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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Grade malerischen Straßenprospecte in schönster Weise abschließen. Zu^beiden
Seiten reiht Giebel sich an Giebel, jeder in feiner Weise reich geschmückt,
zum Theil mit figürlichen Symbolen mit Bezug auf ihre Erbauer versehen.
Vor jedem Hause befand sich, in der Brette des ganzen Gebäudes, ein er¬
höhter, mit Freitreppe versehener Borbau (Beischlag) mit sculpirter Balustrade.
Von ihm führte ein stets mit besonderer Vorliebe behandeltes Portal in einen
großen hohen Flur, welcher mit geschnitzter Treppe, gemalter Decke, schönen
Möbeln ausgestattet, den Reichthum und Kunstsinn des Besitzers dem Ein¬
tretenden sogleich anschaulich machte.

Im Jahre 1772 aber erlitt Danzig einen harten Schlag. Die Mo¬
narchen Rußlands, Oestreichs und Preußens theilten sich in das Königreich
Polen. Wenn Danzig auch nicht sogleich seine politische Selbständigkeit ver¬
lor, so wurde dadurch, daß Westpreußen in Besitz Preußens kam, der Handel
doch in empfindlichster Weise gestört. Als dann später Danzig selbst dem
Königreich Preußen einverleibt wurde, verließen viele der stolzen Patrizier
ihr Vaterland. Dann kamen die Belagerungen von 1807 und 1814, welche
ein unsagbares Elend über die Stadt verbreiteten. Die Lähmung des Han¬
dels, die Verwüstungen der Kriege, die bedeutenden Kriegskosten?c. brachten
die einst so reiche, mächtige und freie Stadt, welche selbst mit Königen
in einen Kampf sich einlassen konnte, jetzt aber eine preußische Provincial-
stadt geworden war, an den Rand des Verderbens. Die Zahl der Einwoh¬
ner war sehr zusammengeschmolzen. Dieselben fristeten nur nothdürftig ihr
Leben.

Daß dieser mehrere Jahrzehnte andauernde Nothstand auch auf die Phy¬
siognomie der Stadt von wesentlichem Einfluß sein mußte, liegt auf der
Hand. Niemand hatte Geld. Die Gebäude verfielen. Als dann, seit dem
vierten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts, unter der Regierung der preußischen
Könige der Wohlstand der Stadt allmählig sich wieder zu heben begann,
waren die Verhältnisse in jeder Beziehung anders geworden. Statt der
reichen Kaufherren, welche gleich Fürsten auftraten und welche ein Interesse
hatten, die Häuser ihrer Geschlechter in alter Pracht zu erhalten, begann jetzt
der Stand der Krämer sich breit zu machen, welche aus der Fremde einge¬
wandert, kein Verständniß, daher auch keine Pietät für das Ueberlieferte,
keinen Sinn für Kunst und Geschichte besitzen. Die großen Paläste gingen
in den Besitz solcher Kleinbürger über, welche, nicht reich genug, um sie allein
bewohnen zu können, die Grundstücke theilten, die Hinterhäuser von den
Vordergebäuden trennten, in jedem Hause die Etagen einzeln vermiethen.
den großen hohen Hausflur und die großen Zimmer durch eingezogene
Wände und Balkendecken in mehrere kleine Räume zerlegen, um jeden Winkel
des Hauses nach Möglichkeit auszunutzen, um möglichst viel Miethgelder zu


Grade malerischen Straßenprospecte in schönster Weise abschließen. Zu^beiden
Seiten reiht Giebel sich an Giebel, jeder in feiner Weise reich geschmückt,
zum Theil mit figürlichen Symbolen mit Bezug auf ihre Erbauer versehen.
Vor jedem Hause befand sich, in der Brette des ganzen Gebäudes, ein er¬
höhter, mit Freitreppe versehener Borbau (Beischlag) mit sculpirter Balustrade.
Von ihm führte ein stets mit besonderer Vorliebe behandeltes Portal in einen
großen hohen Flur, welcher mit geschnitzter Treppe, gemalter Decke, schönen
Möbeln ausgestattet, den Reichthum und Kunstsinn des Besitzers dem Ein¬
tretenden sogleich anschaulich machte.

Im Jahre 1772 aber erlitt Danzig einen harten Schlag. Die Mo¬
narchen Rußlands, Oestreichs und Preußens theilten sich in das Königreich
Polen. Wenn Danzig auch nicht sogleich seine politische Selbständigkeit ver¬
lor, so wurde dadurch, daß Westpreußen in Besitz Preußens kam, der Handel
doch in empfindlichster Weise gestört. Als dann später Danzig selbst dem
Königreich Preußen einverleibt wurde, verließen viele der stolzen Patrizier
ihr Vaterland. Dann kamen die Belagerungen von 1807 und 1814, welche
ein unsagbares Elend über die Stadt verbreiteten. Die Lähmung des Han¬
dels, die Verwüstungen der Kriege, die bedeutenden Kriegskosten?c. brachten
die einst so reiche, mächtige und freie Stadt, welche selbst mit Königen
in einen Kampf sich einlassen konnte, jetzt aber eine preußische Provincial-
stadt geworden war, an den Rand des Verderbens. Die Zahl der Einwoh¬
ner war sehr zusammengeschmolzen. Dieselben fristeten nur nothdürftig ihr
Leben.

