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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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geisterten Applauses bei den enthusiasmirten Vertretern der geistreichen Nation
sicher. Selbst den französischen Leser dürfte es zuweilen ermüden, durch
diesen Wust von geistiger und politischer Verkommenheit sich hindurch¬
zuarbeiten; um aber nicht den richtigen Maßstab für den Werth des Buches
zu verlieren, muß man nie vergessen, daß der Verfasser dem Kaiser¬
tum nicht blos als Geschichtschreiber, sondern auch als Ankläger gegenüber
steht, der dem Richter, vor dem er plaidirt, die Zeugenaussagen in möglich¬
ster Vollständigkeit und Unmittelbarkeit vorzuführen hat. Und schlagendere
Zeugnisse gegen das Kaiserthum, als die ministeriellen Erlasse, die Reden
der ergebenen Abgeordneten, die Wahlcirculcire der Präfecten, die zahllosen
Verwarnungen der Presse kann es allerdings nicht geben.

Wir haben schon im vorigen Artikel die enge Verwandtschaft des Kai¬
sertums mit dem Centralisationspnncip hervorgehoben und nachgewiesen,
wie im Kaiserthum dies Princip seine höchste Vollendung erlangt hat, wie
also, so lange man an ihm festhält, der Kampf gegen den Imperialismus
unlogisch ist und daher auch keinen dauernden Erfolg verspricht. Das
Kaiserthum ist die natürliche Spitze der neutralisirten Demokratie, die, dieser
Spitze beraubt, der steten Gefahr ausgesetzt ist, der Herrschaft der Pariser
Demagogie zu verfallen. Aber das Kaiserthum nahm auch alle Macht, die
die Pariser Bevölkerung einst durch den Convent über Frankreich ausgeübt
hatte, für sich in Anspruch. Es gestattete nur die individuelle Freiheit, wie
der Franzose sie nennt, die eigentlich nur in dem Verfügungsrecht des Ein¬
zelnen über seine Person und sein Eigenthum besteht und, wie sie mit der
politischen Freiheit Nichts zu thun hat. ihre Bürgschaften folgerechter Weise
auch nicht in einer Verfassungsurkunde, sondern in einem Gesetzbuche, dem
Loclö Xaxoleon gefunden hat. Wo diese individuelle Freiheit aushört, da
beginnt die Sphäre der thatsächlich unumschränktesten Staatsgewalt, die je¬
mals eristirt hat: einer Staatsgewalt, die nicht nur die Handlungen der
Unterthanen überwacht, ihre Meinungsäußerungen in die engsten Grenzen
schnürt, sondern sich auch alles Ernstes bemüht, nirgends die Ansicht auf¬
kommen zu lassen, als ob es außer der offiziellen Meinung noch irgend etwas
gäbe, was man als öffentliche Meinung bezeichnen könne. Wagt eine selb¬
ständige Ansicht sich vernehmen zu lassen, so wird sie bald als anarchisch,
bald als eine Beleidigung des Nationalgefühls, bald als eine Ausgeburt
des unverbesserlichen Parteigeistes und wie die stereotypen Schlagworte der'
bonapartistischen Phraseologie sonst noch lauten mögen, gebrandmarkt.

Allerdings hatte der Präsident dem Staate eine Art von Verfassung
gegeben, die auch in allen wesentlichen Punkten die Verfassung des Kaiser¬
reichs blieb. Aber diese Verfassung war nicht darauf berechnet, die unab¬
hängige öffentliche Meinung zu repräsentiren oder die Regierungsgewalt zu


geisterten Applauses bei den enthusiasmirten Vertretern der geistreichen Nation
sicher. Selbst den französischen Leser dürfte es zuweilen ermüden, durch
diesen Wust von geistiger und politischer Verkommenheit sich hindurch¬
zuarbeiten; um aber nicht den richtigen Maßstab für den Werth des Buches
zu verlieren, muß man nie vergessen, daß der Verfasser dem Kaiser¬
tum nicht blos als Geschichtschreiber, sondern auch als Ankläger gegenüber
steht, der dem Richter, vor dem er plaidirt, die Zeugenaussagen in möglich¬
ster Vollständigkeit und Unmittelbarkeit vorzuführen hat. Und schlagendere
Zeugnisse gegen das Kaiserthum, als die ministeriellen Erlasse, die Reden
der ergebenen Abgeordneten, die Wahlcirculcire der Präfecten, die zahllosen
Verwarnungen der Presse kann es allerdings nicht geben.

