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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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dieser Empfindung wirthschaften die Franzosen uns, ihren stärksten Grenz¬
nachbarn gegenüber in einem beständigen Zustande der Aufregung und Ge¬
reiztheit, in derselben Stimmung arbeitet ihre Diplomatie unablässig an den
kleinen Höfen des Südens auf Conservirumj aller Schwächen, die in Deutsch¬
land noch zurückgeblieben sind und darum erhebt sich unter ihnen bei jeder
Gelegenheit ein ruchloses Geschrei nach Krieg, nach Eroberung am Rhein.

Wir aber wünschen den Krieg mit Frankreich nicht. Allen berechtigten
Interessen der beiden großen Nationen gegenüber ist er ein Unsinn. Wir
wollen sehr gern Friede und Freundschaft mit den Nachbarn trotz ihrer quer¬
köpfigen Einfälle und trojz der Unbequemlichkeit, welche ihre abgeschmackten
Aussprüche, ihre ewige Unruhe und Reizbarkeit uns bereitet. Und wir dürfen
ihnen unsere Friedensliebe offen erklären. Denn wir verstehen und würdigen
sie weit besser als sie uns. Sie sind uns in Vielem überlegen, aber wir
haben vor Ihnen etwas voraus, ein ruhiges, sicheres und bescheidenes Ge¬
fühl unseres Werthes. Zwingen sie uns dennoch durch unleidliche Anmaßung
zum Kriege, so werden wir -- sehr ungern und mit voller Würdigung ihrer
kriegerischen Tüchtigkeit -- unsere ganze Vollkraft gegen die ihre setzen, und
wir werden in diesem Fall uns alle Mühe geben, bis zum Aeuszersten, um
den bösen Geist Ludwig XIV. der noch unter ihnen spukt, zum Heil Euro¬
pa's gründlich und für immer zu bannen.

Doch wir wollen nicht der Versuchung nachgeben, in ihrer Sprache mit
ihnen zu reden. Wir in Deutschland sind zur Zeit noch mehr in Sorge, als
Zorn. Denn wir fragen uns, selbst wenn die eine zufällige Veranlaßung
der französischen Kriegswuth beseitigt oder die Aufregung in Paris noch ein¬
mal durch die Rückkehr ruhigerer Erwägungen gebändigt wird: wie sollen
wir fortan in Friede und Freundschaft neben den Franzosen leben? Seit
vier Jahren wurden die deutschen Interessen des Bundesstaats durch die
unablässige Sorge um die Empfindlichkeiten in Paris eingeengt. Und doch
haben wir durch diese vier Jahre nichts weiter erreicht, als eine so unge¬
heuerliche, aller politischen Sitte Hohn sprechende Verletzung der Verkehrs in
Friedenszeit. Ist die Gereiztheit dort so groß, daß sie alle Formen der diplo¬
matischen Courtoisie bei Seite wirft, so bleibt uns auch für die Zukunft nur
die Aussicht auf einen faulen Frieden und die Hoffnung schwindet, daß die
Franzosen selbst ohne unser Dazuthun mit den Raufbolden unter ihnen fer¬
tig werden. -- Und diese Sorge wird größer, wenn wir die Männer betrachten,
welche sich so rücksichtslos und feindselig gegen uns stellen. Grade daß sie
nicht treiben, sondern durch die Nothwendigkeit, sich tapfer zu zeigen, getrieben
werden, das ist unbehaglich. Wir haben lange gern geglaubt, daß der Kaiser
und seine gegenwärtigen Minister den Krieg mit uns nicht begehren. Jetzt
müssen wir der Ansicht werden, daß Napoleon III. unter dem Zwange steht.


dieser Empfindung wirthschaften die Franzosen uns, ihren stärksten Grenz¬
nachbarn gegenüber in einem beständigen Zustande der Aufregung und Ge¬
reiztheit, in derselben Stimmung arbeitet ihre Diplomatie unablässig an den
kleinen Höfen des Südens auf Conservirumj aller Schwächen, die in Deutsch¬
land noch zurückgeblieben sind und darum erhebt sich unter ihnen bei jeder
Gelegenheit ein ruchloses Geschrei nach Krieg, nach Eroberung am Rhein.

Wir aber wünschen den Krieg mit Frankreich nicht. Allen berechtigten
Interessen der beiden großen Nationen gegenüber ist er ein Unsinn. Wir
wollen sehr gern Friede und Freundschaft mit den Nachbarn trotz ihrer quer¬
köpfigen Einfälle und trojz der Unbequemlichkeit, welche ihre abgeschmackten
Aussprüche, ihre ewige Unruhe und Reizbarkeit uns bereitet. Und wir dürfen
ihnen unsere Friedensliebe offen erklären. Denn wir verstehen und würdigen
sie weit besser als sie uns. Sie sind uns in Vielem überlegen, aber wir
haben vor Ihnen etwas voraus, ein ruhiges, sicheres und bescheidenes Ge¬
fühl unseres Werthes. Zwingen sie uns dennoch durch unleidliche Anmaßung
zum Kriege, so werden wir — sehr ungern und mit voller Würdigung ihrer
kriegerischen Tüchtigkeit — unsere ganze Vollkraft gegen die ihre setzen, und
wir werden in diesem Fall uns alle Mühe geben, bis zum Aeuszersten, um
den bösen Geist Ludwig XIV. der noch unter ihnen spukt, zum Heil Euro¬
pa's gründlich und für immer zu bannen.

