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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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stadt noch nicht: ein Kneiplocal unter der Erde! Und trotzdem, daß in diesem
Gott Bachus den König Gambrinus vor die Thüre gesetzt hat und man
früher der Meinung war, das Biertrinken müsse der geheiligten Nähe der
Patron" Bavariae so fern bleiben, wie die Protestanten, die sich nun eine
zweite Kirche bauen, weiß jeder Einheimische wie Fremde nichts besseres, als
die Stufen des Rathskellers hinabzusteigen, die launigen Schildereien an den
Wänden anzusehen und die Sprüchlein darunter zu lesen und aus der nach
Hunderten ihre Sorten aufzählenden Weinkarte sich eine gute Flasche aus¬
zusuchen. Der Rathskeller hat den Münchner Wirthen schon viele schlaflose
Nächte gemacht: zuerst wagte sich keiner an dessen Pacht heran, und jetzt be¬
neidet jeder den Pächter um den gewaltigen Profit, den dieser zurücklegt.

Vom Marienplatz führen uns zwei parallel laufende Straßen zur Residenz.
Sie führt eigentlich gegenwärtig ihren Namen, wie incus a von lueenäo.
Denn der, dem sie zur Wohnung dient, residirt selten darin. Nur den
geringsten Theil des Jahres durch sieht man des Nachts in den obersten
Fenstern des hohen Schlosses Licht. Nur wenige Menschen betreten die Pracht¬
gemächer, aus denen dieses Licht leuchtet. In die eigentliche Privatwohnung
König Ludwig's II. ist jeder Zugang versagt; noch mehr in den Wintergarten,
dessen Glashalle sich über das Dach der Residenz hinzieht. Das Fabelhafteste,
das Unglaublichste erzählt man sich von diesem, wie von dem Prunk der
königlichen Gemächer, aber es ist nichts übertrieben von dem, was man sich
erzählt. Der König liebt, sich in dem Glänze der Zeit des 14. und
1ö. Ludwig zu spiegeln. Mag er's: der Geist dieser Ludwige hat ihn Gott
sei Dank noch nicht angesteckt.

Einsam weilt der junge Fürst meist auf seinem Seeschloß oder einer
seiner Berghäuser, oft mitten unter Schnee und Eis, einsam auch hier in
seiner Residenz, mitten unter den Blüthen und Düften einer tropischen Welt.
Sein Interesse ist weniger bei seiner "getreuen" Hauptstadt, als draußen in
den Alpen, die wohl noch nie ein fürstlich Herz so geliebt und ausgetobt hat,
wie das seine. Darum hat er auch München nicht so bestimmt die Richtung
seines Geistes aufgeprägt, so eingreifend auf seine äußere oder innere Um-
oder Neugestaltung Einfluß geübt, wie dies sein Vater und Großvater gethan.
Wie letzterer seine besondern Neigungen seiner Hauptstadt gewissermaßen auch
äußerlich verbinden, sie in der besonderen Form seiner Kunstschöpfungen
manifestiren wollte und dadurch jenes München schuf, das, wie man zu sagen
pflegt, eine Kunstwallfahrt jenseits der Alpen erspart, so hat auch Maximilian II.
auf dieses eigenartig, spontan und nachhaltig eingewirkt. Nur war der
Boden, den er urbar machte, wo er ein Neues pflügen wollte, nicht das Reich
der bildenden und verwandten Künste, sondern das der Wissenschaften. Er
führte den ersten Streich gegen den so lange in dem bayerischen Stammboden


stadt noch nicht: ein Kneiplocal unter der Erde! Und trotzdem, daß in diesem
Gott Bachus den König Gambrinus vor die Thüre gesetzt hat und man
früher der Meinung war, das Biertrinken müsse der geheiligten Nähe der
Patron« Bavariae so fern bleiben, wie die Protestanten, die sich nun eine
zweite Kirche bauen, weiß jeder Einheimische wie Fremde nichts besseres, als
die Stufen des Rathskellers hinabzusteigen, die launigen Schildereien an den
Wänden anzusehen und die Sprüchlein darunter zu lesen und aus der nach
Hunderten ihre Sorten aufzählenden Weinkarte sich eine gute Flasche aus¬
zusuchen. Der Rathskeller hat den Münchner Wirthen schon viele schlaflose
Nächte gemacht: zuerst wagte sich keiner an dessen Pacht heran, und jetzt be¬
neidet jeder den Pächter um den gewaltigen Profit, den dieser zurücklegt.

Vom Marienplatz führen uns zwei parallel laufende Straßen zur Residenz.
Sie führt eigentlich gegenwärtig ihren Namen, wie incus a von lueenäo.
Denn der, dem sie zur Wohnung dient, residirt selten darin. Nur den
geringsten Theil des Jahres durch sieht man des Nachts in den obersten
Fenstern des hohen Schlosses Licht. Nur wenige Menschen betreten die Pracht¬
gemächer, aus denen dieses Licht leuchtet. In die eigentliche Privatwohnung
König Ludwig's II. ist jeder Zugang versagt; noch mehr in den Wintergarten,
dessen Glashalle sich über das Dach der Residenz hinzieht. Das Fabelhafteste,
das Unglaublichste erzählt man sich von diesem, wie von dem Prunk der
königlichen Gemächer, aber es ist nichts übertrieben von dem, was man sich
erzählt. Der König liebt, sich in dem Glänze der Zeit des 14. und
1ö. Ludwig zu spiegeln. Mag er's: der Geist dieser Ludwige hat ihn Gott
sei Dank noch nicht angesteckt.

