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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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festgewurzelten zähen Baum des Obskurantismus und Ultramontanismus in
seinen Neuberufungen, welche das Weltbürgerrecht der Wissenschaft proclamirten
und weit über die blauweifzen Grenzpfähle hinaus ergingen und die heute noch
dem edelgesinnten Könige von dem Einen zum ehrenden Gedächtniß, von dem
Andern aber zum bittern Vorwurf angerechnet worden. In jenen unverge߬
lichen Abendstunden, wo der selbstforschende und wißbegierige Fürst die
Paladine seiner wissenschaftlichen Tafelrunde um sich sammelte, war er
glücklicher, als sein Vater unter all seinen Bildern, Statuen und Bauten.

Aber auch unter diesem so fördernd in die geistige Entwickelung seiner
Hauptstadt eingreifenden Monarchen war jene doch noch in eine gewisse Ein¬
seitigkeit gebannt. Wir meinen, nach der politischen Seite hin. Das öffent¬
liche, das politische Leben bewegte sich lange in nur sehr bescheidenen, engen
Kreisen. Das Interesse Münchens konnte in Künstlerfesten, die freilich
großartig und poetisch gestaltet waren, wie sonst wohl in keiner andern
Stadt, und dergleichen aufgehen; man konnte sich höchstens, wenn es ganz
im eigenen Hause brannte, wie z. B. anno 1848 bei dem Lolaspektakel, etwas
politisch echauffiren, aber der Pulsschlag wirklich nationaler Gesinnung ging
bis in die jüngste Vergangenheit hinein sehr leise. Das alte "Nunietiis,
Nvvaenorum" konnte erst allmählich anders werden. Aber jetzt ist's anders
geworden. Das "Münchener Kindt" trägt die schwarze Kutte nur noch im
Bilde. Die "Stadt" München, deren Wappenschild jenes ist, hat sie längst
ausgezogen. Die prächtigen neuen Schulhäuser, die, Palästen gleich, überall
erstehen, das Kirchlein auf dem Gasteig mit seinem altkatholischen Gottesdienst,
die letzten Wahlen zum Landtag und zum Parlament, fast jede Sitzung der
Munizipalbehörde sind Zeugen des neuen gesunden Geistes, der frisch, wie
die von den Alpen herwehende Bergluft, das heutige München durchzieht.
Mit der Constatirung dieses "neuen, gesunden Geistes" sind wir an den Aus¬
gangspunkt unsers Briefes zurückgekehrt. Wenn wir wieder einen senden,
gedenken wir, wie wir schon oben es ausgesprochen, von der neuesten That
F. L. dieses "umgewandelten" München erzählen zu können.




Literatur.

Die thätige und kunstsinnige Verlagshandlung von
E. A. Seemann in Leipzig ist abermals mit einem wahrhaft großartigen'Unter-
nehmen hervorgetreten: eine Kunstgeschichte des Mittelalters und der Neu¬
zeit in biographischer Form, an welcher die bedeutendsten Kunsthistoriker
(Bode. Falke, Hettner, Reder. W. Schmidt, Springer, Woltmann u. a.) mit¬
wirken werden. Von dem auf 4 stattliche Bände berechneten Werke sind
soeben die beiden ersten Lieferungen in glänzendster Ausstattung erschienen.
Wir kommen in einem der nächsten Hefte eingehend auf das ganze Unter¬
* 5 * nehmen zurück. ,




Verantwortlicher Redakteur: Dr. Hans Vlum in Leipzig.
Verlag von F. L- Hervia. in Leipzig. -- Druck von Hüthcl K Herrmann i" Leipzig.

festgewurzelten zähen Baum des Obskurantismus und Ultramontanismus in
seinen Neuberufungen, welche das Weltbürgerrecht der Wissenschaft proclamirten
und weit über die blauweifzen Grenzpfähle hinaus ergingen und die heute noch
dem edelgesinnten Könige von dem Einen zum ehrenden Gedächtniß, von dem
Andern aber zum bittern Vorwurf angerechnet worden. In jenen unverge߬
lichen Abendstunden, wo der selbstforschende und wißbegierige Fürst die
Paladine seiner wissenschaftlichen Tafelrunde um sich sammelte, war er
glücklicher, als sein Vater unter all seinen Bildern, Statuen und Bauten.

Aber auch unter diesem so fördernd in die geistige Entwickelung seiner
Hauptstadt eingreifenden Monarchen war jene doch noch in eine gewisse Ein¬
seitigkeit gebannt. Wir meinen, nach der politischen Seite hin. Das öffent¬
liche, das politische Leben bewegte sich lange in nur sehr bescheidenen, engen
Kreisen. Das Interesse Münchens konnte in Künstlerfesten, die freilich
großartig und poetisch gestaltet waren, wie sonst wohl in keiner andern
Stadt, und dergleichen aufgehen; man konnte sich höchstens, wenn es ganz
im eigenen Hause brannte, wie z. B. anno 1848 bei dem Lolaspektakel, etwas
politisch echauffiren, aber der Pulsschlag wirklich nationaler Gesinnung ging
bis in die jüngste Vergangenheit hinein sehr leise. Das alte „Nunietiis,
Nvvaenorum" konnte erst allmählich anders werden. Aber jetzt ist's anders
geworden. Das „Münchener Kindt" trägt die schwarze Kutte nur noch im
Bilde. Die „Stadt" München, deren Wappenschild jenes ist, hat sie längst
ausgezogen. Die prächtigen neuen Schulhäuser, die, Palästen gleich, überall
erstehen, das Kirchlein auf dem Gasteig mit seinem altkatholischen Gottesdienst,
die letzten Wahlen zum Landtag und zum Parlament, fast jede Sitzung der
Munizipalbehörde sind Zeugen des neuen gesunden Geistes, der frisch, wie
die von den Alpen herwehende Bergluft, das heutige München durchzieht.
Mit der Constatirung dieses „neuen, gesunden Geistes" sind wir an den Aus¬
gangspunkt unsers Briefes zurückgekehrt. Wenn wir wieder einen senden,
gedenken wir, wie wir schon oben es ausgesprochen, von der neuesten That
F. L. dieses „umgewandelten" München erzählen zu können.




