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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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wegräumung der diesen hemmenden Hindernisse, namentlich möglichste Frei¬
heit des Handels und Verkehrs, der Berufs- und Gewerbeausübung, der
Niederlassung, der Eheschließung, größere Einheit, Klarheit und Sicherheit
im Verkehrsrechte namentlich der Eisenbahnen und im Schuldentrieb, endlich
volle Gewissens- und Glaubensfreiheit verlangen. Was sie von einander
trennt, sind die besonderen Forderungen der demokratischen Partei, deren Wesen
und Charakter man übrigens trotz des gleichlautenden Namens nicht mit
dem der Demokratie Deutschlands identificiren darf.

Diese Forderungen lauten auf Aenderung der bundesstaatlichen Grund¬
lagen der eidgenössischen Verfassung von 1848, auf Kräftigung der centralen
Organe des Bundes auf Kosten der kantonalen Autonomie und andererseits,
als Gegengewicht gegen jene, auf eine constitutionelle Controle von Seiten
der Gesammtheit des Schweizervolkes über die gesetzgeberischen Akte der Bun¬
desgewalt, d. h. Einführung des nun schon in den bedeutendsten Kantonen
bestehenden Referendums in den Bund u. a. in.

In dem aus sieben Mitgliedern bestehenden Bundesrathe ist auch die
demokratische Richtung nicht unvertreten, jedoch in der Minderheit. Außer¬
dem repräsentnen in demselben zwei Mitglieder die eigenthümlichen An¬
schauungen der französischen Schweiz gegenüber der deutschen. Es war so¬
mit von vornherein nicht daran zu denken, daß diese Behörde anders als
durch Transactionen zu einem einheitlichen Reformprogramm gelangen werde.
Das Erste daher, worüber die liberale und die demokratische Partei in ihrer
Beurtheilung des Programms auseinandergehen, ist daß die letztere es lieber
gesehen hätte, wenn ihre Vertretung im Bundesrathe einen Minoritäts¬
antrag formulüt hätte, während die Liberalen an dem einheitlichen Programm
gerade das loben, daß es sich innerhalb der Schranken des Möglichen und
Erreichbaren gehalten und die Würde der höchsten Executive nicht dadurch
getrübt habe, daß sie vor allem Volke in die Arena der politischen Parteien
heruntergestiegen. Letzteres ist dann Sache der Bundesversammlung; dort
wird sür und gegen das Bundesreferendum und was alles mit der specifisch
demokratischen Anschauung zusammenhängt, ein heißer Kampf gekämpft wer¬
den, wie er jetzt schon sür und wider die bundesiäthlichen Reformvorschläge
in der Presse entbrannt ist.

Suchen wir die Stellung der beiden großen Parteien zu diesen Vor¬
schlägen zu bezeichnen, so ist vorauszuschicken, daß dieselben nicht nur über
eine Aenderung an den bundesstaatlichen Grundlagen der Verfassung gänz¬
lich schweigen, sondern auch an der Finanzversassung möglichst wenig
zu ändern bestrebt sind und daher alles zu vermeiden suchen, was dem
Bunde neue Lasten auferlegen könnte. Da ist also keine Rede von der in
jüngster Zeit selbst von dem Genserischen Mitgliede des Bundcsraths sentir-


wegräumung der diesen hemmenden Hindernisse, namentlich möglichste Frei¬
heit des Handels und Verkehrs, der Berufs- und Gewerbeausübung, der
Niederlassung, der Eheschließung, größere Einheit, Klarheit und Sicherheit
im Verkehrsrechte namentlich der Eisenbahnen und im Schuldentrieb, endlich
volle Gewissens- und Glaubensfreiheit verlangen. Was sie von einander
trennt, sind die besonderen Forderungen der demokratischen Partei, deren Wesen
und Charakter man übrigens trotz des gleichlautenden Namens nicht mit
dem der Demokratie Deutschlands identificiren darf.

Diese Forderungen lauten auf Aenderung der bundesstaatlichen Grund¬
lagen der eidgenössischen Verfassung von 1848, auf Kräftigung der centralen
Organe des Bundes auf Kosten der kantonalen Autonomie und andererseits,
als Gegengewicht gegen jene, auf eine constitutionelle Controle von Seiten
der Gesammtheit des Schweizervolkes über die gesetzgeberischen Akte der Bun¬
desgewalt, d. h. Einführung des nun schon in den bedeutendsten Kantonen
bestehenden Referendums in den Bund u. a. in.

