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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Uebel in die Welt gekommen ist, wie es zu verstehen, wie es mit dem guten
Gott und mit der besten Welt zu vereinigen sei.

Mit Unrecht nennt man Voltaire einen Atheisten. Bekanntlich ging
Diderot zuletzt bis zur Leugnung Gottes fort, aber Voltaire hielt sich
consequent an jenen vernünftigen Deismus, der auf einer dualistischen
Betrachtung der Welt beruhend die vorherrschende Denkart jener Zeit war.
Er hielt den Glauben an einen Gott nicht blos für ein Bedürfniß der rohen
Mehrheit der Menschen, während der philosophisch Gebildete sich seiner ent-
schlagen könne. Vielmehr fand Voltaire den Gottesglauben auch für sich selbst
unentbehrlich. Er blieb dabei, daß wir mit dem Aberglauben nicht auch
den Glauben, mit den Priestern nicht Gott wegwerfen dürfen. Dagegen
schienen ihm allerdings die Gründe, welche gegen die Annahme der persön¬
lichen Unsterblichkeit sprechen, überwiegend, nur kam er damit etwas ins Ge¬
dränge bei dem Werth, den er auf den Glauben an den vergeltenden Gott
legte. In der Kritik dieser philosophischen und theologischen Versuche Vol¬
taire's und der ganzen Weltanschauung, worauf sie ruhten, bewährt Strauß
wieder seine ganze unvergleichliche Meisterschaft.

In Jesus sah Voltaire einen ehrlichen Schwärmer, einen guten Men¬
schen, der, von vorwurfsfreien Sitten, eine treffliche Moral lehrte, eine Art
"ländlichen Sokrates". Doch gehörte ihm, abgesehen von der Schwärmerei,
die ganze Erscheinung einer zu niederen Bildungsstufe an, als daß sie ihm
hätte sympathisch sein können. Mit dem, was man aber später Christenthum
getauft hat, hat seiner Meinung nach Jesus nichts zu schaffen; dieser ist blos
der Vorwand unserer phantastischen Lehren, unserer Religionsverfolgungen ge¬
worden, aber er ist nicht ihr Urheber. So sah denn Voltaire in der Kirchen¬
geschichte nur eine Reihe von Verirrungen des menschlichen Geistes, und die
Summe seiner Ansichten über das Christenthum hat er am Schluß seiner Abhand-
luag: "Gott und die Menschen" in folgenden Worten ausgesprochen: "Swift
hat eine schöne Schrift geschrieben, worin er bewiesen zu haben glaubt, es sei
noch nicht Zeit, die christliche Religion abzuschaffen. Wir sind seiner Meinung.
Zwar ist sie ein Baum, der bis jetzt nur tödtliche Früchte getragen hat; doch
wollen wir nicht, daß man ihn umbaue, sondern nur, daß man ihn Pfropfe.
Wir schlagen vor, in der Moral Jesu alles dasjenige zu erhalten, was der
allgemeinen Vernunft angemessen ist. der aller großen Philosophen des Alter¬
thums, aller Zeiten und aller Orte, der Vernunft, die das ewige Band aller
Gesellschaften sein muß. Beten wir das höchste Wesen durch Jesus an, da
die Sache einmal bei uns eingeführt ist. Die fünf Buchstaben, die seinen
Namen ausmachen, sind ja wohl kein Verbrechen. Was liegt daran, ob wir
dem höchsten Wesen unsere Huldigungen durch Confucius, durch Marc Aurel,


Uebel in die Welt gekommen ist, wie es zu verstehen, wie es mit dem guten
Gott und mit der besten Welt zu vereinigen sei.

Mit Unrecht nennt man Voltaire einen Atheisten. Bekanntlich ging
Diderot zuletzt bis zur Leugnung Gottes fort, aber Voltaire hielt sich
consequent an jenen vernünftigen Deismus, der auf einer dualistischen
Betrachtung der Welt beruhend die vorherrschende Denkart jener Zeit war.
Er hielt den Glauben an einen Gott nicht blos für ein Bedürfniß der rohen
Mehrheit der Menschen, während der philosophisch Gebildete sich seiner ent-
schlagen könne. Vielmehr fand Voltaire den Gottesglauben auch für sich selbst
unentbehrlich. Er blieb dabei, daß wir mit dem Aberglauben nicht auch
den Glauben, mit den Priestern nicht Gott wegwerfen dürfen. Dagegen
schienen ihm allerdings die Gründe, welche gegen die Annahme der persön¬
lichen Unsterblichkeit sprechen, überwiegend, nur kam er damit etwas ins Ge¬
dränge bei dem Werth, den er auf den Glauben an den vergeltenden Gott
legte. In der Kritik dieser philosophischen und theologischen Versuche Vol¬
taire's und der ganzen Weltanschauung, worauf sie ruhten, bewährt Strauß
wieder seine ganze unvergleichliche Meisterschaft.

In Jesus sah Voltaire einen ehrlichen Schwärmer, einen guten Men¬
schen, der, von vorwurfsfreien Sitten, eine treffliche Moral lehrte, eine Art
„ländlichen Sokrates". Doch gehörte ihm, abgesehen von der Schwärmerei,
die ganze Erscheinung einer zu niederen Bildungsstufe an, als daß sie ihm
hätte sympathisch sein können. Mit dem, was man aber später Christenthum
getauft hat, hat seiner Meinung nach Jesus nichts zu schaffen; dieser ist blos
der Vorwand unserer phantastischen Lehren, unserer Religionsverfolgungen ge¬
worden, aber er ist nicht ihr Urheber. So sah denn Voltaire in der Kirchen¬
geschichte nur eine Reihe von Verirrungen des menschlichen Geistes, und die
Summe seiner Ansichten über das Christenthum hat er am Schluß seiner Abhand-
luag: „Gott und die Menschen" in folgenden Worten ausgesprochen: „Swift
hat eine schöne Schrift geschrieben, worin er bewiesen zu haben glaubt, es sei
noch nicht Zeit, die christliche Religion abzuschaffen. Wir sind seiner Meinung.
Zwar ist sie ein Baum, der bis jetzt nur tödtliche Früchte getragen hat; doch
wollen wir nicht, daß man ihn umbaue, sondern nur, daß man ihn Pfropfe.
Wir schlagen vor, in der Moral Jesu alles dasjenige zu erhalten, was der
allgemeinen Vernunft angemessen ist. der aller großen Philosophen des Alter¬
thums, aller Zeiten und aller Orte, der Vernunft, die das ewige Band aller
Gesellschaften sein muß. Beten wir das höchste Wesen durch Jesus an, da
die Sache einmal bei uns eingeführt ist. Die fünf Buchstaben, die seinen
Namen ausmachen, sind ja wohl kein Verbrechen. Was liegt daran, ob wir
dem höchsten Wesen unsere Huldigungen durch Confucius, durch Marc Aurel,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/165>, abgerufen am 17.06.2024.