Literatur.

Die thätige und kunstsinnige Verlagshandlung von
E. A. Seemann in Leipzig ist abermals mit einem wahrhaft großartigen'Unter-
nehmen hervorgetreten: eine Kunstgeschichte des Mittelalters und der Neu¬
zeit in biographischer Form, an welcher die bedeutendsten Kunsthistoriker
(Bode. Falke, Hettner, Reder. W. Schmidt, Springer, Woltmann u. a.) mit¬
wirken werden. Von dem auf 4 stattliche Bände berechneten Werke sind
soeben die beiden ersten Lieferungen in glänzendster Ausstattung erschienen.
Wir kommen in einem der nächsten Hefte eingehend auf das ganze Unter¬
* 5 * nehmen zurück. ,




Verantwortlicher Redakteur: Dr. Hans Vlum in Leipzig.
Verlag von F. L- Hervia. in Leipzig. — Druck von Hüthcl K Herrmann i» Leipzig.
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[0208] festgewurzelten zähen Baum des Obskurantismus und Ultramontanismus in seinen Neuberufungen, welche das Weltbürgerrecht der Wissenschaft proclamirten und weit über die blauweifzen Grenzpfähle hinaus ergingen und die heute noch dem edelgesinnten Könige von dem Einen zum ehrenden Gedächtniß, von dem Andern aber zum bittern Vorwurf angerechnet worden. In jenen unverge߬ lichen Abendstunden, wo der selbstforschende und wißbegierige Fürst die Paladine seiner wissenschaftlichen Tafelrunde um sich sammelte, war er glücklicher, als sein Vater unter all seinen Bildern, Statuen und Bauten. Aber auch unter diesem so fördernd in die geistige Entwickelung seiner Hauptstadt eingreifenden Monarchen war jene doch noch in eine gewisse Ein¬ seitigkeit gebannt. Wir meinen, nach der politischen Seite hin. Das öffent¬ liche, das politische Leben bewegte sich lange in nur sehr bescheidenen, engen Kreisen. Das Interesse Münchens konnte in Künstlerfesten, die freilich großartig und poetisch gestaltet waren, wie sonst wohl in keiner andern Stadt, und dergleichen aufgehen; man konnte sich höchstens, wenn es ganz im eigenen Hause brannte, wie z. B. anno 1848 bei dem Lolaspektakel, etwas politisch echauffiren, aber der Pulsschlag wirklich nationaler Gesinnung ging bis in die jüngste Vergangenheit hinein sehr leise. Das alte „Nunietiis, Nvvaenorum" konnte erst allmählich anders werden. Aber jetzt ist's anders geworden. Das „Münchener Kindt" trägt die schwarze Kutte nur noch im Bilde. Die „Stadt" München, deren Wappenschild jenes ist, hat sie längst ausgezogen. Die prächtigen neuen Schulhäuser, die, Palästen gleich, überall erstehen, das Kirchlein auf dem Gasteig mit seinem altkatholischen Gottesdienst, die letzten Wahlen zum Landtag und zum Parlament, fast jede Sitzung der Munizipalbehörde sind Zeugen des neuen gesunden Geistes, der frisch, wie die von den Alpen herwehende Bergluft, das heutige München durchzieht. Mit der Constatirung dieses „neuen, gesunden Geistes" sind wir an den Aus¬ gangspunkt unsers Briefes zurückgekehrt. Wenn wir wieder einen senden, gedenken wir, wie wir schon oben es ausgesprochen, von der neuesten That F. L. dieses „umgewandelten" München erzählen zu können. Literatur. Die thätige und kunstsinnige Verlagshandlung von E. A. Seemann in Leipzig ist abermals mit einem wahrhaft großartigen'Unter- nehmen hervorgetreten: eine Kunstgeschichte des Mittelalters und der Neu¬ zeit in biographischer Form, an welcher die bedeutendsten Kunsthistoriker (Bode. Falke, Hettner, Reder. W. Schmidt, Springer, Woltmann u. a.) mit¬ wirken werden. Von dem auf 4 stattliche Bände berechneten Werke sind soeben die beiden ersten Lieferungen in glänzendster Ausstattung erschienen. Wir kommen in einem der nächsten Hefte eingehend auf das ganze Unter¬ * 5 * nehmen zurück. , Verantwortlicher Redakteur: Dr. Hans Vlum in Leipzig. Verlag von F. L- Hervia. in Leipzig. — Druck von Hüthcl K Herrmann i» Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/208>, abgerufen am 16.06.2024.