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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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auf eigenem Fuhrwerk mit sich führen. Das Holz müssen Wälder, und in
deren Ermangelung Zäune, Thüren u. tgi. hergeben. Von fertigen Speisen,
Bett, Handtuch und ähnlichen Bequemlichkeiten weiß der russische Soldat nichts.

Was die Bewaffnung betrifft, so haben sich die Nachrichten, daß die
ganze Infanterie mit Hinterladern bewaffnet sei, nicht bestätigt. Eine in¬
ländische Gewehrfabrik hatte die Lieferung von 120,000 solcher Gewehre über¬
nommen und die Hälfte zum 1. Juli 1870. den Rest 1871 zu liefern ver-
sprochen. Es soll ihr aber die Weisung zugegangen sein, die Anfertigung
einzustellen. Die bereits fertigen Gewehre sollen einstweilen bei der nächsten
Militär-Verwaltungsbehörde zum Depositum gegeben werden. So sind also
außer den von mehreren Seiten eingesandten Probeexemplaren verschiedener
Construction nicht mehr als 30.000 Stück nach einem Systeme gefertigter
Hinterladungsgewehre vonäthig. Die Sistirung ist nicht aufgehoben, sondern
ein Entschädigungsproceß des Fabrikanten gegen die Regierung eingeleitet.
Einzelne Regimenter werden mit den fertigen Gewehren einexercirt. Bei
der Bewaffnung der Artillerie sind seit wenigen Jahren große Veränderungen
vorgegangen und sollen dieselben jetzt bereits vollendet sein. Die Feldartillerie
ist mit Ausnahme der im sibirischen, orenburger und turkestanischen Militär¬
bezirke stationirten Batterien mit 9- und 4pfündiger Hinterladungskanonen
armirt; besonders wird die Art gelobt, wie die Ringe befestigt sind, welche
die Dauerhaftigkeit der Geschütze und die Sicherheit der Bedienungsmann¬
schaften im Falle des Springens eines Rohres erhöhen.

Die festen Plätze, namentlich Kronstäbe, werden mit neuen Befestigungen
versehen und für Nikolajews? und Kertsch, die beiden neuen Wasserplätze im
Süden, die das einstige Sebastopol vollständig aufwiegen, werden keine Kosten
gescheut, selbst die alte Türkenfestung Bender wird in einen vertheidigungs¬
fähigen Zustand gesetzt, wobei allein für Beschaffung von Geschützplattformen
und dergleichen Artilleriebedarf 90,000 Rubel angewiesen wurden. Bei der
Feldartillerie, die zu den neuen Geschützen neu construirte eiserne Lafetten
hat, werden auch die Bespannungen ergänzt, wozu dem Kriegsminister vom
Staatsrath ein Extraordtnarium von 200.000 Rubeln Z. Conto des 1871er
Budgets bewilligt wurde. Mit dem Blciwer'kebesitzer Popoff in Kasan schloß
das Kriegsministerium einen Contract auf Lieferung von 40,000 Pud Blei
(a 40 Pfd.) ab. Die aus dem Auslande, namentlich von Krupp in Essen
bezogenen schweren Geschütze haben dem Staate so viel gekostet, daß man jetzt
in einheimischen Eisenwerken, z. B. in Peru Versuche macht. Aber dieselben
verschlangen ungeheuere Summen, da die Fabrikate meist schon beim Probe-
feuern platzten. Nachdem weitere Verbesserungen der einheimischen Etablisse¬
ments stattgefunden hatten, glückte es endlich ein 2730 Pud schweres Geschütz
für Kronstäbe herzustellen, welches über 300 Probeschüsse aushielt, und es


auf eigenem Fuhrwerk mit sich führen. Das Holz müssen Wälder, und in
deren Ermangelung Zäune, Thüren u. tgi. hergeben. Von fertigen Speisen,
Bett, Handtuch und ähnlichen Bequemlichkeiten weiß der russische Soldat nichts.

Was die Bewaffnung betrifft, so haben sich die Nachrichten, daß die
ganze Infanterie mit Hinterladern bewaffnet sei, nicht bestätigt. Eine in¬
ländische Gewehrfabrik hatte die Lieferung von 120,000 solcher Gewehre über¬
nommen und die Hälfte zum 1. Juli 1870. den Rest 1871 zu liefern ver-
sprochen. Es soll ihr aber die Weisung zugegangen sein, die Anfertigung
einzustellen. Die bereits fertigen Gewehre sollen einstweilen bei der nächsten
Militär-Verwaltungsbehörde zum Depositum gegeben werden. So sind also
außer den von mehreren Seiten eingesandten Probeexemplaren verschiedener
Construction nicht mehr als 30.000 Stück nach einem Systeme gefertigter
Hinterladungsgewehre vonäthig. Die Sistirung ist nicht aufgehoben, sondern
ein Entschädigungsproceß des Fabrikanten gegen die Regierung eingeleitet.
Einzelne Regimenter werden mit den fertigen Gewehren einexercirt. Bei
der Bewaffnung der Artillerie sind seit wenigen Jahren große Veränderungen
vorgegangen und sollen dieselben jetzt bereits vollendet sein. Die Feldartillerie
ist mit Ausnahme der im sibirischen, orenburger und turkestanischen Militär¬
bezirke stationirten Batterien mit 9- und 4pfündiger Hinterladungskanonen
armirt; besonders wird die Art gelobt, wie die Ringe befestigt sind, welche
die Dauerhaftigkeit der Geschütze und die Sicherheit der Bedienungsmann¬
schaften im Falle des Springens eines Rohres erhöhen.

Die festen Plätze, namentlich Kronstäbe, werden mit neuen Befestigungen
versehen und für Nikolajews? und Kertsch, die beiden neuen Wasserplätze im
Süden, die das einstige Sebastopol vollständig aufwiegen, werden keine Kosten
gescheut, selbst die alte Türkenfestung Bender wird in einen vertheidigungs¬
fähigen Zustand gesetzt, wobei allein für Beschaffung von Geschützplattformen
und dergleichen Artilleriebedarf 90,000 Rubel angewiesen wurden. Bei der
Feldartillerie, die zu den neuen Geschützen neu construirte eiserne Lafetten
hat, werden auch die Bespannungen ergänzt, wozu dem Kriegsminister vom
Staatsrath ein Extraordtnarium von 200.000 Rubeln Z. Conto des 1871er
Budgets bewilligt wurde. Mit dem Blciwer'kebesitzer Popoff in Kasan schloß
das Kriegsministerium einen Contract auf Lieferung von 40,000 Pud Blei
(a 40 Pfd.) ab. Die aus dem Auslande, namentlich von Krupp in Essen
bezogenen schweren Geschütze haben dem Staate so viel gekostet, daß man jetzt
in einheimischen Eisenwerken, z. B. in Peru Versuche macht. Aber dieselben
verschlangen ungeheuere Summen, da die Fabrikate meist schon beim Probe-
feuern platzten. Nachdem weitere Verbesserungen der einheimischen Etablisse¬
ments stattgefunden hatten, glückte es endlich ein 2730 Pud schweres Geschütz
für Kronstäbe herzustellen, welches über 300 Probeschüsse aushielt, und es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/69>, abgerufen am 17.06.2024.