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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Die Funktionen des localen Geldverkehrs sind äußerst wichtig, da der
Bauer und der kleinere Gewerbetreibende mit ihrem Creditbedürfnisse ganz
auf ihn angewiesen sind. Ja auch der Gutsbesitzer kann ihn nicht entbeh¬
ren, denn der große Geldmarkt nimmt ihm wohl seine Pfandbriefe ab, diese
aber werden von der Landschaft nur bis zur Hälfte eines sehr mäßig be¬
messenen Geldwerths bewilligt und genügen dem Geldbedarf des Besitzers
meistens nicht. Der Zinsfuß auf dem localen Geldmarkte emancipirt sich
gänzlich von dem des centralen Geldverkehrs, und es läßt sich überhaupt ein
Gesetz, nach welchem er sich regete, nur höchst bedingungsweise aufstellen.
Einerseits bringt es die verschiedene Sicherheit, welche die Darlehnssucher an¬
zubieten im Stande sind, mit sich, daß der nach der Höhe des Risico sich
richtende Zinsfuß in jedem Falle besonders bestimmt wird. Andererseits läßt
sich das Kapital wohl in seinem Zusammenflusse auf den großen Geldmärkten,
nicht aber hier im localen Verkehre mit einer zu Jedermanns Auswahl bereit
' liegenden Waare vergleichen. Es findet seinen Vortheil darin, sich suchen zu
lassen, und der bedrängte Darlehnssucher hat nicht Zeit, lange herumzufragen,
um das billigste Angebot zu ermitteln.

Immerhin hat der Zinsfuß seine Grenze in der Menge des vorhandenen
Kapitals. Diese Grenze ist aber in unserer Provinz sehr weit hinausgescho¬
ben, da eine Ansammlung von Kapitalien hier erst seit Jahrzehnten statt¬
findet und bet den mäßigen Hilfsquellen, mit denen die Natur dieses
Land ausgestattet hat und dem noch wenig ausgebildeten Spartrieb der pol¬
nischen Bevölkerung nur langsam vor sich geht. Das geringe Kapital nun
befindet sich in den Händen von Leuten, welche ihrem Vortheil nichts zu
vergeben Willens sind. Bisweilen scheint deshalb der Zweifel gerechtfertigt,
ob das Kapital, soweit es auf dem einheimischen Markte zu haben ist, nicht
mehr Schaden als Nutzen stiftet. Vorzugsweise den deutschen Besitzern wird
es gefährlich. Der verbesserungsfähige Zustand der Güter, welche noch lange
nicht den höchsten Grad von Cultur erreicht haben, reizt den betriebsamen
Landwirth zu einer Thätigkeit, die er nicht ohne beträchtliche Geldmittel ent¬
falten kann. Das Kapital bietet sich ihm anfänglich unter nicht unbilligen
Bedingungen an. Zu spät erkennt er in dem vermeintlichen Bundesgenossen
seinen ärgsten Feind. Der Wechsel mit seinen kurzen, unmöglich inne zu
haltenden Fristen und mit der enormen Zinssteigerung, durch welche jede
Prolongation erkauft werden muß, richten ihn zu Grunde, bevor er in dem
vermehrten Ertrage des Gutes den Erfolg seiner Thätigkeit sieht, und er be¬
zahlt so den Ruhm, eine Musterwirthschaft hergestellt zu haben, mit seinem
finanziellen Ruin.

In neuerer Zeit sind mehrfache Versuche zur Verbesserung der Credit¬
verhältnisse gemacht. Das neue landwirtschaftliche Creditinstitut beleibt


Die Funktionen des localen Geldverkehrs sind äußerst wichtig, da der
Bauer und der kleinere Gewerbetreibende mit ihrem Creditbedürfnisse ganz
auf ihn angewiesen sind. Ja auch der Gutsbesitzer kann ihn nicht entbeh¬
ren, denn der große Geldmarkt nimmt ihm wohl seine Pfandbriefe ab, diese
aber werden von der Landschaft nur bis zur Hälfte eines sehr mäßig be¬
messenen Geldwerths bewilligt und genügen dem Geldbedarf des Besitzers
meistens nicht. Der Zinsfuß auf dem localen Geldmarkte emancipirt sich
gänzlich von dem des centralen Geldverkehrs, und es läßt sich überhaupt ein
Gesetz, nach welchem er sich regete, nur höchst bedingungsweise aufstellen.
Einerseits bringt es die verschiedene Sicherheit, welche die Darlehnssucher an¬
zubieten im Stande sind, mit sich, daß der nach der Höhe des Risico sich
richtende Zinsfuß in jedem Falle besonders bestimmt wird. Andererseits läßt
sich das Kapital wohl in seinem Zusammenflusse auf den großen Geldmärkten,
nicht aber hier im localen Verkehre mit einer zu Jedermanns Auswahl bereit
' liegenden Waare vergleichen. Es findet seinen Vortheil darin, sich suchen zu
lassen, und der bedrängte Darlehnssucher hat nicht Zeit, lange herumzufragen,
um das billigste Angebot zu ermitteln.

