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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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beschränken, sondern sie sollte vielmehr dem Kaiser als Herrschaftsmittel dienen ;
sie sollte den Schein erwecken, daß die kaiserliche Meinung zugleich die Mei¬
nung des Landes sei, ja daß eine der kaiserlichen entgegengesetzte Auffassung
der Verhältnisse, wenn überhaupt, doch nur bei einer verschwindend kleinen
Minorität vorhanden sei: man hatte Nichts dagegen, daß einige wenige op¬
positionelle Abgeordnete die geheiligten Räume des gesetzgebenden Körpers
entweihten: man konnte auf die Wenigen als auf ein lebendiges Zeugniß
für die Wahlfreiheit des französischen Volkes hindeuten; die Mittel, jeder un¬
liebsamen Discussion vorzubeugen, waren ja durch die Verfassung geboten.
Der gesetzgebende Körper besaß weder die Initiative, noch das Jnterpella-
tionsrecht, noch das Recht der Adresse. Die Discussion irgend einer Ver¬
fassungsfrage war ihm ohnehin versagt, da diese ausschließlich zur Competenz
des ehrwürdigen vom Kaiser ernannten Senats, der Quintessenz des Bona¬
partismus, gehörte, in den Alles berufen wurde, was dem Kaiser in auf¬
fallender Weise durch Beamtenroutine, werthvolle Dienstleistungen und Servi-
lität sich empfohlen hatte, vermischt mit einigen Namen von edleren Klänge,
die es sich gefallen ließen, in dieser Gesellschaft zu erscheinen, und die als
Beweise dafür figuriren sollten, daß das Princip des Kaisers die Versöhnung
der Parteien sei.

Erschien dem Kaiser also die Anwesenheit von drei oder fünf Gegnern
im gesetzgebenden Körper ganz unschädlich, ja war sie ihm aus dem angege¬
benen Grunde eher willkommen, so mußte doch mit allen Mitteln einem all-
mäligen Wachsthum dieser Opposition vorgebeugt werden. Hier nun ist der
Punkt, wo die ungeheure Ueberlegenheit der Verwaltung gegenüber Allem,
was wenigstens dem Namen nach als verfassungsmäßiges, selbständiges Organ
des zu politischer Wirksamkeit berufenen Volkes gelten kann, ins klarste Licht
tritt. Die Verwaltung administrirt nicht nur, sondern ihre höchste Aufgabe
ist, den Willen des Volkes zu lenken. Der Präfect, der dies nicht verstand,
der nicht unbedingt die öffentliche Meinung in seinem Departement beherrschte,
der es bei irgend einer wichtigen Gelegenheit, z. B. bei Wahlen, an dem
verzehrenden Eifer fehlen ließ, der von jedem Beamten gefordert wurde, war
sicher, sofort einem befähigteren oder ergebeneren Werkzeuge des Kaisers den
Play räumen zu müssen. Und unter ihm die Schaar der Unterpräfecten,
Maires, Feldhüter, Nachtwächter, Alle, weil officielle auch einflußreiche und
gefürchtete Personen, alle unbedingt abhängig von der Regierung, alle durch
ein Wort des Ministers zu einem Feuereifer entflammt, der, je tiefer man in
der Stufenleiter der Hierarchie herabstieg, in um so brutalerer und darum
auch wirksamerer Weise sich Luft zu machen Pflegte; und dabei vor den Fol¬
gen der ärgsten Ausschreitungen durch das berüchtigte Gesetz gedeckt, das die


Grenzboten III. 1870. 24

beschränken, sondern sie sollte vielmehr dem Kaiser als Herrschaftsmittel dienen ;
sie sollte den Schein erwecken, daß die kaiserliche Meinung zugleich die Mei¬
nung des Landes sei, ja daß eine der kaiserlichen entgegengesetzte Auffassung
der Verhältnisse, wenn überhaupt, doch nur bei einer verschwindend kleinen
Minorität vorhanden sei: man hatte Nichts dagegen, daß einige wenige op¬
positionelle Abgeordnete die geheiligten Räume des gesetzgebenden Körpers
entweihten: man konnte auf die Wenigen als auf ein lebendiges Zeugniß
für die Wahlfreiheit des französischen Volkes hindeuten; die Mittel, jeder un¬
liebsamen Discussion vorzubeugen, waren ja durch die Verfassung geboten.
Der gesetzgebende Körper besaß weder die Initiative, noch das Jnterpella-
tionsrecht, noch das Recht der Adresse. Die Discussion irgend einer Ver¬
fassungsfrage war ihm ohnehin versagt, da diese ausschließlich zur Competenz
des ehrwürdigen vom Kaiser ernannten Senats, der Quintessenz des Bona¬
partismus, gehörte, in den Alles berufen wurde, was dem Kaiser in auf¬
fallender Weise durch Beamtenroutine, werthvolle Dienstleistungen und Servi-
lität sich empfohlen hatte, vermischt mit einigen Namen von edleren Klänge,
die es sich gefallen ließen, in dieser Gesellschaft zu erscheinen, und die als
Beweise dafür figuriren sollten, daß das Princip des Kaisers die Versöhnung
der Parteien sei.

Erschien dem Kaiser also die Anwesenheit von drei oder fünf Gegnern
im gesetzgebenden Körper ganz unschädlich, ja war sie ihm aus dem angege¬
benen Grunde eher willkommen, so mußte doch mit allen Mitteln einem all-
mäligen Wachsthum dieser Opposition vorgebeugt werden. Hier nun ist der
Punkt, wo die ungeheure Ueberlegenheit der Verwaltung gegenüber Allem,
was wenigstens dem Namen nach als verfassungsmäßiges, selbständiges Organ
des zu politischer Wirksamkeit berufenen Volkes gelten kann, ins klarste Licht
tritt. Die Verwaltung administrirt nicht nur, sondern ihre höchste Aufgabe
ist, den Willen des Volkes zu lenken. Der Präfect, der dies nicht verstand,
der nicht unbedingt die öffentliche Meinung in seinem Departement beherrschte,
der es bei irgend einer wichtigen Gelegenheit, z. B. bei Wahlen, an dem
verzehrenden Eifer fehlen ließ, der von jedem Beamten gefordert wurde, war
sicher, sofort einem befähigteren oder ergebeneren Werkzeuge des Kaisers den
Play räumen zu müssen. Und unter ihm die Schaar der Unterpräfecten,
Maires, Feldhüter, Nachtwächter, Alle, weil officielle auch einflußreiche und
gefürchtete Personen, alle unbedingt abhängig von der Regierung, alle durch
ein Wort des Ministers zu einem Feuereifer entflammt, der, je tiefer man in
der Stufenleiter der Hierarchie herabstieg, in um so brutalerer und darum
auch wirksamerer Weise sich Luft zu machen Pflegte; und dabei vor den Fol¬
gen der ärgsten Ausschreitungen durch das berüchtigte Gesetz gedeckt, das die


Grenzboten III. 1870. 24
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/193>, abgerufen am 17.06.2024.