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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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das Maximilaneum ganz wegthun und dafür die Bavaria sammt der "Ruh¬
meshalle" hinstellen könnte, daß diese von hier aus gleich der von des Phidias
Meisterhand gebildeten Pallas Athene den Kranz hinhielte über Stadt und
Land, so würde das der bei allen ihren Mängeln doch zweifelsohne großartig
angelegten Straße viel mehr zu gute kommen und dies Gesammtbild dann
seines Gleichen suchen in allen Landen.

Wir kommen noch einmal zum Maximilaneum zurück, wenn wir in die An¬
lagen des Gasteig hinaufgehen. Wenden wir uns noch einmal zur Innenstadt.
Dieser wird nachgerade das alte Gewand, das sie nun Jahrhunderte lang
getragen, zu enge; sie fängt an, es abzuwerfen. In einzelnen Straßen und
Gassen wird die Passage schon lebensgefährlich; man bricht ganze Häuserreihen
ab und schafft Licht, Lust und freie Bewegung. Wie ein ausdrucksvolles
Programm der immer mehr vorschreitendem Stadtveränderung ist gerade an
den althistorischer Marienplatz, in dessen Mitte die "Mtrons, Lavariae," die
Mariensäule zu Gedächtniß der Schlacht am weißen Berge steht, das neue
Rathhaus hingestellt worden: der Prachtbau neuer Gothik, neben dem aber
doch noch auch das alte mit seinem zinnengezackten Giebel und dem malerischen
thurmhohen Thalburgthor zu seinem Rechte kommt. In dieser Gegend der
Stadt gehen Alt- und Neumünchen merkwürdig auseinander. Neben den
glänzenden Magazinen moderner Kaufläden der an der einen Seite des
Martenplatzes herlaufenden gewölbten "Lauben", wie sie die italienischen Städte
so gut, wie die nordischen haben, und in denen sich der Kleinhandel festgesetzt
hat, zwischen den hier mündenden breiteren Straßen, jene engen Gäßchen und
Plätzchen, in denen der Verkehr jeden Augenblick sich staut und stockt; mitten
unter noch das verrußte oder abgeblaßte Gewand der alten Zeit tragenden
Häusern stattliche Neubauten, die sich sogar bis in das "Thal", das bis vor
Kurzem noch mehr den Charakter der Landstraße, an deren beiden Seiten
eine unscheinbare Häuserreihe steht, als den einer hauptstädtischen trug, hinein¬
gewagt und auch das etwas ebenbürtiger gemacht haben.'

Auch der Marienplatz gehört zu jenen, die namentlich in Mondschein¬
nächten einen wahrhaft poetischen Reiz ausüben: ein schärferer baulicher
Contrast zwischen ihm und dem, auf welchen die Propylaeen führen, kann
nicht gedacht werden, aber gerade in diesem Gegensatze muß man die beiden
Plätze nennen, wenn man das Schönste unter dem vielen Schönen, das
Münchner Architektur bietet, nennen will. Auf dem Marienplatz treiben aber
nun nicht nur die Geister der Vergangenheit, sondern auch andre Geister,
unterirdische, ihr Spiel: das neue Rathhaus hat ja nun auch, gleich denen
anderer Städte, seinen Rathskeller, der von der ersten Stunde seiner Eröffnung
an -- vor nun einem Jahre fand diese statt -- eine der "anziehendsten
Merkwürdigkeiten" Münchens geworden ist. Das hatte die bayrische Haupt-


das Maximilaneum ganz wegthun und dafür die Bavaria sammt der „Ruh¬
meshalle" hinstellen könnte, daß diese von hier aus gleich der von des Phidias
Meisterhand gebildeten Pallas Athene den Kranz hinhielte über Stadt und
Land, so würde das der bei allen ihren Mängeln doch zweifelsohne großartig
angelegten Straße viel mehr zu gute kommen und dies Gesammtbild dann
seines Gleichen suchen in allen Landen.

Wir kommen noch einmal zum Maximilaneum zurück, wenn wir in die An¬
lagen des Gasteig hinaufgehen. Wenden wir uns noch einmal zur Innenstadt.
Dieser wird nachgerade das alte Gewand, das sie nun Jahrhunderte lang
getragen, zu enge; sie fängt an, es abzuwerfen. In einzelnen Straßen und
Gassen wird die Passage schon lebensgefährlich; man bricht ganze Häuserreihen
ab und schafft Licht, Lust und freie Bewegung. Wie ein ausdrucksvolles
Programm der immer mehr vorschreitendem Stadtveränderung ist gerade an
den althistorischer Marienplatz, in dessen Mitte die „Mtrons, Lavariae," die
Mariensäule zu Gedächtniß der Schlacht am weißen Berge steht, das neue
Rathhaus hingestellt worden: der Prachtbau neuer Gothik, neben dem aber
doch noch auch das alte mit seinem zinnengezackten Giebel und dem malerischen
thurmhohen Thalburgthor zu seinem Rechte kommt. In dieser Gegend der
Stadt gehen Alt- und Neumünchen merkwürdig auseinander. Neben den
glänzenden Magazinen moderner Kaufläden der an der einen Seite des
Martenplatzes herlaufenden gewölbten „Lauben", wie sie die italienischen Städte
so gut, wie die nordischen haben, und in denen sich der Kleinhandel festgesetzt
hat, zwischen den hier mündenden breiteren Straßen, jene engen Gäßchen und
Plätzchen, in denen der Verkehr jeden Augenblick sich staut und stockt; mitten
unter noch das verrußte oder abgeblaßte Gewand der alten Zeit tragenden
Häusern stattliche Neubauten, die sich sogar bis in das „Thal", das bis vor
Kurzem noch mehr den Charakter der Landstraße, an deren beiden Seiten
eine unscheinbare Häuserreihe steht, als den einer hauptstädtischen trug, hinein¬
gewagt und auch das etwas ebenbürtiger gemacht haben.'

Auch der Marienplatz gehört zu jenen, die namentlich in Mondschein¬
nächten einen wahrhaft poetischen Reiz ausüben: ein schärferer baulicher
Contrast zwischen ihm und dem, auf welchen die Propylaeen führen, kann
nicht gedacht werden, aber gerade in diesem Gegensatze muß man die beiden
Plätze nennen, wenn man das Schönste unter dem vielen Schönen, das
Münchner Architektur bietet, nennen will. Auf dem Marienplatz treiben aber
nun nicht nur die Geister der Vergangenheit, sondern auch andre Geister,
unterirdische, ihr Spiel: das neue Rathhaus hat ja nun auch, gleich denen
anderer Städte, seinen Rathskeller, der von der ersten Stunde seiner Eröffnung
an — vor nun einem Jahre fand diese statt — eine der „anziehendsten
Merkwürdigkeiten" Münchens geworden ist. Das hatte die bayrische Haupt-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/206>, abgerufen am 16.06.2024.