Doch wir wollen nicht der Versuchung nachgeben, in ihrer Sprache mit
ihnen zu reden. Wir in Deutschland sind zur Zeit noch mehr in Sorge, als
Zorn. Denn wir fragen uns, selbst wenn die eine zufällige Veranlaßung
der französischen Kriegswuth beseitigt oder die Aufregung in Paris noch ein¬
mal durch die Rückkehr ruhigerer Erwägungen gebändigt wird: wie sollen
wir fortan in Friede und Freundschaft neben den Franzosen leben? Seit
vier Jahren wurden die deutschen Interessen des Bundesstaats durch die
unablässige Sorge um die Empfindlichkeiten in Paris eingeengt. Und doch
haben wir durch diese vier Jahre nichts weiter erreicht, als eine so unge¬
heuerliche, aller politischen Sitte Hohn sprechende Verletzung der Verkehrs in
Friedenszeit. Ist die Gereiztheit dort so groß, daß sie alle Formen der diplo¬
matischen Courtoisie bei Seite wirft, so bleibt uns auch für die Zukunft nur
die Aussicht auf einen faulen Frieden und die Hoffnung schwindet, daß die
Franzosen selbst ohne unser Dazuthun mit den Raufbolden unter ihnen fer¬
tig werden. — Und diese Sorge wird größer, wenn wir die Männer betrachten,
welche sich so rücksichtslos und feindselig gegen uns stellen. Grade daß sie
nicht treiben, sondern durch die Nothwendigkeit, sich tapfer zu zeigen, getrieben
werden, das ist unbehaglich. Wir haben lange gern geglaubt, daß der Kaiser
und seine gegenwärtigen Minister den Krieg mit uns nicht begehren. Jetzt
müssen wir der Ansicht werden, daß Napoleon III. unter dem Zwange steht.


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[0093] dieser Empfindung wirthschaften die Franzosen uns, ihren stärksten Grenz¬ nachbarn gegenüber in einem beständigen Zustande der Aufregung und Ge¬ reiztheit, in derselben Stimmung arbeitet ihre Diplomatie unablässig an den kleinen Höfen des Südens auf Conservirumj aller Schwächen, die in Deutsch¬ land noch zurückgeblieben sind und darum erhebt sich unter ihnen bei jeder Gelegenheit ein ruchloses Geschrei nach Krieg, nach Eroberung am Rhein. Wir aber wünschen den Krieg mit Frankreich nicht. Allen berechtigten Interessen der beiden großen Nationen gegenüber ist er ein Unsinn. Wir wollen sehr gern Friede und Freundschaft mit den Nachbarn trotz ihrer quer¬ köpfigen Einfälle und trojz der Unbequemlichkeit, welche ihre abgeschmackten Aussprüche, ihre ewige Unruhe und Reizbarkeit uns bereitet. Und wir dürfen ihnen unsere Friedensliebe offen erklären. Denn wir verstehen und würdigen sie weit besser als sie uns. Sie sind uns in Vielem überlegen, aber wir haben vor Ihnen etwas voraus, ein ruhiges, sicheres und bescheidenes Ge¬ fühl unseres Werthes. Zwingen sie uns dennoch durch unleidliche Anmaßung zum Kriege, so werden wir — sehr ungern und mit voller Würdigung ihrer kriegerischen Tüchtigkeit — unsere ganze Vollkraft gegen die ihre setzen, und wir werden in diesem Fall uns alle Mühe geben, bis zum Aeuszersten, um den bösen Geist Ludwig XIV. der noch unter ihnen spukt, zum Heil Euro¬ pa's gründlich und für immer zu bannen. Doch wir wollen nicht der Versuchung nachgeben, in ihrer Sprache mit ihnen zu reden. Wir in Deutschland sind zur Zeit noch mehr in Sorge, als Zorn. Denn wir fragen uns, selbst wenn die eine zufällige Veranlaßung der französischen Kriegswuth beseitigt oder die Aufregung in Paris noch ein¬ mal durch die Rückkehr ruhigerer Erwägungen gebändigt wird: wie sollen wir fortan in Friede und Freundschaft neben den Franzosen leben? Seit vier Jahren wurden die deutschen Interessen des Bundesstaats durch die unablässige Sorge um die Empfindlichkeiten in Paris eingeengt. Und doch haben wir durch diese vier Jahre nichts weiter erreicht, als eine so unge¬ heuerliche, aller politischen Sitte Hohn sprechende Verletzung der Verkehrs in Friedenszeit. Ist die Gereiztheit dort so groß, daß sie alle Formen der diplo¬ matischen Courtoisie bei Seite wirft, so bleibt uns auch für die Zukunft nur die Aussicht auf einen faulen Frieden und die Hoffnung schwindet, daß die Franzosen selbst ohne unser Dazuthun mit den Raufbolden unter ihnen fer¬ tig werden. — Und diese Sorge wird größer, wenn wir die Männer betrachten, welche sich so rücksichtslos und feindselig gegen uns stellen. Grade daß sie nicht treiben, sondern durch die Nothwendigkeit, sich tapfer zu zeigen, getrieben werden, das ist unbehaglich. Wir haben lange gern geglaubt, daß der Kaiser und seine gegenwärtigen Minister den Krieg mit uns nicht begehren. Jetzt müssen wir der Ansicht werden, daß Napoleon III. unter dem Zwange steht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/93>, abgerufen am 17.06.2024.