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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Der Äriegslcirm in Frankreich.

In die emsige Thätigkeit der sonnigen Erntewoche klang mißtönend der
Allarmruf aus Frankreich. Mitten im tiefsten Frieden ist uns ahnungslosen
Deutschen durch öffentliche Erklärung der französischen Minister die unange¬
nehme Mittheilung gemacht worden, daß wir Krieg mit Frankreich zu er¬
warten haben, wenn wir nicht ein Etwas verhindern, was wir weder zu
bewirken noch zu verhindern die Macht haben. Wenn die Vertreter des
spanischen Volkes den Prinzen Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen zum
Könige von Spanien wählen und die Bürgerwache von Sigmaringen dem
Erwählten nicht in die Speichen seines Reisewagens fällt, dann giebt es
Krieg mit Frankreich. So lautete die Ankündigung des Herzogs von Gra-
mont mit den Erläuterungen des Ministers Ollivier. Wir haben in dem
letzten Menschenalter zuweilen Veranlassung gehabt, gegen die Ansprüche
unserer Nachbarn jenseit des Rheins Nachsicht zu üben. Aber wenn wir
diesmal dem schnell aufwallenden Blut unserer werthen Verwandten dort
im Westen, den Schwächen ihres politischen Charakters und der heißen Jahres¬
zeit noch so viel Rücksicht tragen,-- diese überraschende Behendigkeit im Aus¬
sagen aller Freundschaft ist doch selbst für deutsche Geduld eine harte Zu-
muthung. Sonst galt unter civilisirten Nationen die Erklärung, daß man
genöthigt sei, die Entscheidung durch Waffen zu suchen, für die letzte und
entscheidende Maßregel, nachdem alle Mittel, auf friedlichem Wege zum Einver¬
nehmen zu kommen, als fruchtlos erwiesen waren. Und die Kriegsdrohung selbst
galt für ein verhängnißvolles und furchtbares Wort, das man sogar dann un¬
gern aussprach, wenn man zum Aeußersten entschlossen war. weil man wußte,
daß die ausgesprochene Drohung jedes weitere Verhandeln stört, dos Ehrgefühl
beider Theile feindlich herausfordert und selbst einer schweren That durchaus
gleichkommt. Sonst, wenn man dir Pflicht hatte, die Geschicke eines Staates
zu besorgen, bedachte man, daß der Krieg nur letztes Mittel in Lebensfragen des
Staates sein darf. Jetzt ist die Diplomatie in Frankreich soweit gekommen,
daß ihr bei der ersten Aufwendung von Kraft diese äußerste Erklärung nöthig
erscheint. Uns dünkt das kein Zeichen von Kraft.

Aber die brüske Herausforderung des deutschen Ehrgefühls ist auch ein
politischer Fehler, der kaum ärger gedacht werden kann, falls man wirklich,
nur die Beseitigung eines spanischen Throncandidaten will. Denn dieser
Kriegsruf zwingt nicht nur das französische Ministerium zu Consequenzen


Gr-nzvoten III. 1870, 11
Der Äriegslcirm in Frankreich.

In die emsige Thätigkeit der sonnigen Erntewoche klang mißtönend der
Allarmruf aus Frankreich. Mitten im tiefsten Frieden ist uns ahnungslosen
Deutschen durch öffentliche Erklärung der französischen Minister die unange¬
nehme Mittheilung gemacht worden, daß wir Krieg mit Frankreich zu er¬
warten haben, wenn wir nicht ein Etwas verhindern, was wir weder zu
bewirken noch zu verhindern die Macht haben. Wenn die Vertreter des
spanischen Volkes den Prinzen Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen zum
Könige von Spanien wählen und die Bürgerwache von Sigmaringen dem
Erwählten nicht in die Speichen seines Reisewagens fällt, dann giebt es
Krieg mit Frankreich. So lautete die Ankündigung des Herzogs von Gra-
mont mit den Erläuterungen des Ministers Ollivier. Wir haben in dem
letzten Menschenalter zuweilen Veranlassung gehabt, gegen die Ansprüche
unserer Nachbarn jenseit des Rheins Nachsicht zu üben. Aber wenn wir
diesmal dem schnell aufwallenden Blut unserer werthen Verwandten dort
im Westen, den Schwächen ihres politischen Charakters und der heißen Jahres¬
zeit noch so viel Rücksicht tragen,— diese überraschende Behendigkeit im Aus¬
sagen aller Freundschaft ist doch selbst für deutsche Geduld eine harte Zu-
muthung. Sonst galt unter civilisirten Nationen die Erklärung, daß man
genöthigt sei, die Entscheidung durch Waffen zu suchen, für die letzte und
entscheidende Maßregel, nachdem alle Mittel, auf friedlichem Wege zum Einver¬
nehmen zu kommen, als fruchtlos erwiesen waren. Und die Kriegsdrohung selbst
galt für ein verhängnißvolles und furchtbares Wort, das man sogar dann un¬
gern aussprach, wenn man zum Aeußersten entschlossen war. weil man wußte,
daß die ausgesprochene Drohung jedes weitere Verhandeln stört, dos Ehrgefühl
beider Theile feindlich herausfordert und selbst einer schweren That durchaus
gleichkommt. Sonst, wenn man dir Pflicht hatte, die Geschicke eines Staates
zu besorgen, bedachte man, daß der Krieg nur letztes Mittel in Lebensfragen des
Staates sein darf. Jetzt ist die Diplomatie in Frankreich soweit gekommen,
daß ihr bei der ersten Aufwendung von Kraft diese äußerste Erklärung nöthig
erscheint. Uns dünkt das kein Zeichen von Kraft.

