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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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das höchste Anliegen war. wollte er sich auf das monarchische Princip stützen,
und er bedauerte nur, daß die Fürsten nicht einsahen, wie auch fu> ihrer¬
seits sich nicht auf die Geistlichen, sondern auf die Philosophen stützen wüßten.
Von der Masse her erwartete er kein Heil: die Fürsten, mit den Philo¬
sophen, mit den Gebildeten überhaupt im Bunde, müssen die neue, bessere
Zeit heraufführen; "das Volk", schrieb er um 1768, "wird immer dumm
und barbarisch sein; es sind Ochsen, die ein Joch, einen Stachel und Heu
brauchen." In diesem Stücke war ihm Rousseau einen guten Schritt vor¬
aus, und Strauß bemerkt dazu: "In der Erfahrung wird Voltaire immer bis
auf einen gewissen Punkt Recht behalten, aber als Ziel müssen wir mit dem
anderen daran festhalten, daß alle Menschen die Fähigkeit und drü Anspruch
haben wirkliche Menschen zu werden."

Damit schließen wir diese Anzeige und fügen für den Leser den Rath
hinzu, sich selbst an der lebensvollen Darstellung zu erfreuen, die zuletzt in
einem gerecht abwägenden, überaus fein und anziehend begründeten Gesammt-
urtheile gipfelt. Es war im Jahre 1770. daß zuerst die Freunde Voltaire's
auf den Gedanken einer SubscriMon kamen um ihm ein Standbild in
Marmor herstellen zu lassen. Das Standbild kam auch zur Ausführung
und ziert jetzt die Räume des Nationalinstituts. Heute nach genau hundert
Jahren wird ihm ein anderes Denkmal in Erz, aus einer wahrhaft popu¬
lären Subscription hervorgegangen, auf öffentlichem Platze in Paris auf¬
gestellt. Und zu gleicher Zeit hat ihm der Deutsche ein Denkmal gesetzt --
aere xereimius.


W. L.


Literatur.

Wilhelm Müller, Politische Geschichte der Gegenwart. III. Das Jahr 1869.
Berlin. I. Springer 1870.

Diese Uebersicht über die politische Geschichte der Gegenwart ist in ihrem dritten
Jahrgang erschienen. Die Methode des Verfassers, ein Geschick klarer, übersicht¬
licher Zusammenstellung, seine Zuverlässigkeit und patriotische Tendenz sind bereits
bekannt. Der Werth einer solchen Darstellung zeigt sich aber vielleicht besonders
deutlich an einem Jahr, das -- wenigstens was unsere nationale Entwickelung be¬
trifft -- so wenig hervorragendes, von selbst im Gedächtniß haftendes aufweist. Im
Zusammenhang betrachtet zeigt auch die deutsche Geschichte des abgelaufenen Jahres,


das höchste Anliegen war. wollte er sich auf das monarchische Princip stützen,
und er bedauerte nur, daß die Fürsten nicht einsahen, wie auch fu> ihrer¬
seits sich nicht auf die Geistlichen, sondern auf die Philosophen stützen wüßten.
Von der Masse her erwartete er kein Heil: die Fürsten, mit den Philo¬
sophen, mit den Gebildeten überhaupt im Bunde, müssen die neue, bessere
Zeit heraufführen; „das Volk", schrieb er um 1768, „wird immer dumm
und barbarisch sein; es sind Ochsen, die ein Joch, einen Stachel und Heu
brauchen." In diesem Stücke war ihm Rousseau einen guten Schritt vor¬
aus, und Strauß bemerkt dazu: „In der Erfahrung wird Voltaire immer bis
auf einen gewissen Punkt Recht behalten, aber als Ziel müssen wir mit dem
anderen daran festhalten, daß alle Menschen die Fähigkeit und drü Anspruch
haben wirkliche Menschen zu werden."

