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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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dessen Betheiligung an ihr nicht anschlagen, daß wir nicht gegen eine solche
Zumuthung, wenn sie mehr als ein bloßer Scherz sein wollte, im Namen
dieser Stadt Protestiren müßten. Wenn auch nicht gerade "feierlichst", wie
man zu Protestiren pflegt. -- Leipzig ist ein gastliches Haus, seit Jahrhunderten
ein weltberühmter Sammelplatz für "Parther, Meder und Elamiter und die
wohnen in Mesopotamien, Juden und Judengenossen, Kreter und Araber ze.
Alle dürfen kommen, "um hier zu handeln oder zu verhandeln", und wenn
sie das gethan und ihre Rechnungen bezahlt haben, wieder gehen. Warum
nicht auch die Mitglieder der evangelisch-lutherischen Conferenz? Doch wohl
ebenso gut wie vor ihnen die Freidenker und die Rabbinen. Leipzig ist
gegen alle seine Gäste gleich zuvorkommend und freundlich und wird sich --
nicht dadurch allein, aber dadurch auch die vom alten Herrn ihm zuerkannte
Ehre, ein klein Paris zu sein, im Gegensatz zu Rom, "das seine Leute nicht
bildet", auch fernerhin wohl wahren. Soviel über den Scherz.

Leider ist dessen Veranlassung eine viel ernstere, als daß wir in diesem
Tone fortfahren dürften. Die Thatsache, daß eine Versammlung von 6- bis
700 Pastoren, die sich nach dem großen deutschen Reformator, dieser Gottes¬
geißel einer zum zweiten Mal zur Meßbude erniedrigten Kirche "noch"
nennen, verstärkt durch reactionäre Kirchenpatrone und durch politisch Mi߬
vergnügte aus ganz Deutschland, die Thatsache, daß eine solche Versamm¬
lung auch die harmlosesten, indifferentesten Zuschauer ohne Weiteres ans
römische Concil erinnert, ist höchst beklagenswert!); noch beklagenswerter,
daß diese Versammlung die schon darin liegende Verurtheilung wohl verdient
hat. Nur den Beweis dafür wollen wir im Nachstehenden antreten. Die
Nutzanwendung, die Beantwortung der Frage, was dem gegenüber zu thun
und ob kirchliche Indifferenz ein genügender Schutz gegen unsere citra- und
ultramontanen Hierarchen sei, überlassen wir dem Leser.

Fragen wir diese Herren zuerst: was hat sie zusammengeführt? so ist ihre
Antwort genau dieselbe wie die der Römlinge: "Die Noth ihrer Kirche". Wie
Victor Emanuel und die Garibaldianer den Felsen Petri bedrohen, so bedrohen --
König Wilhelm (ist zwar nicht genannt, aber thatsächlich gemeint) und die
Rotte der Protestantenvereinsmänner den Felsen der Kirche Luther's; Unglaube
unter den Massen, Unglaube unter den Gebildeten, genährt durch eine gott¬
feindliche Presse hüben wie drüben. Und sonst fehlt es nirgends? Nein.
Spener meinte einmal: wie, wo ein Baum welk sei, an der Wurzel etwas
fehlen müsse, so müsse, wo es um die Kirche oder die Gemeinde schlimm
stehe, an der Priesterschaft etwas fehlen. Wir erwarten, daß auch eine Ver¬
sammlung von 700 lutherischen Pastoren, wenn sie die Leiden und Schäden
der Heerde in Erwägung zieht, die Frage: wie steht's um die Hirten? wenig¬
stens auswerfen werde. Aber vergeblich! Wir werden zu notiren haben, daß


dessen Betheiligung an ihr nicht anschlagen, daß wir nicht gegen eine solche
Zumuthung, wenn sie mehr als ein bloßer Scherz sein wollte, im Namen
dieser Stadt Protestiren müßten. Wenn auch nicht gerade „feierlichst", wie
man zu Protestiren pflegt. — Leipzig ist ein gastliches Haus, seit Jahrhunderten
ein weltberühmter Sammelplatz für „Parther, Meder und Elamiter und die
wohnen in Mesopotamien, Juden und Judengenossen, Kreter und Araber ze.
Alle dürfen kommen, „um hier zu handeln oder zu verhandeln", und wenn
sie das gethan und ihre Rechnungen bezahlt haben, wieder gehen. Warum
nicht auch die Mitglieder der evangelisch-lutherischen Conferenz? Doch wohl
ebenso gut wie vor ihnen die Freidenker und die Rabbinen. Leipzig ist
gegen alle seine Gäste gleich zuvorkommend und freundlich und wird sich —
nicht dadurch allein, aber dadurch auch die vom alten Herrn ihm zuerkannte
Ehre, ein klein Paris zu sein, im Gegensatz zu Rom, „das seine Leute nicht
bildet", auch fernerhin wohl wahren. Soviel über den Scherz.

Leider ist dessen Veranlassung eine viel ernstere, als daß wir in diesem
Tone fortfahren dürften. Die Thatsache, daß eine Versammlung von 6- bis
700 Pastoren, die sich nach dem großen deutschen Reformator, dieser Gottes¬
geißel einer zum zweiten Mal zur Meßbude erniedrigten Kirche „noch"
nennen, verstärkt durch reactionäre Kirchenpatrone und durch politisch Mi߬
vergnügte aus ganz Deutschland, die Thatsache, daß eine solche Versamm¬
lung auch die harmlosesten, indifferentesten Zuschauer ohne Weiteres ans
römische Concil erinnert, ist höchst beklagenswert!); noch beklagenswerter,
daß diese Versammlung die schon darin liegende Verurtheilung wohl verdient
hat. Nur den Beweis dafür wollen wir im Nachstehenden antreten. Die
Nutzanwendung, die Beantwortung der Frage, was dem gegenüber zu thun
und ob kirchliche Indifferenz ein genügender Schutz gegen unsere citra- und
ultramontanen Hierarchen sei, überlassen wir dem Leser.

Fragen wir diese Herren zuerst: was hat sie zusammengeführt? so ist ihre
Antwort genau dieselbe wie die der Römlinge: „Die Noth ihrer Kirche". Wie
Victor Emanuel und die Garibaldianer den Felsen Petri bedrohen, so bedrohen —
König Wilhelm (ist zwar nicht genannt, aber thatsächlich gemeint) und die
Rotte der Protestantenvereinsmänner den Felsen der Kirche Luther's; Unglaube
unter den Massen, Unglaube unter den Gebildeten, genährt durch eine gott¬
feindliche Presse hüben wie drüben. Und sonst fehlt es nirgends? Nein.
Spener meinte einmal: wie, wo ein Baum welk sei, an der Wurzel etwas
fehlen müsse, so müsse, wo es um die Kirche oder die Gemeinde schlimm
stehe, an der Priesterschaft etwas fehlen. Wir erwarten, daß auch eine Ver¬
sammlung von 700 lutherischen Pastoren, wenn sie die Leiden und Schäden
der Heerde in Erwägung zieht, die Frage: wie steht's um die Hirten? wenig¬
stens auswerfen werde. Aber vergeblich! Wir werden zu notiren haben, daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/60>, abgerufen am 17.06.2024.