Einsam weilt der junge Fürst meist auf seinem Seeschloß oder einer
seiner Berghäuser, oft mitten unter Schnee und Eis, einsam auch hier in
seiner Residenz, mitten unter den Blüthen und Düften einer tropischen Welt.
Sein Interesse ist weniger bei seiner „getreuen" Hauptstadt, als draußen in
den Alpen, die wohl noch nie ein fürstlich Herz so geliebt und ausgetobt hat,
wie das seine. Darum hat er auch München nicht so bestimmt die Richtung
seines Geistes aufgeprägt, so eingreifend auf seine äußere oder innere Um-
oder Neugestaltung Einfluß geübt, wie dies sein Vater und Großvater gethan.
Wie letzterer seine besondern Neigungen seiner Hauptstadt gewissermaßen auch
äußerlich verbinden, sie in der besonderen Form seiner Kunstschöpfungen
manifestiren wollte und dadurch jenes München schuf, das, wie man zu sagen
pflegt, eine Kunstwallfahrt jenseits der Alpen erspart, so hat auch Maximilian II.
auf dieses eigenartig, spontan und nachhaltig eingewirkt. Nur war der
Boden, den er urbar machte, wo er ein Neues pflügen wollte, nicht das Reich
der bildenden und verwandten Künste, sondern das der Wissenschaften. Er
führte den ersten Streich gegen den so lange in dem bayerischen Stammboden


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[0207] stadt noch nicht: ein Kneiplocal unter der Erde! Und trotzdem, daß in diesem Gott Bachus den König Gambrinus vor die Thüre gesetzt hat und man früher der Meinung war, das Biertrinken müsse der geheiligten Nähe der Patron« Bavariae so fern bleiben, wie die Protestanten, die sich nun eine zweite Kirche bauen, weiß jeder Einheimische wie Fremde nichts besseres, als die Stufen des Rathskellers hinabzusteigen, die launigen Schildereien an den Wänden anzusehen und die Sprüchlein darunter zu lesen und aus der nach Hunderten ihre Sorten aufzählenden Weinkarte sich eine gute Flasche aus¬ zusuchen. Der Rathskeller hat den Münchner Wirthen schon viele schlaflose Nächte gemacht: zuerst wagte sich keiner an dessen Pacht heran, und jetzt be¬ neidet jeder den Pächter um den gewaltigen Profit, den dieser zurücklegt. Vom Marienplatz führen uns zwei parallel laufende Straßen zur Residenz. Sie führt eigentlich gegenwärtig ihren Namen, wie incus a von lueenäo. Denn der, dem sie zur Wohnung dient, residirt selten darin. Nur den geringsten Theil des Jahres durch sieht man des Nachts in den obersten Fenstern des hohen Schlosses Licht. Nur wenige Menschen betreten die Pracht¬ gemächer, aus denen dieses Licht leuchtet. In die eigentliche Privatwohnung König Ludwig's II. ist jeder Zugang versagt; noch mehr in den Wintergarten, dessen Glashalle sich über das Dach der Residenz hinzieht. Das Fabelhafteste, das Unglaublichste erzählt man sich von diesem, wie von dem Prunk der königlichen Gemächer, aber es ist nichts übertrieben von dem, was man sich erzählt. Der König liebt, sich in dem Glänze der Zeit des 14. und 1ö. Ludwig zu spiegeln. Mag er's: der Geist dieser Ludwige hat ihn Gott sei Dank noch nicht angesteckt. Einsam weilt der junge Fürst meist auf seinem Seeschloß oder einer seiner Berghäuser, oft mitten unter Schnee und Eis, einsam auch hier in seiner Residenz, mitten unter den Blüthen und Düften einer tropischen Welt. Sein Interesse ist weniger bei seiner „getreuen" Hauptstadt, als draußen in den Alpen, die wohl noch nie ein fürstlich Herz so geliebt und ausgetobt hat, wie das seine. Darum hat er auch München nicht so bestimmt die Richtung seines Geistes aufgeprägt, so eingreifend auf seine äußere oder innere Um- oder Neugestaltung Einfluß geübt, wie dies sein Vater und Großvater gethan. Wie letzterer seine besondern Neigungen seiner Hauptstadt gewissermaßen auch äußerlich verbinden, sie in der besonderen Form seiner Kunstschöpfungen manifestiren wollte und dadurch jenes München schuf, das, wie man zu sagen pflegt, eine Kunstwallfahrt jenseits der Alpen erspart, so hat auch Maximilian II. auf dieses eigenartig, spontan und nachhaltig eingewirkt. Nur war der Boden, den er urbar machte, wo er ein Neues pflügen wollte, nicht das Reich der bildenden und verwandten Künste, sondern das der Wissenschaften. Er führte den ersten Streich gegen den so lange in dem bayerischen Stammboden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/207>, abgerufen am 16.06.2024.