Aber die brüske Herausforderung des deutschen Ehrgefühls ist auch ein
politischer Fehler, der kaum ärger gedacht werden kann, falls man wirklich,
nur die Beseitigung eines spanischen Throncandidaten will. Denn dieser
Kriegsruf zwingt nicht nur das französische Ministerium zu Consequenzen


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[0089] Der Äriegslcirm in Frankreich. In die emsige Thätigkeit der sonnigen Erntewoche klang mißtönend der Allarmruf aus Frankreich. Mitten im tiefsten Frieden ist uns ahnungslosen Deutschen durch öffentliche Erklärung der französischen Minister die unange¬ nehme Mittheilung gemacht worden, daß wir Krieg mit Frankreich zu er¬ warten haben, wenn wir nicht ein Etwas verhindern, was wir weder zu bewirken noch zu verhindern die Macht haben. Wenn die Vertreter des spanischen Volkes den Prinzen Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen zum Könige von Spanien wählen und die Bürgerwache von Sigmaringen dem Erwählten nicht in die Speichen seines Reisewagens fällt, dann giebt es Krieg mit Frankreich. So lautete die Ankündigung des Herzogs von Gra- mont mit den Erläuterungen des Ministers Ollivier. Wir haben in dem letzten Menschenalter zuweilen Veranlassung gehabt, gegen die Ansprüche unserer Nachbarn jenseit des Rheins Nachsicht zu üben. Aber wenn wir diesmal dem schnell aufwallenden Blut unserer werthen Verwandten dort im Westen, den Schwächen ihres politischen Charakters und der heißen Jahres¬ zeit noch so viel Rücksicht tragen,— diese überraschende Behendigkeit im Aus¬ sagen aller Freundschaft ist doch selbst für deutsche Geduld eine harte Zu- muthung. Sonst galt unter civilisirten Nationen die Erklärung, daß man genöthigt sei, die Entscheidung durch Waffen zu suchen, für die letzte und entscheidende Maßregel, nachdem alle Mittel, auf friedlichem Wege zum Einver¬ nehmen zu kommen, als fruchtlos erwiesen waren. Und die Kriegsdrohung selbst galt für ein verhängnißvolles und furchtbares Wort, das man sogar dann un¬ gern aussprach, wenn man zum Aeußersten entschlossen war. weil man wußte, daß die ausgesprochene Drohung jedes weitere Verhandeln stört, dos Ehrgefühl beider Theile feindlich herausfordert und selbst einer schweren That durchaus gleichkommt. Sonst, wenn man dir Pflicht hatte, die Geschicke eines Staates zu besorgen, bedachte man, daß der Krieg nur letztes Mittel in Lebensfragen des Staates sein darf. Jetzt ist die Diplomatie in Frankreich soweit gekommen, daß ihr bei der ersten Aufwendung von Kraft diese äußerste Erklärung nöthig erscheint. Uns dünkt das kein Zeichen von Kraft. Aber die brüske Herausforderung des deutschen Ehrgefühls ist auch ein politischer Fehler, der kaum ärger gedacht werden kann, falls man wirklich, nur die Beseitigung eines spanischen Throncandidaten will. Denn dieser Kriegsruf zwingt nicht nur das französische Ministerium zu Consequenzen Gr-nzvoten III. 1870, 11

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/89>, abgerufen am 17.06.2024.