Damit schließen wir diese Anzeige und fügen für den Leser den Rath
hinzu, sich selbst an der lebensvollen Darstellung zu erfreuen, die zuletzt in
einem gerecht abwägenden, überaus fein und anziehend begründeten Gesammt-
urtheile gipfelt. Es war im Jahre 1770. daß zuerst die Freunde Voltaire's
auf den Gedanken einer SubscriMon kamen um ihm ein Standbild in
Marmor herstellen zu lassen. Das Standbild kam auch zur Ausführung
und ziert jetzt die Räume des Nationalinstituts. Heute nach genau hundert
Jahren wird ihm ein anderes Denkmal in Erz, aus einer wahrhaft popu¬
lären Subscription hervorgegangen, auf öffentlichem Platze in Paris auf¬
gestellt. Und zu gleicher Zeit hat ihm der Deutsche ein Denkmal gesetzt —
aere xereimius.


W. L.


Literatur.

Wilhelm Müller, Politische Geschichte der Gegenwart. III. Das Jahr 1869.
Berlin. I. Springer 1870.

Diese Uebersicht über die politische Geschichte der Gegenwart ist in ihrem dritten
Jahrgang erschienen. Die Methode des Verfassers, ein Geschick klarer, übersicht¬
licher Zusammenstellung, seine Zuverlässigkeit und patriotische Tendenz sind bereits
bekannt. Der Werth einer solchen Darstellung zeigt sich aber vielleicht besonders
deutlich an einem Jahr, das — wenigstens was unsere nationale Entwickelung be¬
trifft — so wenig hervorragendes, von selbst im Gedächtniß haftendes aufweist. Im
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[0167] das höchste Anliegen war. wollte er sich auf das monarchische Princip stützen, und er bedauerte nur, daß die Fürsten nicht einsahen, wie auch fu> ihrer¬ seits sich nicht auf die Geistlichen, sondern auf die Philosophen stützen wüßten. Von der Masse her erwartete er kein Heil: die Fürsten, mit den Philo¬ sophen, mit den Gebildeten überhaupt im Bunde, müssen die neue, bessere Zeit heraufführen; „das Volk", schrieb er um 1768, „wird immer dumm und barbarisch sein; es sind Ochsen, die ein Joch, einen Stachel und Heu brauchen." In diesem Stücke war ihm Rousseau einen guten Schritt vor¬ aus, und Strauß bemerkt dazu: „In der Erfahrung wird Voltaire immer bis auf einen gewissen Punkt Recht behalten, aber als Ziel müssen wir mit dem anderen daran festhalten, daß alle Menschen die Fähigkeit und drü Anspruch haben wirkliche Menschen zu werden." Damit schließen wir diese Anzeige und fügen für den Leser den Rath hinzu, sich selbst an der lebensvollen Darstellung zu erfreuen, die zuletzt in einem gerecht abwägenden, überaus fein und anziehend begründeten Gesammt- urtheile gipfelt. Es war im Jahre 1770. daß zuerst die Freunde Voltaire's auf den Gedanken einer SubscriMon kamen um ihm ein Standbild in Marmor herstellen zu lassen. Das Standbild kam auch zur Ausführung und ziert jetzt die Räume des Nationalinstituts. Heute nach genau hundert Jahren wird ihm ein anderes Denkmal in Erz, aus einer wahrhaft popu¬ lären Subscription hervorgegangen, auf öffentlichem Platze in Paris auf¬ gestellt. Und zu gleicher Zeit hat ihm der Deutsche ein Denkmal gesetzt — aere xereimius. W. L. Literatur. Wilhelm Müller, Politische Geschichte der Gegenwart. III. Das Jahr 1869. Berlin. I. Springer 1870. Diese Uebersicht über die politische Geschichte der Gegenwart ist in ihrem dritten Jahrgang erschienen. Die Methode des Verfassers, ein Geschick klarer, übersicht¬ licher Zusammenstellung, seine Zuverlässigkeit und patriotische Tendenz sind bereits bekannt. Der Werth einer solchen Darstellung zeigt sich aber vielleicht besonders deutlich an einem Jahr, das — wenigstens was unsere nationale Entwickelung be¬ trifft — so wenig hervorragendes, von selbst im Gedächtniß haftendes aufweist. Im Zusammenhang betrachtet zeigt auch die deutsche Geschichte des abgelaufenen Jahres,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/167>, abgerufen am 17.06.2024.