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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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auch meist verschiedene Lokalitäten darstellten, waren von vornherein die mit¬
wirkenden Personen vertheilt und so bewegte sich die dramatische Handlung
durch die verschiedenen Abtheilungen hindurch. Jene merkwürdige alte Ein¬
richtung ist beim Oberammergauer Spiel der hier angedeuteten trefflichen
Scenerie gewichen, sodaß die eigentliche Mtttelbühne Dekorationswechsel
zuläßt, während doch das breite Proscenium mit den beiden Häusern, Thoren
und Seitenstraßen einen allgemeinen neutralen Boden abgibt und oft auch
für die dramatische Gruppirung der Handlung äußerst zweckmäßig ist; so z. B.
gleich in der ersten Scene, die ich hier anschaulich zu machen versuchen will.

Wenn die in einem ernsten und angemessenen Stil gehaltene Eröffnungs¬
musik ihrem Ende naht, tritt aus den beiden entgegengesetzten Seiten des
Prosceniums der Chor, aus zwanzig Personen bestehend. Nachdem er im
Mittelpunkt der Bühnenbreite sich vereinigt hat, beginnt der Chorführer mit
einem recitativischen Gesänge, der dann in den allgemeinen Chor übergeht.
Indem derselbe sich nach beiden Seiten hin etwas zurückzieht, in der Auf¬
stellung nunmehr zwei schräge Linien bildend, hebt sich der Vorhang und das
erste "Vorbild" (so sind die stehenden Tableaus bezeichnet) stellt die Ver¬
treibung Adam's und Eva's aus dem Paradiese dar. Wenn der Vorhang
fällt, schließen die beiden Theile des Chors sich wieder in der Mitte anein¬
ander und weisen auf die Beziehung des Bildes hin. Nochmalige Theilung
des Chors und ein zweites Vorbild erscheint: die Anbetung eines großen
Kreuzes, die Versöhnung nach dem Falle. Gleichzeitig ertönt hinter der
Scene Gesang von Knabenstimmen, denen sich, mit dem Schluß des Tableaus,
der vordere Chor wieder anfügt. Noch ehe er geendigt, hört man hinter
dem Vorhang ein Gebrause von Stimmen. Der Chor geht nach beiden
Seiten des Prosceniums wieder ab und der Vorhang wird in die Höhe ge¬
zogen. Die Bühnendekoration zeigt nun das Innere der Stadt Jerusalem;
es ist eine ziemlich simple Malerei von Straßen. die aber nunmehr mit dem
ganzen Proscenium ein großes Ganzes, die Straßen von Jerusalem dar¬
stellen. Im äußersten Hintergrund der Bühne erscheint die Volksmasse,
welche sich quer über die Bühnenbreite bewegt, in den Coulissen verschwindet,
dann wieder durch das offene Thor in der Tiefe der Straße links sichtbar
wird. Der Zug bewegt sich mit Gesang "Hosianna, Heil Dir, Davids
Sohn!" die Straße herauf, durch das offene Thor die Vorbühne beschreitend.
Männer, Weiber, Kinder singend, Palmen streuend oder Teppiche und Klei¬
der auf dem Boden ausbreitend erfüllen bald die ganze Breite des Prosce¬
niums, bis endlich auch Christus selbst auf dem Esel reitend erscheint. Noch
ehe das Ende des Zuges die Mittelbühne verlassen hat. fällt der Vorhang
derselben, und als er -- während des fortschreitenden Hostanna-Gesangs --
sich wieder hebt, zeigt er das Innere des Tempels, angefüllt mit den Geld-


auch meist verschiedene Lokalitäten darstellten, waren von vornherein die mit¬
wirkenden Personen vertheilt und so bewegte sich die dramatische Handlung
durch die verschiedenen Abtheilungen hindurch. Jene merkwürdige alte Ein¬
richtung ist beim Oberammergauer Spiel der hier angedeuteten trefflichen
Scenerie gewichen, sodaß die eigentliche Mtttelbühne Dekorationswechsel
zuläßt, während doch das breite Proscenium mit den beiden Häusern, Thoren
und Seitenstraßen einen allgemeinen neutralen Boden abgibt und oft auch
für die dramatische Gruppirung der Handlung äußerst zweckmäßig ist; so z. B.
gleich in der ersten Scene, die ich hier anschaulich zu machen versuchen will.

Wenn die in einem ernsten und angemessenen Stil gehaltene Eröffnungs¬
musik ihrem Ende naht, tritt aus den beiden entgegengesetzten Seiten des
Prosceniums der Chor, aus zwanzig Personen bestehend. Nachdem er im
Mittelpunkt der Bühnenbreite sich vereinigt hat, beginnt der Chorführer mit
einem recitativischen Gesänge, der dann in den allgemeinen Chor übergeht.
Indem derselbe sich nach beiden Seiten hin etwas zurückzieht, in der Auf¬
stellung nunmehr zwei schräge Linien bildend, hebt sich der Vorhang und das
erste „Vorbild" (so sind die stehenden Tableaus bezeichnet) stellt die Ver¬
treibung Adam's und Eva's aus dem Paradiese dar. Wenn der Vorhang
fällt, schließen die beiden Theile des Chors sich wieder in der Mitte anein¬
ander und weisen auf die Beziehung des Bildes hin. Nochmalige Theilung
des Chors und ein zweites Vorbild erscheint: die Anbetung eines großen
Kreuzes, die Versöhnung nach dem Falle. Gleichzeitig ertönt hinter der
Scene Gesang von Knabenstimmen, denen sich, mit dem Schluß des Tableaus,
der vordere Chor wieder anfügt. Noch ehe er geendigt, hört man hinter
dem Vorhang ein Gebrause von Stimmen. Der Chor geht nach beiden
Seiten des Prosceniums wieder ab und der Vorhang wird in die Höhe ge¬
zogen. Die Bühnendekoration zeigt nun das Innere der Stadt Jerusalem;
es ist eine ziemlich simple Malerei von Straßen. die aber nunmehr mit dem
ganzen Proscenium ein großes Ganzes, die Straßen von Jerusalem dar¬
stellen. Im äußersten Hintergrund der Bühne erscheint die Volksmasse,
welche sich quer über die Bühnenbreite bewegt, in den Coulissen verschwindet,
dann wieder durch das offene Thor in der Tiefe der Straße links sichtbar
wird. Der Zug bewegt sich mit Gesang „Hosianna, Heil Dir, Davids
Sohn!" die Straße herauf, durch das offene Thor die Vorbühne beschreitend.
Männer, Weiber, Kinder singend, Palmen streuend oder Teppiche und Klei¬
der auf dem Boden ausbreitend erfüllen bald die ganze Breite des Prosce¬
niums, bis endlich auch Christus selbst auf dem Esel reitend erscheint. Noch
ehe das Ende des Zuges die Mittelbühne verlassen hat. fällt der Vorhang
derselben, und als er — während des fortschreitenden Hostanna-Gesangs —
sich wieder hebt, zeigt er das Innere des Tempels, angefüllt mit den Geld-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/53>, abgerufen am 17.06.2024.