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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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gerichtliche Verfolgung der Beamten von der Zustimmung der obersten Ver¬
waltungsbehörde abhängig machte.

Die an die Verwaltung, namentlich in Bezug auf die Leitung der Wah¬
len gestellten Anforderungen waren denn auch außerordentlich hoch gespannt.
Man mußte den Beamten in dieser Beziehung das Aeußerste zumuthen, weil
man auch das langsamste Wachsen des oppositionellen Elements im gesetz¬
gebenden Körper als ein sicheres Zeichen beginnender Befreiung der öffent¬
lichen Meinung anzusehen hatte. Es ist wunderbar, wie bereits die ersten
Vorzeichen eines in weiter Ferne heraufsteigenden Unwetters den scheinbar
so fest gefügten Bau des Kaiserthums bis in seine tiefsten Grundlagen er¬
schütterten. Die Widerstandskraft fing an zu erlahmen, lange ehe der An¬
griff begonnen -- eine Lähmung, die allerdings zum Theil, aber doch nur
zum Theil durch Mißerfolge der auswärtigen Politik des Kaisers verschuldet
ist. Das allmälige Erwachen der öffentlichen Meinung brach eine Lücke nach
der andern in das System; zu einer Zeit, wo die Opposition sich noch in einer
Minderzahl befand, deren Geringfügigkeit in jedem anderen Lande als Be¬
weis von der unverwüstlichen Macht und Popularität der Regierung ge¬
golten haben würde, trug es die Keime der Zersetzung in die Schaaren der
Getreuen; das Erwachen der öffentlichen Meinung zwang endlich den Kaiser,
wenigstens scheinbar in die constitutionelle Bahn einzulenken, lange ehe eine
parlamentarische Nothwendigkeit dazu vorhanden war. Kaum aber ist
der Bruch mit dem persönlichen Regime äußerlich vollzogen, so erkannte der
Kaiser, so erkannte ganz Frankreich, daß das parlamentarische System mit
dem Bonapartismus unvereinbar ist, daß die Gegensätze, die sich hier gegen¬
überstehen, unversöhnlich sind, daß das Kaiserthum die Freiheit unterdrücken
oder ihr unterliegen muß. Eine bescheidene Forderung der Orleans'schen
Prinzen erfüllte das ganze officielle Frankreich mit Furcht und Schrecken.
Der Kaiser sieht, daß die öffentliche Meinung seinen Handen zu entschlüpfen
im Begriff ist; rasch entschlossen sucht er sie von dem Ziel, welches sie im
Auge hatte, durch einen mit beispielloser Frivolität angefachten Krieg abzu¬
lenken, um sich aus einer Lage zu befreien, deren Anforderungen der Genius
des Bonapartismus nicht gewachsen ist. Der Hand, die das Blut des 2. De¬
zembers vergossen, ist es versagt, aus dem Wege des Verbrechens einzuhalten!

Man wird es verzeihen, wenn wir unter den Eindrücken des Augen¬
blicks, in denen wir diese Worte schreiben, uns zu einem Blick auf die Gegen¬
wart haben verleiten lassen: kehren wir zu den halcyonischen Tagen des
Kaiserthums zurück, die dem Krimkrieg folgten, wo Napoleon auf der Höhe
seiner Macht stand, wo die Opposition fast jede Hoffnung aufgegeben hatte,
wo der Präfect seine Wählerschaaren in eben so straffer Disciplin hielt wie
der General seine Regimenter.


gerichtliche Verfolgung der Beamten von der Zustimmung der obersten Ver¬
waltungsbehörde abhängig machte.

Die an die Verwaltung, namentlich in Bezug auf die Leitung der Wah¬
len gestellten Anforderungen waren denn auch außerordentlich hoch gespannt.
Man mußte den Beamten in dieser Beziehung das Aeußerste zumuthen, weil
man auch das langsamste Wachsen des oppositionellen Elements im gesetz¬
gebenden Körper als ein sicheres Zeichen beginnender Befreiung der öffent¬
lichen Meinung anzusehen hatte. Es ist wunderbar, wie bereits die ersten
Vorzeichen eines in weiter Ferne heraufsteigenden Unwetters den scheinbar
so fest gefügten Bau des Kaiserthums bis in seine tiefsten Grundlagen er¬
schütterten. Die Widerstandskraft fing an zu erlahmen, lange ehe der An¬
griff begonnen — eine Lähmung, die allerdings zum Theil, aber doch nur
zum Theil durch Mißerfolge der auswärtigen Politik des Kaisers verschuldet
ist. Das allmälige Erwachen der öffentlichen Meinung brach eine Lücke nach
der andern in das System; zu einer Zeit, wo die Opposition sich noch in einer
Minderzahl befand, deren Geringfügigkeit in jedem anderen Lande als Be¬
weis von der unverwüstlichen Macht und Popularität der Regierung ge¬
golten haben würde, trug es die Keime der Zersetzung in die Schaaren der
Getreuen; das Erwachen der öffentlichen Meinung zwang endlich den Kaiser,
wenigstens scheinbar in die constitutionelle Bahn einzulenken, lange ehe eine
parlamentarische Nothwendigkeit dazu vorhanden war. Kaum aber ist
der Bruch mit dem persönlichen Regime äußerlich vollzogen, so erkannte der
Kaiser, so erkannte ganz Frankreich, daß das parlamentarische System mit
dem Bonapartismus unvereinbar ist, daß die Gegensätze, die sich hier gegen¬
überstehen, unversöhnlich sind, daß das Kaiserthum die Freiheit unterdrücken
oder ihr unterliegen muß. Eine bescheidene Forderung der Orleans'schen
Prinzen erfüllte das ganze officielle Frankreich mit Furcht und Schrecken.
Der Kaiser sieht, daß die öffentliche Meinung seinen Handen zu entschlüpfen
im Begriff ist; rasch entschlossen sucht er sie von dem Ziel, welches sie im
Auge hatte, durch einen mit beispielloser Frivolität angefachten Krieg abzu¬
lenken, um sich aus einer Lage zu befreien, deren Anforderungen der Genius
des Bonapartismus nicht gewachsen ist. Der Hand, die das Blut des 2. De¬
zembers vergossen, ist es versagt, aus dem Wege des Verbrechens einzuhalten!