Immerhin hat der Zinsfuß seine Grenze in der Menge des vorhandenen
Kapitals. Diese Grenze ist aber in unserer Provinz sehr weit hinausgescho¬
ben, da eine Ansammlung von Kapitalien hier erst seit Jahrzehnten statt¬
findet und bet den mäßigen Hilfsquellen, mit denen die Natur dieses
Land ausgestattet hat und dem noch wenig ausgebildeten Spartrieb der pol¬
nischen Bevölkerung nur langsam vor sich geht. Das geringe Kapital nun
befindet sich in den Händen von Leuten, welche ihrem Vortheil nichts zu
vergeben Willens sind. Bisweilen scheint deshalb der Zweifel gerechtfertigt,
ob das Kapital, soweit es auf dem einheimischen Markte zu haben ist, nicht
mehr Schaden als Nutzen stiftet. Vorzugsweise den deutschen Besitzern wird
es gefährlich. Der verbesserungsfähige Zustand der Güter, welche noch lange
nicht den höchsten Grad von Cultur erreicht haben, reizt den betriebsamen
Landwirth zu einer Thätigkeit, die er nicht ohne beträchtliche Geldmittel ent¬
falten kann. Das Kapital bietet sich ihm anfänglich unter nicht unbilligen
Bedingungen an. Zu spät erkennt er in dem vermeintlichen Bundesgenossen
seinen ärgsten Feind. Der Wechsel mit seinen kurzen, unmöglich inne zu
haltenden Fristen und mit der enormen Zinssteigerung, durch welche jede
Prolongation erkauft werden muß, richten ihn zu Grunde, bevor er in dem
vermehrten Ertrage des Gutes den Erfolg seiner Thätigkeit sieht, und er be¬
zahlt so den Ruhm, eine Musterwirthschaft hergestellt zu haben, mit seinem
finanziellen Ruin.

In neuerer Zeit sind mehrfache Versuche zur Verbesserung der Credit¬
verhältnisse gemacht. Das neue landwirtschaftliche Creditinstitut beleibt


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[0178] Die Funktionen des localen Geldverkehrs sind äußerst wichtig, da der Bauer und der kleinere Gewerbetreibende mit ihrem Creditbedürfnisse ganz auf ihn angewiesen sind. Ja auch der Gutsbesitzer kann ihn nicht entbeh¬ ren, denn der große Geldmarkt nimmt ihm wohl seine Pfandbriefe ab, diese aber werden von der Landschaft nur bis zur Hälfte eines sehr mäßig be¬ messenen Geldwerths bewilligt und genügen dem Geldbedarf des Besitzers meistens nicht. Der Zinsfuß auf dem localen Geldmarkte emancipirt sich gänzlich von dem des centralen Geldverkehrs, und es läßt sich überhaupt ein Gesetz, nach welchem er sich regete, nur höchst bedingungsweise aufstellen. Einerseits bringt es die verschiedene Sicherheit, welche die Darlehnssucher an¬ zubieten im Stande sind, mit sich, daß der nach der Höhe des Risico sich richtende Zinsfuß in jedem Falle besonders bestimmt wird. Andererseits läßt sich das Kapital wohl in seinem Zusammenflusse auf den großen Geldmärkten, nicht aber hier im localen Verkehre mit einer zu Jedermanns Auswahl bereit ' liegenden Waare vergleichen. Es findet seinen Vortheil darin, sich suchen zu lassen, und der bedrängte Darlehnssucher hat nicht Zeit, lange herumzufragen, um das billigste Angebot zu ermitteln. Immerhin hat der Zinsfuß seine Grenze in der Menge des vorhandenen Kapitals. Diese Grenze ist aber in unserer Provinz sehr weit hinausgescho¬ ben, da eine Ansammlung von Kapitalien hier erst seit Jahrzehnten statt¬ findet und bet den mäßigen Hilfsquellen, mit denen die Natur dieses Land ausgestattet hat und dem noch wenig ausgebildeten Spartrieb der pol¬ nischen Bevölkerung nur langsam vor sich geht. Das geringe Kapital nun befindet sich in den Händen von Leuten, welche ihrem Vortheil nichts zu vergeben Willens sind. Bisweilen scheint deshalb der Zweifel gerechtfertigt, ob das Kapital, soweit es auf dem einheimischen Markte zu haben ist, nicht mehr Schaden als Nutzen stiftet. Vorzugsweise den deutschen Besitzern wird es gefährlich. Der verbesserungsfähige Zustand der Güter, welche noch lange nicht den höchsten Grad von Cultur erreicht haben, reizt den betriebsamen Landwirth zu einer Thätigkeit, die er nicht ohne beträchtliche Geldmittel ent¬ falten kann. Das Kapital bietet sich ihm anfänglich unter nicht unbilligen Bedingungen an. Zu spät erkennt er in dem vermeintlichen Bundesgenossen seinen ärgsten Feind. Der Wechsel mit seinen kurzen, unmöglich inne zu haltenden Fristen und mit der enormen Zinssteigerung, durch welche jede Prolongation erkauft werden muß, richten ihn zu Grunde, bevor er in dem vermehrten Ertrage des Gutes den Erfolg seiner Thätigkeit sieht, und er be¬ zahlt so den Ruhm, eine Musterwirthschaft hergestellt zu haben, mit seinem finanziellen Ruin. In neuerer Zeit sind mehrfache Versuche zur Verbesserung der Credit¬ verhältnisse gemacht. Das neue landwirtschaftliche Creditinstitut beleibt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/178>, abgerufen am 17.06.2024.