In dem aus sieben Mitgliedern bestehenden Bundesrathe ist auch die
demokratische Richtung nicht unvertreten, jedoch in der Minderheit. Außer¬
dem repräsentnen in demselben zwei Mitglieder die eigenthümlichen An¬
schauungen der französischen Schweiz gegenüber der deutschen. Es war so¬
mit von vornherein nicht daran zu denken, daß diese Behörde anders als
durch Transactionen zu einem einheitlichen Reformprogramm gelangen werde.
Das Erste daher, worüber die liberale und die demokratische Partei in ihrer
Beurtheilung des Programms auseinandergehen, ist daß die letztere es lieber
gesehen hätte, wenn ihre Vertretung im Bundesrathe einen Minoritäts¬
antrag formulüt hätte, während die Liberalen an dem einheitlichen Programm
gerade das loben, daß es sich innerhalb der Schranken des Möglichen und
Erreichbaren gehalten und die Würde der höchsten Executive nicht dadurch
getrübt habe, daß sie vor allem Volke in die Arena der politischen Parteien
heruntergestiegen. Letzteres ist dann Sache der Bundesversammlung; dort
wird sür und gegen das Bundesreferendum und was alles mit der specifisch
demokratischen Anschauung zusammenhängt, ein heißer Kampf gekämpft wer¬
den, wie er jetzt schon sür und wider die bundesiäthlichen Reformvorschläge
in der Presse entbrannt ist.

Suchen wir die Stellung der beiden großen Parteien zu diesen Vor¬
schlägen zu bezeichnen, so ist vorauszuschicken, daß dieselben nicht nur über
eine Aenderung an den bundesstaatlichen Grundlagen der Verfassung gänz¬
lich schweigen, sondern auch an der Finanzversassung möglichst wenig
zu ändern bestrebt sind und daher alles zu vermeiden suchen, was dem
Bunde neue Lasten auferlegen könnte. Da ist also keine Rede von der in
jüngster Zeit selbst von dem Genserischen Mitgliede des Bundcsraths sentir-


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[0095] wegräumung der diesen hemmenden Hindernisse, namentlich möglichste Frei¬ heit des Handels und Verkehrs, der Berufs- und Gewerbeausübung, der Niederlassung, der Eheschließung, größere Einheit, Klarheit und Sicherheit im Verkehrsrechte namentlich der Eisenbahnen und im Schuldentrieb, endlich volle Gewissens- und Glaubensfreiheit verlangen. Was sie von einander trennt, sind die besonderen Forderungen der demokratischen Partei, deren Wesen und Charakter man übrigens trotz des gleichlautenden Namens nicht mit dem der Demokratie Deutschlands identificiren darf. Diese Forderungen lauten auf Aenderung der bundesstaatlichen Grund¬ lagen der eidgenössischen Verfassung von 1848, auf Kräftigung der centralen Organe des Bundes auf Kosten der kantonalen Autonomie und andererseits, als Gegengewicht gegen jene, auf eine constitutionelle Controle von Seiten der Gesammtheit des Schweizervolkes über die gesetzgeberischen Akte der Bun¬ desgewalt, d. h. Einführung des nun schon in den bedeutendsten Kantonen bestehenden Referendums in den Bund u. a. in. In dem aus sieben Mitgliedern bestehenden Bundesrathe ist auch die demokratische Richtung nicht unvertreten, jedoch in der Minderheit. Außer¬ dem repräsentnen in demselben zwei Mitglieder die eigenthümlichen An¬ schauungen der französischen Schweiz gegenüber der deutschen. Es war so¬ mit von vornherein nicht daran zu denken, daß diese Behörde anders als durch Transactionen zu einem einheitlichen Reformprogramm gelangen werde. Das Erste daher, worüber die liberale und die demokratische Partei in ihrer Beurtheilung des Programms auseinandergehen, ist daß die letztere es lieber gesehen hätte, wenn ihre Vertretung im Bundesrathe einen Minoritäts¬ antrag formulüt hätte, während die Liberalen an dem einheitlichen Programm gerade das loben, daß es sich innerhalb der Schranken des Möglichen und Erreichbaren gehalten und die Würde der höchsten Executive nicht dadurch getrübt habe, daß sie vor allem Volke in die Arena der politischen Parteien heruntergestiegen. Letzteres ist dann Sache der Bundesversammlung; dort wird sür und gegen das Bundesreferendum und was alles mit der specifisch demokratischen Anschauung zusammenhängt, ein heißer Kampf gekämpft wer¬ den, wie er jetzt schon sür und wider die bundesiäthlichen Reformvorschläge in der Presse entbrannt ist. Suchen wir die Stellung der beiden großen Parteien zu diesen Vor¬ schlägen zu bezeichnen, so ist vorauszuschicken, daß dieselben nicht nur über eine Aenderung an den bundesstaatlichen Grundlagen der Verfassung gänz¬ lich schweigen, sondern auch an der Finanzversassung möglichst wenig zu ändern bestrebt sind und daher alles zu vermeiden suchen, was dem Bunde neue Lasten auferlegen könnte. Da ist also keine Rede von der in jüngster Zeit selbst von dem Genserischen Mitgliede des Bundcsraths sentir-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/95>, abgerufen am 17.06.2024.