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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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erzielen. Weil die alten Häuser auf solche Ausnutzung nicht angelegt sind
entstehen natürlich winklige und dunkle Wohnungen, wegen deren Danzig
bei allen einziehenden Fremden mit Recht in üblem Rufe steht.

Die alten Patrizier-Häuser auf dem langen Markt in der Langgasse,
Jopengasse, Hundgasse :c. werden jetzt, mit wenigen Ausnahmen, statt von
Großhändlern von Kleinhändlern bewohnt werden, welche einen offenen
Laden mit Schaufenster gebrauchen. Es liegt ihnen daran, daß das Publi¬
kum auf der Straße möglichst unmittelbar an ihren Schaufenstern vorbei"
Passire. Solchen Wünschen stehen aber die Beischläge und die Vorhanden
entgegen, von denen die ersteren vorzugsweise es sind, welche neben den
hohen Giebelfayaden den Charakter der Stadt bedingen. Daher der all¬
gemeine Krieg gegen diese Beischläge von Seiten der handeltreibenden Haus¬
besitzer, während die künstlerisch unbedeutenden Vorhanden als' praktisch mehr
ausnutzbar, meist gehalten werden. Das große Publicum und die Polizei
wünschen ebenfalls die Entfernung der Beischläge. Das Publicum, welches
auf den Straßen sich bewegt, will, durch die bequemen Trottoirs moderner
Städte, wie Berlin, verwöhnt, bequeme Fußwege haben, während es jetzt
auf den Straßen inmitten des Wagevverkehrs sich bewegen muß, und die
Polizei wünscht, in anerkennungswerther Sorge für die so sehr gesteigerte
Frequenz unserer Straßen, dieselben nach Möglichkeit zu verbreitern, was
nur auf Kosten der Beischläge geschehen kann. Dazu kommt noch der seit
dem vorigen Jahrhundert gänzlich veränderte Geschmack. Das Alterthüm¬
liche gilt für altmodisch, gefällt daher nicht mehr. Man ist nach allen Rich¬
tungen hin bemüht, soweit die Mittel es gestatten, vor Allen die Privat¬
häuser, aber auch die Kirchen und die öffentlichen Gebäude im Sinne der
"vorgeschrittenen" Neuzeit zu modernisiren. Schonungslos wird das Alte,
mag es noch so ehrwürdig, noch so kunstvoll sein, entfernt, um dem Moder¬
nen, meist Schlechter", Platz zu machen. Die alten Giebelfayaden mit ihren
reichen Gliederungen, ihren figürlichen Sculpruren, reichen Portalen u. s. w.
gefallen nicht mehr. Sie werden im Styl der modernen Berliner*) Mieth-
Casernen umgebaut, die spitzen Giebel durch wagerecht abgeschlossene Wände



") An und für sich ist gegen Fanden im Berliner Styl nichts einzuwenden, denn jede Zeit
hat ihre Rechte; obgleich andererseits auch zu bedenken ist. daß Eins sich nicht für Alles schickt,
daß gewisse Einrichtungen in Berlin sehr vortrefflich, in Danzig ganz ungeeignet sein können.
Wie jedes Jahrhundert in Danzig seine Denkmale hinterlassen hat, so soll es anch die Gegen¬
wart. Aber die neuen Fayaden müssen, wenn sie dieses Recht in Anspruch uehmcii wollen, den
alten sich wenigstens gleichstellen, d. h. vor Allem solide sein, wenn möglich aber besser als die
deshalb zerstörten. (Das Haus des Oberbürgermeisters kann in dieser Beziehung als Muster
gelten). Gewöhnlich aber ersetzt man deu soliden alten Stein durch Kalkputz und Gyps, höch-
stens Cement, entfernt also das gute Alte von historischem Werth und ersetzt es durch unsolide
Massen von schlechten Formen.
Grenzboten III. 1870. 2L

erzielen. Weil die alten Häuser auf solche Ausnutzung nicht angelegt sind
entstehen natürlich winklige und dunkle Wohnungen, wegen deren Danzig
bei allen einziehenden Fremden mit Recht in üblem Rufe steht.

Die alten Patrizier-Häuser auf dem langen Markt in der Langgasse,
Jopengasse, Hundgasse :c. werden jetzt, mit wenigen Ausnahmen, statt von
Großhändlern von Kleinhändlern bewohnt werden, welche einen offenen
Laden mit Schaufenster gebrauchen. Es liegt ihnen daran, daß das Publi¬
kum auf der Straße möglichst unmittelbar an ihren Schaufenstern vorbei»
Passire. Solchen Wünschen stehen aber die Beischläge und die Vorhanden
entgegen, von denen die ersteren vorzugsweise es sind, welche neben den
hohen Giebelfayaden den Charakter der Stadt bedingen. Daher der all¬
gemeine Krieg gegen diese Beischläge von Seiten der handeltreibenden Haus¬
besitzer, während die künstlerisch unbedeutenden Vorhanden als' praktisch mehr
ausnutzbar, meist gehalten werden. Das große Publicum und die Polizei
wünschen ebenfalls die Entfernung der Beischläge. Das Publicum, welches
auf den Straßen sich bewegt, will, durch die bequemen Trottoirs moderner
Städte, wie Berlin, verwöhnt, bequeme Fußwege haben, während es jetzt
auf den Straßen inmitten des Wagevverkehrs sich bewegen muß, und die
Polizei wünscht, in anerkennungswerther Sorge für die so sehr gesteigerte
Frequenz unserer Straßen, dieselben nach Möglichkeit zu verbreitern, was
nur auf Kosten der Beischläge geschehen kann. Dazu kommt noch der seit
dem vorigen Jahrhundert gänzlich veränderte Geschmack. Das Alterthüm¬
liche gilt für altmodisch, gefällt daher nicht mehr. Man ist nach allen Rich¬
tungen hin bemüht, soweit die Mittel es gestatten, vor Allen die Privat¬
häuser, aber auch die Kirchen und die öffentlichen Gebäude im Sinne der
„vorgeschrittenen" Neuzeit zu modernisiren. Schonungslos wird das Alte,
mag es noch so ehrwürdig, noch so kunstvoll sein, entfernt, um dem Moder¬
nen, meist Schlechter», Platz zu machen. Die alten Giebelfayaden mit ihren
reichen Gliederungen, ihren figürlichen Sculpruren, reichen Portalen u. s. w.
gefallen nicht mehr. Sie werden im Styl der modernen Berliner*) Mieth-
Casernen umgebaut, die spitzen Giebel durch wagerecht abgeschlossene Wände



") An und für sich ist gegen Fanden im Berliner Styl nichts einzuwenden, denn jede Zeit
hat ihre Rechte; obgleich andererseits auch zu bedenken ist. daß Eins sich nicht für Alles schickt,
daß gewisse Einrichtungen in Berlin sehr vortrefflich, in Danzig ganz ungeeignet sein können.
Wie jedes Jahrhundert in Danzig seine Denkmale hinterlassen hat, so soll es anch die Gegen¬
wart. Aber die neuen Fayaden müssen, wenn sie dieses Recht in Anspruch uehmcii wollen, den
alten sich wenigstens gleichstellen, d. h. vor Allem solide sein, wenn möglich aber besser als die
deshalb zerstörten. (Das Haus des Oberbürgermeisters kann in dieser Beziehung als Muster
gelten). Gewöhnlich aber ersetzt man deu soliden alten Stein durch Kalkputz und Gyps, höch-
stens Cement, entfernt also das gute Alte von historischem Werth und ersetzt es durch unsolide
Massen von schlechten Formen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/185>, abgerufen am 17.06.2024.