Man wird es verzeihen, wenn wir unter den Eindrücken des Augen¬
blicks, in denen wir diese Worte schreiben, uns zu einem Blick auf die Gegen¬
wart haben verleiten lassen: kehren wir zu den halcyonischen Tagen des
Kaiserthums zurück, die dem Krimkrieg folgten, wo Napoleon auf der Höhe
seiner Macht stand, wo die Opposition fast jede Hoffnung aufgegeben hatte,
wo der Präfect seine Wählerschaaren in eben so straffer Disciplin hielt wie
der General seine Regimenter.


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[0194] gerichtliche Verfolgung der Beamten von der Zustimmung der obersten Ver¬ waltungsbehörde abhängig machte. Die an die Verwaltung, namentlich in Bezug auf die Leitung der Wah¬ len gestellten Anforderungen waren denn auch außerordentlich hoch gespannt. Man mußte den Beamten in dieser Beziehung das Aeußerste zumuthen, weil man auch das langsamste Wachsen des oppositionellen Elements im gesetz¬ gebenden Körper als ein sicheres Zeichen beginnender Befreiung der öffent¬ lichen Meinung anzusehen hatte. Es ist wunderbar, wie bereits die ersten Vorzeichen eines in weiter Ferne heraufsteigenden Unwetters den scheinbar so fest gefügten Bau des Kaiserthums bis in seine tiefsten Grundlagen er¬ schütterten. Die Widerstandskraft fing an zu erlahmen, lange ehe der An¬ griff begonnen — eine Lähmung, die allerdings zum Theil, aber doch nur zum Theil durch Mißerfolge der auswärtigen Politik des Kaisers verschuldet ist. Das allmälige Erwachen der öffentlichen Meinung brach eine Lücke nach der andern in das System; zu einer Zeit, wo die Opposition sich noch in einer Minderzahl befand, deren Geringfügigkeit in jedem anderen Lande als Be¬ weis von der unverwüstlichen Macht und Popularität der Regierung ge¬ golten haben würde, trug es die Keime der Zersetzung in die Schaaren der Getreuen; das Erwachen der öffentlichen Meinung zwang endlich den Kaiser, wenigstens scheinbar in die constitutionelle Bahn einzulenken, lange ehe eine parlamentarische Nothwendigkeit dazu vorhanden war. Kaum aber ist der Bruch mit dem persönlichen Regime äußerlich vollzogen, so erkannte der Kaiser, so erkannte ganz Frankreich, daß das parlamentarische System mit dem Bonapartismus unvereinbar ist, daß die Gegensätze, die sich hier gegen¬ überstehen, unversöhnlich sind, daß das Kaiserthum die Freiheit unterdrücken oder ihr unterliegen muß. Eine bescheidene Forderung der Orleans'schen Prinzen erfüllte das ganze officielle Frankreich mit Furcht und Schrecken. Der Kaiser sieht, daß die öffentliche Meinung seinen Handen zu entschlüpfen im Begriff ist; rasch entschlossen sucht er sie von dem Ziel, welches sie im Auge hatte, durch einen mit beispielloser Frivolität angefachten Krieg abzu¬ lenken, um sich aus einer Lage zu befreien, deren Anforderungen der Genius des Bonapartismus nicht gewachsen ist. Der Hand, die das Blut des 2. De¬ zembers vergossen, ist es versagt, aus dem Wege des Verbrechens einzuhalten! Man wird es verzeihen, wenn wir unter den Eindrücken des Augen¬ blicks, in denen wir diese Worte schreiben, uns zu einem Blick auf die Gegen¬ wart haben verleiten lassen: kehren wir zu den halcyonischen Tagen des Kaiserthums zurück, die dem Krimkrieg folgten, wo Napoleon auf der Höhe seiner Macht stand, wo die Opposition fast jede Hoffnung aufgegeben hatte, wo der Präfect seine Wählerschaaren in eben so straffer Disciplin hielt wie der General seine Regimenter.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/194>, abgerufen am 17.06.2024.