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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Lord Clarendon und das jetzige englische Ministerium.

Wiederum ist einer jener liberal-aristokratischen Staatsmänner geschieden,
welche seit dem Sturz des nahezu dreißigjährigen Toryregimentes vornehmlich
das Steuer des brittischen Staatsschiffs geführt und dasselbe aus den Ge¬
wässern der Reaction in die der Reform gelenkt. Lord Clarendon war weder
ein großer Staatsmann noch ein großer Redner, aber er war ein ausgezeich¬
neter Geschäftsmann, von offenem Kopf, kaltem Blut, edler Gesinnung und
vorzüglichen Formen. Er stieg nicht wie die meisten englischen Staatsmänner
durch eine parlamentarische Laufbahn zum Minister, sondern war einer der
wenigen Staatssecretäre des Auswärtigen, die eine diplomatische und Be-
amtencarriöre durchgemacht, ehe sie in Downing-Street einzogen. Als jüngerer
Sohn geboren, hatte Mr. Millers für sein Brod zu arbeiten und trat nach
kurzem Debüt als Attache' in Se. Petersburg 1823 unter dem Marquis of
Anglesea, der damals Lord-Lieutenant von Irland war, in das Steuerdepar¬
tement zu Dublin. Diese Thätigkeit verschaffte ihm eine Kenntniß in com-
merciellen Fragen, die damals unter seinen Standesgenossen selten war und
einen Einblick in die irischen Verhältnisse, welche ihm später sehr nützlich
wurde. Nachdem Lord Anglesea von seinem Posten hatte weichen müssen,
weil er seine Ansichten über die Katholtkenemancipation und sonstige irische
Reformen nicht durchsetzen konnte, trat Millers in den diplomatischen Dienst
zurück. Seine erste bedeutende Misston war, als er 1833 im Augenblicke des
ausbrechenden Bürgerkriegs nach Madrid gesandt ward. England und
Frankreich allein hatten damals die Königin Jsabella anerkannt, während
das gesammte conservative Europa auf Seiten von Don Carlos stand.
Mr. Millers nahm bei der Regentin Königin Christine und den damaligen
Machthabern eine sehr einflußreiche Stellung ein, er setzte es durch, daß die
beiden Parteien versprachen, ihre Gefangenen menschlicher zu behandeln, und
wußte nach langen Bemühungen die erste Convention zu Stande zu bringen,
durch welche Spanien sich zur Unterdrückung des Sclavenhandels verbindlich
machte. Nachdem früher sein älterer Bruder gestorben war, ward er 1839
durch den Tod seines Onkels Carl von Clarendon und debütirte im Ober¬
haus mit einer sehr würdigen Vertheidigung seiner diplomatischen Thätigkeit
in Madrid. Im Laufe der vierziger Jahre war er in untergeordneten Posten
mehrmals Mitglied der sich rasch folgenden liberalen Cabinette, 1848 ward
er als Statthalter nach Dublin gesandt und zeigte dort unter den schwierig¬
sten Umständen so viel Energie und Mäßigung, daß er in Irland wie in Eng¬
land gleiche Anerkennung fand. Seine ruhige aber entschiedene Haltung, sein


Lord Clarendon und das jetzige englische Ministerium.

