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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Auch die pompöse Ludwigsstraße, deren eines Ende bekanntlich die Feldherrn¬
halle, die Nachbildung der Florentiner Loggia bildet, während der jenseitige
Abschluß das "Siegesthor" ist, ist eine permanente Prachtausstellung in
Architektur, allein sie hat etwas entsetzlich vornehm Kaltes und Steifes. > Die
Menschen, die man darin findet, verlieren sich fast in dieser Straßenbreite
und unter diesen langgestreckten Palästen; der eigentliche Verkehr fehlt ihr
ganz und gar, weil sich eben die Verkehrsri eben n g einer Stadt nicht nach
den Launen eines genialen Monarchen, sondern nach ganz andern Beding¬
ungen entwickelt. Es ist jammerschade, daß keiner der tausend Fremden" die
in München ankommen, je durch die Ludwigsstraße in die Residenz einfährt;
welch ganz andern Eindruck würde er gleich zu Anfang von diesem bekommen,
als ihm auf dem gewöhnlichen Bahnhofwege zu theil wird. Aber vor dem
Siegesthor, an der Schwabinger Landstraße, wohnt wohl die Frau Erzherzogin
Gisela, aber kein Bahnhof ist dort draußen, folglich sinds der Menschen nicht
allzuviele, die München zum erstenmale von dieser Seite aus sehen. Aber
einmal, da ward auch der Ludwigsstraße ihr Recht, das war im Sommer
1871, als das bayrische Heer aus Frankreich heimkehrte und das "Sieges¬
thor" erst zur Wahrheit machte, als dort an dem prachtvollen Universitäts¬
gebäude der ritterliche Feldherr der "Südarmee" die lorbeergekrönten Sieger
von Weißenburg und Wörth, Paris und Orleans an sich vorüberziehen sah
-- da war die Ludwigsstraße eine herrliche pig, triumpn^lis.

König Maximilian II. verstand schon besser, als sein Vater, neue Straßen
in naturgemäßer Richtung anzulegen, nämlich dahin, wohin natürliche oder
künstliche Verkehrswege weisen. So baute er die nach seinem Namen genannte
Straße zur Jsar hinab und dorthin zu, woher die spätern Schienenwege aus
dem Nachbarlande Oesterreich einmünden mußten. Die Maximiliansstraße hat
längst die Ludwigsstraße überflügelt und ist nun, was man vom Palais Royal
in Paris sagte, "I-z, eapitAlL la, Laxitgle" geworden. Sie ist für München
das, was die Boulevards für Paris, die Linden für Berlin, der "Graben"
für Wien sind: der Corso, auf dem sich namentlich in den spätern Nach¬
mittagsstunden Alles auf- und abbewegt, was zum Bummeln und Flaniren
Zeit hat. Architektonisch betrachtet, muß die Maximiliansstraße weit hinter
der Ludwigsstraße zurückstehen, denn der Stil, in dem ihre Gebäude, die
öffentlichen, wie die privaten aufgeführt sind, ist gar kein Stil, wenigstens
kein solcher, wie er in einer anerkannten Kunstgeschichte recipirt ist. Daß
jeder Baumeister ein originell genialer Kopf sein soll, kann Niemand ver¬
langen, aber die Originalität der Baumeister der Maximiliansstraße hätte
schon etwas mehr vom Genie haben dürfen. Aber das ist nun einmal so,
und man hat sich nun längst daran gewöhnt und freut sich mehr an dem
Leben der Straße, als daß man sich über die Häuser ärgert, aus denen man


Auch die pompöse Ludwigsstraße, deren eines Ende bekanntlich die Feldherrn¬
halle, die Nachbildung der Florentiner Loggia bildet, während der jenseitige
Abschluß das „Siegesthor" ist, ist eine permanente Prachtausstellung in
Architektur, allein sie hat etwas entsetzlich vornehm Kaltes und Steifes. > Die
Menschen, die man darin findet, verlieren sich fast in dieser Straßenbreite
und unter diesen langgestreckten Palästen; der eigentliche Verkehr fehlt ihr
ganz und gar, weil sich eben die Verkehrsri eben n g einer Stadt nicht nach
den Launen eines genialen Monarchen, sondern nach ganz andern Beding¬
ungen entwickelt. Es ist jammerschade, daß keiner der tausend Fremden» die
in München ankommen, je durch die Ludwigsstraße in die Residenz einfährt;
welch ganz andern Eindruck würde er gleich zu Anfang von diesem bekommen,
als ihm auf dem gewöhnlichen Bahnhofwege zu theil wird. Aber vor dem
Siegesthor, an der Schwabinger Landstraße, wohnt wohl die Frau Erzherzogin
Gisela, aber kein Bahnhof ist dort draußen, folglich sinds der Menschen nicht
allzuviele, die München zum erstenmale von dieser Seite aus sehen. Aber
einmal, da ward auch der Ludwigsstraße ihr Recht, das war im Sommer
1871, als das bayrische Heer aus Frankreich heimkehrte und das „Sieges¬
thor" erst zur Wahrheit machte, als dort an dem prachtvollen Universitäts¬
gebäude der ritterliche Feldherr der „Südarmee" die lorbeergekrönten Sieger
von Weißenburg und Wörth, Paris und Orleans an sich vorüberziehen sah
— da war die Ludwigsstraße eine herrliche pig, triumpn^lis.

