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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Wechslern und Krämern, im Vordergrunde Pharisäer und Mitglieder des
hohen Raths in vollem Glänze. Die ganze Masse, die nun in solcher Ver¬
einigung den großen Raum füllt (es mögen an 300 Personen beisammen
sein), gewährt durch die lebhafte Bewegung und die Buntheit der Kostüme
einen interessanten Anblick. Christus, der sogleich nach seinem Erscheinen im
Vordergrunde vom Esel abgestiegen ist, tritt unmittelbar darauf in den
Tempel, um die zürnenden Worte an die dort Anwesenden zu richten und
sie hinauszutreiben. Jetzt wird die ganze Bewegung noch lebhafter; die be¬
freiten Tauben fliegen heraus über den Zuschauerraum hin, die Krämer
toben durcheinander und laufen, nach Rache schreiend, durch die Seitenstraße
rechts hinweg. Jetzt treten die Pharisäer und Mitglieder des hohen Rathes
gegen Christus auf, und nachdem dieser, begleitet vom Volke, sich entfernt
hat, beschließt die hiermit beginnende Verschwörung gegen den Galiläer die
erste "Handlung" der Tragödie.

Vielleicht wird man aus dieser mangelhaften Beschreibung der ersten
Handlung doch eine ungefähre Vorstellung von der Vortrefflichkeit der sceni¬
schen Einrichtung sich machen können, die in der That nichts zu wünschen
übrig läßt, und wohl werrh wäre, daß man einmal andern Orts zu be¬
stimmten Zwecken eine Nachahmung versuchte. Ganz besonders für die Auf¬
führung Shakespeare'scher Stücke, zu denen doch nun einmal unsere moderne
Bühne nicht paßt, wäre dies der geeignetste Ersatz für das altenglische
Theater/

Was den Fortgang der Handlung in unserm Passionsspiel betrifft, so
würde es zu weit führen, den Inhalt aller Scenen vollständig anzugeben,
und es genüge hier eine kurze Mittheilung über die Scenen-Eintheilung. Die
ganze Vorstellung, welche Morgens 8 Uhr beginnt und bis Nachmittags
L Uhr währt, mit Unterbrechung einer einzigen Mittagspause von einer
Stunde, ist in 17 sogenannte "Handlungen" d. h. Akte getheilt, von denen
manche mehrere aufeinander folgende Scenen enthalten. Jeder der Akte
wird durch den auftretenden Chor der "Schutzgeister" eröffnet, wobei gewöhn¬
lich der Chorführer mit Dialog oder mit einem recitativischen Gesänge be¬
ginnt und dann der Chorgesang eintritt. Dieser Gesang begleitet gleichzeitig
die eine jeden Akt einleitenden "Vorbilder" d. h. lebende Bilder, die auf
der Mittelbühne erscheinen und immer eine für die zunächst bevorstehende
Handlung analoge Scene aus dem alten Testamente darstellen. Solcher
Tableaus erscheinen im Ganzen sechsundzwanzig (das Schlußbild ungerechnet),
indem mehreren Akten zwei, auch drei "Vorbilder" vorausgehen.*)



") Die vielen erklärenden Textbücher, welche von verschiedenen Unternehmern herausgegeben
sind, enthalten über die Bilder und die Scenenfolgc manche falsche Angaben, da sie alle nach
den an mehreren Stellen veränderten Aufführungen von 1860 abgefaßt sind.

Wechslern und Krämern, im Vordergrunde Pharisäer und Mitglieder des
hohen Raths in vollem Glänze. Die ganze Masse, die nun in solcher Ver¬
einigung den großen Raum füllt (es mögen an 300 Personen beisammen
sein), gewährt durch die lebhafte Bewegung und die Buntheit der Kostüme
einen interessanten Anblick. Christus, der sogleich nach seinem Erscheinen im
Vordergrunde vom Esel abgestiegen ist, tritt unmittelbar darauf in den
Tempel, um die zürnenden Worte an die dort Anwesenden zu richten und
sie hinauszutreiben. Jetzt wird die ganze Bewegung noch lebhafter; die be¬
freiten Tauben fliegen heraus über den Zuschauerraum hin, die Krämer
toben durcheinander und laufen, nach Rache schreiend, durch die Seitenstraße
rechts hinweg. Jetzt treten die Pharisäer und Mitglieder des hohen Rathes
gegen Christus auf, und nachdem dieser, begleitet vom Volke, sich entfernt
hat, beschließt die hiermit beginnende Verschwörung gegen den Galiläer die
erste „Handlung" der Tragödie.

Vielleicht wird man aus dieser mangelhaften Beschreibung der ersten
Handlung doch eine ungefähre Vorstellung von der Vortrefflichkeit der sceni¬
schen Einrichtung sich machen können, die in der That nichts zu wünschen
übrig läßt, und wohl werrh wäre, daß man einmal andern Orts zu be¬
stimmten Zwecken eine Nachahmung versuchte. Ganz besonders für die Auf¬
führung Shakespeare'scher Stücke, zu denen doch nun einmal unsere moderne
Bühne nicht paßt, wäre dies der geeignetste Ersatz für das altenglische
Theater/

Was den Fortgang der Handlung in unserm Passionsspiel betrifft, so
würde es zu weit führen, den Inhalt aller Scenen vollständig anzugeben,
und es genüge hier eine kurze Mittheilung über die Scenen-Eintheilung. Die
ganze Vorstellung, welche Morgens 8 Uhr beginnt und bis Nachmittags
L Uhr währt, mit Unterbrechung einer einzigen Mittagspause von einer
Stunde, ist in 17 sogenannte „Handlungen" d. h. Akte getheilt, von denen
manche mehrere aufeinander folgende Scenen enthalten. Jeder der Akte
wird durch den auftretenden Chor der „Schutzgeister" eröffnet, wobei gewöhn¬
lich der Chorführer mit Dialog oder mit einem recitativischen Gesänge be¬
ginnt und dann der Chorgesang eintritt. Dieser Gesang begleitet gleichzeitig
die eine jeden Akt einleitenden „Vorbilder" d. h. lebende Bilder, die auf
der Mittelbühne erscheinen und immer eine für die zunächst bevorstehende
Handlung analoge Scene aus dem alten Testamente darstellen. Solcher
Tableaus erscheinen im Ganzen sechsundzwanzig (das Schlußbild ungerechnet),
indem mehreren Akten zwei, auch drei „Vorbilder" vorausgehen.*)



") Die vielen erklärenden Textbücher, welche von verschiedenen Unternehmern herausgegeben
sind, enthalten über die Bilder und die Scenenfolgc manche falsche Angaben, da sie alle nach
den an mehreren Stellen veränderten Aufführungen von 1860 abgefaßt sind.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/54>, abgerufen am 17.06.2024.