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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Wodurch soll nun die evangelisch-lutherische Kirche gegen die Angriffe
von unten und oben in ihrem ferneren Bestände geschützt werden?

Auf diese Frage gibt die allgemeine evangelisch-lutherische Conferenz zu
Leipzig durch den Mund ihres Sprechers genau 25 Mal dieselbe Antwort:
durch die Einheit in der Lehre, und um diese zu wahren durch die ernstlichste
Bitte an die derzeitigen Inhaber der Kirchengewalt, Keinen in kirchlichen
Angelegenheiten anrathen und mithelfen zu lassen, der nicht, wie der bekannte
Köhler, genau das glaubt, was die Kirche glaubt. Was aber die Kirche
glaubt, steht ganz genau in den kirchlichen Bekenntnissen, vom apostolischen
an bis auf das neueste. Wenn die sogenannten Laien sich auf die Bekennt¬
nisse verpflichten lassen werden (ja nicht "nur (!) auf ihr Gewissen--
denn Gewissen haben unsere Gegner auch" S, 27), dann will sich Herr
Luthardt auch die leider unvermeidlichen Synoden gefallen lassen. Sonst
nicht --- denn "die Kirche und ihre Lehre ist souverän über die Synode."

Der Leser wird vielleicht stutzig bei diesem Satze und fragt uns, wie
denn die lutherische Kirche, wenn eine aus Geistlichen und Laien zu¬
sammengesetzte Synode, Ah ^jurs und as kaeto Vertreterin der Kirche, sich
doch Abweichungen vom Bekenntniß gestatten sollte, ihre Souveränität
über dieselbe auszuüben gedenkt? Aber auf diese sehr naheliegende
Frage können wir schlechterdings keine Auskunft geben, und wir glauben be¬
haupten zu dürfen: der Sprecher jener Versammlung auch nicht. In der
katholischen Kirche läßt sich wenigstens eine theoretische Lösung der so ent¬
stehenden Schwierigkeit denken. Der unfehlbare Papst steht über dem Concil
und versagt allen ketzerischen Beschlüssen die Bestätigung. Aber wer soll
unter den Lutheranern dieses höchste Schiedsrichteramt sammt Executive über¬
nehmen? Es ist kein anderer Ausweg geboten, als daß sie sich auch einen
unfehlbaren Papst anschaffen; so lange dies nicht geschehen, bleibt "die Sou-
veränetät der Kirche über die Synode",'wie sie Herr Professor Luthardt pro-
klamirr, eine Phrase.

Wir sind nun freilich der Meinung, es sei auch Alles, was Redner über
die Lehreinheit und deren Durchführung gesagt hat, beim Lichte besehen nichts
Anderes. Denn wem in aller Welt fällt es denn ein, die Conferenzgenoffen
an ihrer Lehreinigkeit zu verhindern, wenn dieselbe unter ihnen besteht?
Wenn sie aber nicht unter ihnen besteht, wie sie denn thatsächlich eine Fiction
ist, wer kann sie ihnen geben? Wie sich die Herren die Sache als möglich
zurechtphantasiren, das liest sich allenfalls zwischen den Zeilen!

Die Geistlichen sollen durch ihr Feststehen auf den Bekenntnissen den
Bestand der lutherischen Kirche garantiren. Dadurch üben sie möglicher
Weise einen solchen Druck auf das Kirchenregimenr. daß es ihren Forde¬
rungen, auch die in die Synode berufenen Laien auf die kirchlichen Bekenne-


Wodurch soll nun die evangelisch-lutherische Kirche gegen die Angriffe
von unten und oben in ihrem ferneren Bestände geschützt werden?

Auf diese Frage gibt die allgemeine evangelisch-lutherische Conferenz zu
Leipzig durch den Mund ihres Sprechers genau 25 Mal dieselbe Antwort:
durch die Einheit in der Lehre, und um diese zu wahren durch die ernstlichste
Bitte an die derzeitigen Inhaber der Kirchengewalt, Keinen in kirchlichen
Angelegenheiten anrathen und mithelfen zu lassen, der nicht, wie der bekannte
Köhler, genau das glaubt, was die Kirche glaubt. Was aber die Kirche
glaubt, steht ganz genau in den kirchlichen Bekenntnissen, vom apostolischen
an bis auf das neueste. Wenn die sogenannten Laien sich auf die Bekennt¬
nisse verpflichten lassen werden (ja nicht „nur (!) auf ihr Gewissen--
denn Gewissen haben unsere Gegner auch" S, 27), dann will sich Herr
Luthardt auch die leider unvermeidlichen Synoden gefallen lassen. Sonst
nicht -— denn „die Kirche und ihre Lehre ist souverän über die Synode."

Der Leser wird vielleicht stutzig bei diesem Satze und fragt uns, wie
denn die lutherische Kirche, wenn eine aus Geistlichen und Laien zu¬
sammengesetzte Synode, Ah ^jurs und as kaeto Vertreterin der Kirche, sich
doch Abweichungen vom Bekenntniß gestatten sollte, ihre Souveränität
über dieselbe auszuüben gedenkt? Aber auf diese sehr naheliegende
Frage können wir schlechterdings keine Auskunft geben, und wir glauben be¬
haupten zu dürfen: der Sprecher jener Versammlung auch nicht. In der
katholischen Kirche läßt sich wenigstens eine theoretische Lösung der so ent¬
stehenden Schwierigkeit denken. Der unfehlbare Papst steht über dem Concil
und versagt allen ketzerischen Beschlüssen die Bestätigung. Aber wer soll
unter den Lutheranern dieses höchste Schiedsrichteramt sammt Executive über¬
nehmen? Es ist kein anderer Ausweg geboten, als daß sie sich auch einen
unfehlbaren Papst anschaffen; so lange dies nicht geschehen, bleibt „die Sou-
veränetät der Kirche über die Synode",'wie sie Herr Professor Luthardt pro-
klamirr, eine Phrase.

Wir sind nun freilich der Meinung, es sei auch Alles, was Redner über
die Lehreinheit und deren Durchführung gesagt hat, beim Lichte besehen nichts
Anderes. Denn wem in aller Welt fällt es denn ein, die Conferenzgenoffen
an ihrer Lehreinigkeit zu verhindern, wenn dieselbe unter ihnen besteht?
Wenn sie aber nicht unter ihnen besteht, wie sie denn thatsächlich eine Fiction
ist, wer kann sie ihnen geben? Wie sich die Herren die Sache als möglich
zurechtphantasiren, das liest sich allenfalls zwischen den Zeilen!

Die Geistlichen sollen durch ihr Feststehen auf den Bekenntnissen den
Bestand der lutherischen Kirche garantiren. Dadurch üben sie möglicher
Weise einen solchen Druck auf das Kirchenregimenr. daß es ihren Forde¬
rungen, auch die in die Synode berufenen Laien auf die kirchlichen Bekenne-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/62>, abgerufen am 17.06.2024.