König Maximilian II. verstand schon besser, als sein Vater, neue Straßen
in naturgemäßer Richtung anzulegen, nämlich dahin, wohin natürliche oder
künstliche Verkehrswege weisen. So baute er die nach seinem Namen genannte
Straße zur Jsar hinab und dorthin zu, woher die spätern Schienenwege aus
dem Nachbarlande Oesterreich einmünden mußten. Die Maximiliansstraße hat
längst die Ludwigsstraße überflügelt und ist nun, was man vom Palais Royal
in Paris sagte, „I-z, eapitAlL la, Laxitgle" geworden. Sie ist für München
das, was die Boulevards für Paris, die Linden für Berlin, der „Graben"
für Wien sind: der Corso, auf dem sich namentlich in den spätern Nach¬
mittagsstunden Alles auf- und abbewegt, was zum Bummeln und Flaniren
Zeit hat. Architektonisch betrachtet, muß die Maximiliansstraße weit hinter
der Ludwigsstraße zurückstehen, denn der Stil, in dem ihre Gebäude, die
öffentlichen, wie die privaten aufgeführt sind, ist gar kein Stil, wenigstens
kein solcher, wie er in einer anerkannten Kunstgeschichte recipirt ist. Daß
jeder Baumeister ein originell genialer Kopf sein soll, kann Niemand ver¬
langen, aber die Originalität der Baumeister der Maximiliansstraße hätte
schon etwas mehr vom Genie haben dürfen. Aber das ist nun einmal so,
und man hat sich nun längst daran gewöhnt und freut sich mehr an dem
Leben der Straße, als daß man sich über die Häuser ärgert, aus denen man


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[0204] Auch die pompöse Ludwigsstraße, deren eines Ende bekanntlich die Feldherrn¬ halle, die Nachbildung der Florentiner Loggia bildet, während der jenseitige Abschluß das „Siegesthor" ist, ist eine permanente Prachtausstellung in Architektur, allein sie hat etwas entsetzlich vornehm Kaltes und Steifes. > Die Menschen, die man darin findet, verlieren sich fast in dieser Straßenbreite und unter diesen langgestreckten Palästen; der eigentliche Verkehr fehlt ihr ganz und gar, weil sich eben die Verkehrsri eben n g einer Stadt nicht nach den Launen eines genialen Monarchen, sondern nach ganz andern Beding¬ ungen entwickelt. Es ist jammerschade, daß keiner der tausend Fremden» die in München ankommen, je durch die Ludwigsstraße in die Residenz einfährt; welch ganz andern Eindruck würde er gleich zu Anfang von diesem bekommen, als ihm auf dem gewöhnlichen Bahnhofwege zu theil wird. Aber vor dem Siegesthor, an der Schwabinger Landstraße, wohnt wohl die Frau Erzherzogin Gisela, aber kein Bahnhof ist dort draußen, folglich sinds der Menschen nicht allzuviele, die München zum erstenmale von dieser Seite aus sehen. Aber einmal, da ward auch der Ludwigsstraße ihr Recht, das war im Sommer 1871, als das bayrische Heer aus Frankreich heimkehrte und das „Sieges¬ thor" erst zur Wahrheit machte, als dort an dem prachtvollen Universitäts¬ gebäude der ritterliche Feldherr der „Südarmee" die lorbeergekrönten Sieger von Weißenburg und Wörth, Paris und Orleans an sich vorüberziehen sah — da war die Ludwigsstraße eine herrliche pig, triumpn^lis. König Maximilian II. verstand schon besser, als sein Vater, neue Straßen in naturgemäßer Richtung anzulegen, nämlich dahin, wohin natürliche oder künstliche Verkehrswege weisen. So baute er die nach seinem Namen genannte Straße zur Jsar hinab und dorthin zu, woher die spätern Schienenwege aus dem Nachbarlande Oesterreich einmünden mußten. Die Maximiliansstraße hat längst die Ludwigsstraße überflügelt und ist nun, was man vom Palais Royal in Paris sagte, „I-z, eapitAlL la, Laxitgle" geworden. Sie ist für München das, was die Boulevards für Paris, die Linden für Berlin, der „Graben" für Wien sind: der Corso, auf dem sich namentlich in den spätern Nach¬ mittagsstunden Alles auf- und abbewegt, was zum Bummeln und Flaniren Zeit hat. Architektonisch betrachtet, muß die Maximiliansstraße weit hinter der Ludwigsstraße zurückstehen, denn der Stil, in dem ihre Gebäude, die öffentlichen, wie die privaten aufgeführt sind, ist gar kein Stil, wenigstens kein solcher, wie er in einer anerkannten Kunstgeschichte recipirt ist. Daß jeder Baumeister ein originell genialer Kopf sein soll, kann Niemand ver¬ langen, aber die Originalität der Baumeister der Maximiliansstraße hätte schon etwas mehr vom Genie haben dürfen. Aber das ist nun einmal so, und man hat sich nun längst daran gewöhnt und freut sich mehr an dem Leben der Straße, als daß man sich über die Häuser ärgert, aus denen man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/204>, abgerufen am 16.06.2024.