Daß dieser mehrere Jahrzehnte andauernde Nothstand auch auf die Phy¬
siognomie der Stadt von wesentlichem Einfluß sein mußte, liegt auf der
Hand. Niemand hatte Geld. Die Gebäude verfielen. Als dann, seit dem
vierten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts, unter der Regierung der preußischen
Könige der Wohlstand der Stadt allmählig sich wieder zu heben begann,
waren die Verhältnisse in jeder Beziehung anders geworden. Statt der
reichen Kaufherren, welche gleich Fürsten auftraten und welche ein Interesse
hatten, die Häuser ihrer Geschlechter in alter Pracht zu erhalten, begann jetzt
der Stand der Krämer sich breit zu machen, welche aus der Fremde einge¬
wandert, kein Verständniß, daher auch keine Pietät für das Ueberlieferte,
keinen Sinn für Kunst und Geschichte besitzen. Die großen Paläste gingen
in den Besitz solcher Kleinbürger über, welche, nicht reich genug, um sie allein
bewohnen zu können, die Grundstücke theilten, die Hinterhäuser von den
Vordergebäuden trennten, in jedem Hause die Etagen einzeln vermiethen.
den großen hohen Hausflur und die großen Zimmer durch eingezogene
Wände und Balkendecken in mehrere kleine Räume zerlegen, um jeden Winkel
des Hauses nach Möglichkeit auszunutzen, um möglichst viel Miethgelder zu


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[0184] Grade malerischen Straßenprospecte in schönster Weise abschließen. Zu^beiden Seiten reiht Giebel sich an Giebel, jeder in feiner Weise reich geschmückt, zum Theil mit figürlichen Symbolen mit Bezug auf ihre Erbauer versehen. Vor jedem Hause befand sich, in der Brette des ganzen Gebäudes, ein er¬ höhter, mit Freitreppe versehener Borbau (Beischlag) mit sculpirter Balustrade. Von ihm führte ein stets mit besonderer Vorliebe behandeltes Portal in einen großen hohen Flur, welcher mit geschnitzter Treppe, gemalter Decke, schönen Möbeln ausgestattet, den Reichthum und Kunstsinn des Besitzers dem Ein¬ tretenden sogleich anschaulich machte. Im Jahre 1772 aber erlitt Danzig einen harten Schlag. Die Mo¬ narchen Rußlands, Oestreichs und Preußens theilten sich in das Königreich Polen. Wenn Danzig auch nicht sogleich seine politische Selbständigkeit ver¬ lor, so wurde dadurch, daß Westpreußen in Besitz Preußens kam, der Handel doch in empfindlichster Weise gestört. Als dann später Danzig selbst dem Königreich Preußen einverleibt wurde, verließen viele der stolzen Patrizier ihr Vaterland. Dann kamen die Belagerungen von 1807 und 1814, welche ein unsagbares Elend über die Stadt verbreiteten. Die Lähmung des Han¬ dels, die Verwüstungen der Kriege, die bedeutenden Kriegskosten?c. brachten die einst so reiche, mächtige und freie Stadt, welche selbst mit Königen in einen Kampf sich einlassen konnte, jetzt aber eine preußische Provincial- stadt geworden war, an den Rand des Verderbens. Die Zahl der Einwoh¬ ner war sehr zusammengeschmolzen. Dieselben fristeten nur nothdürftig ihr Leben. Daß dieser mehrere Jahrzehnte andauernde Nothstand auch auf die Phy¬ siognomie der Stadt von wesentlichem Einfluß sein mußte, liegt auf der Hand. Niemand hatte Geld. Die Gebäude verfielen. Als dann, seit dem vierten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts, unter der Regierung der preußischen Könige der Wohlstand der Stadt allmählig sich wieder zu heben begann, waren die Verhältnisse in jeder Beziehung anders geworden. Statt der reichen Kaufherren, welche gleich Fürsten auftraten und welche ein Interesse hatten, die Häuser ihrer Geschlechter in alter Pracht zu erhalten, begann jetzt der Stand der Krämer sich breit zu machen, welche aus der Fremde einge¬ wandert, kein Verständniß, daher auch keine Pietät für das Ueberlieferte, keinen Sinn für Kunst und Geschichte besitzen. Die großen Paläste gingen in den Besitz solcher Kleinbürger über, welche, nicht reich genug, um sie allein bewohnen zu können, die Grundstücke theilten, die Hinterhäuser von den Vordergebäuden trennten, in jedem Hause die Etagen einzeln vermiethen. den großen hohen Hausflur und die großen Zimmer durch eingezogene Wände und Balkendecken in mehrere kleine Räume zerlegen, um jeden Winkel des Hauses nach Möglichkeit auszunutzen, um möglichst viel Miethgelder zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/184>, abgerufen am 17.06.2024.