Wir haben schon im vorigen Artikel die enge Verwandtschaft des Kai¬
sertums mit dem Centralisationspnncip hervorgehoben und nachgewiesen,
wie im Kaiserthum dies Princip seine höchste Vollendung erlangt hat, wie
also, so lange man an ihm festhält, der Kampf gegen den Imperialismus
unlogisch ist und daher auch keinen dauernden Erfolg verspricht. Das
Kaiserthum ist die natürliche Spitze der neutralisirten Demokratie, die, dieser
Spitze beraubt, der steten Gefahr ausgesetzt ist, der Herrschaft der Pariser
Demagogie zu verfallen. Aber das Kaiserthum nahm auch alle Macht, die
die Pariser Bevölkerung einst durch den Convent über Frankreich ausgeübt
hatte, für sich in Anspruch. Es gestattete nur die individuelle Freiheit, wie
der Franzose sie nennt, die eigentlich nur in dem Verfügungsrecht des Ein¬
zelnen über seine Person und sein Eigenthum besteht und, wie sie mit der
politischen Freiheit Nichts zu thun hat. ihre Bürgschaften folgerechter Weise
auch nicht in einer Verfassungsurkunde, sondern in einem Gesetzbuche, dem
Loclö Xaxoleon gefunden hat. Wo diese individuelle Freiheit aushört, da
beginnt die Sphäre der thatsächlich unumschränktesten Staatsgewalt, die je¬
mals eristirt hat: einer Staatsgewalt, die nicht nur die Handlungen der
Unterthanen überwacht, ihre Meinungsäußerungen in die engsten Grenzen
schnürt, sondern sich auch alles Ernstes bemüht, nirgends die Ansicht auf¬
kommen zu lassen, als ob es außer der offiziellen Meinung noch irgend etwas
gäbe, was man als öffentliche Meinung bezeichnen könne. Wagt eine selb¬
ständige Ansicht sich vernehmen zu lassen, so wird sie bald als anarchisch,
bald als eine Beleidigung des Nationalgefühls, bald als eine Ausgeburt
des unverbesserlichen Parteigeistes und wie die stereotypen Schlagworte der'
bonapartistischen Phraseologie sonst noch lauten mögen, gebrandmarkt.

Allerdings hatte der Präsident dem Staate eine Art von Verfassung
gegeben, die auch in allen wesentlichen Punkten die Verfassung des Kaiser¬
reichs blieb. Aber diese Verfassung war nicht darauf berechnet, die unab¬
hängige öffentliche Meinung zu repräsentiren oder die Regierungsgewalt zu


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[0192] geisterten Applauses bei den enthusiasmirten Vertretern der geistreichen Nation sicher. Selbst den französischen Leser dürfte es zuweilen ermüden, durch diesen Wust von geistiger und politischer Verkommenheit sich hindurch¬ zuarbeiten; um aber nicht den richtigen Maßstab für den Werth des Buches zu verlieren, muß man nie vergessen, daß der Verfasser dem Kaiser¬ tum nicht blos als Geschichtschreiber, sondern auch als Ankläger gegenüber steht, der dem Richter, vor dem er plaidirt, die Zeugenaussagen in möglich¬ ster Vollständigkeit und Unmittelbarkeit vorzuführen hat. Und schlagendere Zeugnisse gegen das Kaiserthum, als die ministeriellen Erlasse, die Reden der ergebenen Abgeordneten, die Wahlcirculcire der Präfecten, die zahllosen Verwarnungen der Presse kann es allerdings nicht geben. Wir haben schon im vorigen Artikel die enge Verwandtschaft des Kai¬ sertums mit dem Centralisationspnncip hervorgehoben und nachgewiesen, wie im Kaiserthum dies Princip seine höchste Vollendung erlangt hat, wie also, so lange man an ihm festhält, der Kampf gegen den Imperialismus unlogisch ist und daher auch keinen dauernden Erfolg verspricht. Das Kaiserthum ist die natürliche Spitze der neutralisirten Demokratie, die, dieser Spitze beraubt, der steten Gefahr ausgesetzt ist, der Herrschaft der Pariser Demagogie zu verfallen. Aber das Kaiserthum nahm auch alle Macht, die die Pariser Bevölkerung einst durch den Convent über Frankreich ausgeübt hatte, für sich in Anspruch. Es gestattete nur die individuelle Freiheit, wie der Franzose sie nennt, die eigentlich nur in dem Verfügungsrecht des Ein¬ zelnen über seine Person und sein Eigenthum besteht und, wie sie mit der politischen Freiheit Nichts zu thun hat. ihre Bürgschaften folgerechter Weise auch nicht in einer Verfassungsurkunde, sondern in einem Gesetzbuche, dem Loclö Xaxoleon gefunden hat. Wo diese individuelle Freiheit aushört, da beginnt die Sphäre der thatsächlich unumschränktesten Staatsgewalt, die je¬ mals eristirt hat: einer Staatsgewalt, die nicht nur die Handlungen der Unterthanen überwacht, ihre Meinungsäußerungen in die engsten Grenzen schnürt, sondern sich auch alles Ernstes bemüht, nirgends die Ansicht auf¬ kommen zu lassen, als ob es außer der offiziellen Meinung noch irgend etwas gäbe, was man als öffentliche Meinung bezeichnen könne. Wagt eine selb¬ ständige Ansicht sich vernehmen zu lassen, so wird sie bald als anarchisch, bald als eine Beleidigung des Nationalgefühls, bald als eine Ausgeburt des unverbesserlichen Parteigeistes und wie die stereotypen Schlagworte der' bonapartistischen Phraseologie sonst noch lauten mögen, gebrandmarkt. Allerdings hatte der Präsident dem Staate eine Art von Verfassung gegeben, die auch in allen wesentlichen Punkten die Verfassung des Kaiser¬ reichs blieb. Aber diese Verfassung war nicht darauf berechnet, die unab¬ hängige öffentliche Meinung zu repräsentiren oder die Regierungsgewalt zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/192>, abgerufen am 17.06.2024.