Wiederum ist einer jener liberal-aristokratischen Staatsmänner geschieden,
welche seit dem Sturz des nahezu dreißigjährigen Toryregimentes vornehmlich
das Steuer des brittischen Staatsschiffs geführt und dasselbe aus den Ge¬
wässern der Reaction in die der Reform gelenkt. Lord Clarendon war weder
ein großer Staatsmann noch ein großer Redner, aber er war ein ausgezeich¬
neter Geschäftsmann, von offenem Kopf, kaltem Blut, edler Gesinnung und
vorzüglichen Formen. Er stieg nicht wie die meisten englischen Staatsmänner
durch eine parlamentarische Laufbahn zum Minister, sondern war einer der
wenigen Staatssecretäre des Auswärtigen, die eine diplomatische und Be-
amtencarriöre durchgemacht, ehe sie in Downing-Street einzogen. Als jüngerer
Sohn geboren, hatte Mr. Millers für sein Brod zu arbeiten und trat nach
kurzem Debüt als Attache' in Se. Petersburg 1823 unter dem Marquis of
Anglesea, der damals Lord-Lieutenant von Irland war, in das Steuerdepar¬
tement zu Dublin. Diese Thätigkeit verschaffte ihm eine Kenntniß in com-
merciellen Fragen, die damals unter seinen Standesgenossen selten war und
einen Einblick in die irischen Verhältnisse, welche ihm später sehr nützlich
wurde. Nachdem Lord Anglesea von seinem Posten hatte weichen müssen,
weil er seine Ansichten über die Katholtkenemancipation und sonstige irische
Reformen nicht durchsetzen konnte, trat Millers in den diplomatischen Dienst
zurück. Seine erste bedeutende Misston war, als er 1833 im Augenblicke des
ausbrechenden Bürgerkriegs nach Madrid gesandt ward. England und
Frankreich allein hatten damals die Königin Jsabella anerkannt, während
das gesammte conservative Europa auf Seiten von Don Carlos stand.
Mr. Millers nahm bei der Regentin Königin Christine und den damaligen
Machthabern eine sehr einflußreiche Stellung ein, er setzte es durch, daß die
beiden Parteien versprachen, ihre Gefangenen menschlicher zu behandeln, und
wußte nach langen Bemühungen die erste Convention zu Stande zu bringen,
durch welche Spanien sich zur Unterdrückung des Sclavenhandels verbindlich
machte. Nachdem früher sein älterer Bruder gestorben war, ward er 1839
durch den Tod seines Onkels Carl von Clarendon und debütirte im Ober¬
haus mit einer sehr würdigen Vertheidigung seiner diplomatischen Thätigkeit
in Madrid. Im Laufe der vierziger Jahre war er in untergeordneten Posten
mehrmals Mitglied der sich rasch folgenden liberalen Cabinette, 1848 ward
er als Statthalter nach Dublin gesandt und zeigte dort unter den schwierig¬
sten Umständen so viel Energie und Mäßigung, daß er in Irland wie in Eng¬
land gleiche Anerkennung fand. Seine ruhige aber entschiedene Haltung, sein


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[0150] Lord Clarendon und das jetzige englische Ministerium. Wiederum ist einer jener liberal-aristokratischen Staatsmänner geschieden, welche seit dem Sturz des nahezu dreißigjährigen Toryregimentes vornehmlich das Steuer des brittischen Staatsschiffs geführt und dasselbe aus den Ge¬ wässern der Reaction in die der Reform gelenkt. Lord Clarendon war weder ein großer Staatsmann noch ein großer Redner, aber er war ein ausgezeich¬ neter Geschäftsmann, von offenem Kopf, kaltem Blut, edler Gesinnung und vorzüglichen Formen. Er stieg nicht wie die meisten englischen Staatsmänner durch eine parlamentarische Laufbahn zum Minister, sondern war einer der wenigen Staatssecretäre des Auswärtigen, die eine diplomatische und Be- amtencarriöre durchgemacht, ehe sie in Downing-Street einzogen. Als jüngerer Sohn geboren, hatte Mr. Millers für sein Brod zu arbeiten und trat nach kurzem Debüt als Attache' in Se. Petersburg 1823 unter dem Marquis of Anglesea, der damals Lord-Lieutenant von Irland war, in das Steuerdepar¬ tement zu Dublin. Diese Thätigkeit verschaffte ihm eine Kenntniß in com- merciellen Fragen, die damals unter seinen Standesgenossen selten war und einen Einblick in die irischen Verhältnisse, welche ihm später sehr nützlich wurde. Nachdem Lord Anglesea von seinem Posten hatte weichen müssen, weil er seine Ansichten über die Katholtkenemancipation und sonstige irische Reformen nicht durchsetzen konnte, trat Millers in den diplomatischen Dienst zurück. Seine erste bedeutende Misston war, als er 1833 im Augenblicke des ausbrechenden Bürgerkriegs nach Madrid gesandt ward. England und Frankreich allein hatten damals die Königin Jsabella anerkannt, während das gesammte conservative Europa auf Seiten von Don Carlos stand. Mr. Millers nahm bei der Regentin Königin Christine und den damaligen Machthabern eine sehr einflußreiche Stellung ein, er setzte es durch, daß die beiden Parteien versprachen, ihre Gefangenen menschlicher zu behandeln, und wußte nach langen Bemühungen die erste Convention zu Stande zu bringen, durch welche Spanien sich zur Unterdrückung des Sclavenhandels verbindlich machte. Nachdem früher sein älterer Bruder gestorben war, ward er 1839 durch den Tod seines Onkels Carl von Clarendon und debütirte im Ober¬ haus mit einer sehr würdigen Vertheidigung seiner diplomatischen Thätigkeit in Madrid. Im Laufe der vierziger Jahre war er in untergeordneten Posten mehrmals Mitglied der sich rasch folgenden liberalen Cabinette, 1848 ward er als Statthalter nach Dublin gesandt und zeigte dort unter den schwierig¬ sten Umständen so viel Energie und Mäßigung, daß er in Irland wie in Eng¬ land gleiche Anerkennung fand. Seine ruhige aber entschiedene Haltung, sein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/150>, abgerufen am 17.06.2024.