aller äußeren Verschiedenheit dieselben wesentlichen Charakterzüge in
beiden. Eine bis zum Eigensinn gehende Beharrlichkeit, die durch keine Nie¬
derlage, keine Demüthigung von der Verfolgung ihres Zieles sich zurückschrecken
läßt. Der Kaiser hat bis jetzt niemals auf irgend einen Plan definitiv ver¬
zichtet. Und sollte er jetzt, wo er sich unter das Joch des ihm verhaßten
Systems gebeugt hat, endgiltig den Ideen entsagt haben, mit denen sein
Wesen so eng verwachsen ist, daß es ohne dieselben, man möchte fast sagen
leer und inhaltslos wird?

Und im Princip hat ja Napoleon trotz aller Zugeständnisse, durch Ein¬
fügung des Plebiscits in das neue constitutionelle Schema, mit der ihm
eigenthümlichen Zähigkeit das demokratische Kaiserthum aufrecht erhalten. Im
Princip, und in Folge der haltlosen Schwäche Ollivier's. auch wohl that¬
sächlich, ist er trotz aller Ministerverantwortlichkeit der verantwortliche Chef
der französischen Demokratie geblieben. Das kaum erloschene M-ißtrauen des
Liberalismus in die letzten Absichten des Kaisers ist daher durch die Plebis¬
citbewegung wieder ins Leben gerufen worden; jeder Erfolg des Kaisers
steigert dasselbe. Der Kaiser hat sich mit dem Plebiscit eine Waffe geschmie¬
det, und wer eine Waffe besitzt, von dem setzt man voraus, daß er sie bei
gegebener Gelegenheit auch gebrauchen wird. Die Zukunft Frankreichs ist
daher auch nach Wiederherstellung des Parlamentarismus ein Problem ge¬
blieben, dessen Lösung von der größeren oder geringeren Kraft und Einsicht
des öffentlichen Geistes bedingt ist. An eine naturgemäße Entwickelung der
Verhältnisse kann freilich jetzt, am Beginn des deutschen Krieges, nicht mehr
gedacht werden.


G. Z.


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[0149] retten Systems aufgenommen hat. Aber dieser Bruch des Liberalismus mit den Unversöhnlichen ist an die Voraussetzung geknüpft, daß der Bruch des Kaisers mit dem persönlichen Regime ein aufrichtiger sei. Ist es psycho¬ logisch wahrscheinlich, daß dieser Bruch mit der Vergangenheit, diese Selbst¬ verleugnung ohne jeden Hintergedanken erfolgt sei, daß der Kaiser innerlich darauf Verzicht geleistet habe, eine sich ihm bietende Gelegenheit zur Wieder- Herstellung des Absolutismus zu benutzen? Der Charakter des Kaisers ist in hohem Grade entwickelungsfähig, und er hat sich in der That fast unausgesetzt entwickelt. Welch ein Unterschied in den Gesichtszügen des jugendlichen goues entste, wie Hortense ihn nannte, und denen des langsam erwägenden, etwas schwerfälligen, verschlossenen Herr¬ schers! Aber vergleicht man die beiden Porträts genauer, so findet man doch trotz aller äußeren Verschiedenheit dieselben wesentlichen Charakterzüge in beiden. Eine bis zum Eigensinn gehende Beharrlichkeit, die durch keine Nie¬ derlage, keine Demüthigung von der Verfolgung ihres Zieles sich zurückschrecken läßt. Der Kaiser hat bis jetzt niemals auf irgend einen Plan definitiv ver¬ zichtet. Und sollte er jetzt, wo er sich unter das Joch des ihm verhaßten Systems gebeugt hat, endgiltig den Ideen entsagt haben, mit denen sein Wesen so eng verwachsen ist, daß es ohne dieselben, man möchte fast sagen leer und inhaltslos wird? Und im Princip hat ja Napoleon trotz aller Zugeständnisse, durch Ein¬ fügung des Plebiscits in das neue constitutionelle Schema, mit der ihm eigenthümlichen Zähigkeit das demokratische Kaiserthum aufrecht erhalten. Im Princip, und in Folge der haltlosen Schwäche Ollivier's. auch wohl that¬ sächlich, ist er trotz aller Ministerverantwortlichkeit der verantwortliche Chef der französischen Demokratie geblieben. Das kaum erloschene M-ißtrauen des Liberalismus in die letzten Absichten des Kaisers ist daher durch die Plebis¬ citbewegung wieder ins Leben gerufen worden; jeder Erfolg des Kaisers steigert dasselbe. Der Kaiser hat sich mit dem Plebiscit eine Waffe geschmie¬ det, und wer eine Waffe besitzt, von dem setzt man voraus, daß er sie bei gegebener Gelegenheit auch gebrauchen wird. Die Zukunft Frankreichs ist daher auch nach Wiederherstellung des Parlamentarismus ein Problem ge¬ blieben, dessen Lösung von der größeren oder geringeren Kraft und Einsicht des öffentlichen Geistes bedingt ist. An eine naturgemäße Entwickelung der Verhältnisse kann freilich jetzt, am Beginn des deutschen Krieges, nicht mehr gedacht werden. G. Z.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/149>, abgerufen am 17.06.2024.