Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Mnnuscript durch die Thür. Wer hätte da gute Laune und Sinn für die
gute Laune andrer Leute?

Damit überlassen wir den Verdrießlichen seinen Gedanken, wünschen ihm
gute Besserung und wenden uns zu glücklicher Organisirten und situirter,
um ihnen einen Ueberblick über das zu geben, was Mark Twain uns hier von
einem Ausflug erzählt, den er 1867 nach der alten Welt unternahm, und sie
zum Genusse des Ganzen einzuladen.

Die Excursion war ungefähr von der Art, wie die Stangen'schen Reise-
tvuren, nur etwas großartiger im Stil. Ein eigner Dampfer trug die Ge¬
sellschaft, die sich bei dem Unternehmer gemeldet,, zunächst nach den Azoren,
dann an die Küsten des Mittelmeers, von wo Ausflüge in das Innere von
Frankreich, Italien und Spanien gemacht wurden, dann nach der Levante,
nach Konstantinopel, der Krim u. s. w. Darauf nach Beirut, von wo die
Reisenden Damaskus besuchten und hiernach das heilige Land von Dan bis
Berseba durchzogen, endlich nach Aegypten und von hier wieder heim in's
Hankeeland. Die Expedition, die etwa ein halbes Jahr in Anspruch nahm,
gelang in der Hauptsache gut. Nur war sie nicht das, als was sie sich an¬
gekündigt hatte, ein "Vergnügungsausflvg". Es waren zu viel alte grämliche
Leute von der Art dabei, wie man sich unsern Hamburger Verdrießlichen vor¬
zustellen hat, und da wäre ein Humorist vom Schlage des unsrigen übel ge¬
bettet gewesen, wenn die Regel nicht einige Ausnahmen gehabt und die Seelen¬
verwandtschaft diese zusammen geführt hätte.

"Alle Welt stellt sich unter einem Vergnügungsausflug vor, daß die
Theilnehmer an demselbigen jung, leichtfertig und etwas zum Lärmen geneigt
find. Sie werden viel tanzen, singen, liebeln, aber sehr wenig Predigten
halten und anhören wollen. Alle Welt denkt sich unter einem wohlgeleiteten
Leichenbegängniß ein solches, bei dem es einen Leichenwagen und einen Leich¬
nam, einen Hauptleidtragenden und Leidtragende aus Höflichkeit, viele alte
Leute, viel feierliches Wesen, keine Leichtfertigkeit und aller Augenblicke ein
Gebet und einen Sermon geben muß. Drei Viertel unsrer Pilger auf der
Quäker City hatten ein Alter von vierzig bis siebzig Jahren. Ohne Zweifel
hat man hier zu Hause angenommen, daß diese fröhlichen Beteranen den
ganzen Tag lachten und sangen und herumsprangen, daß sie in Mondschein¬
nächten auf dem Quarterdeck Blindekuh spielten oder Quadrille und Walzer
tanzten, und daß sie in Augenblicken, wo sie nichts Besseres mit ihrer Zeit
anzufangen wußten, rasch einen lakonischer Satz in ihre Tagebücher warfen
und dann flink wieder zu ihrer Arbeit beim Whist oder Euchre unter den
Lampen der Kajüte forthuschten. Nahm man dergleichen Dinge an, so war
es ein Irrthum. Die ehrwürdigen Exeursionisten waren keine heitern lebenL-
frischen Leute. Sie tanzten nicht, spielten nicht Blindekuh, gaben sich nicht


Mnnuscript durch die Thür. Wer hätte da gute Laune und Sinn für die
gute Laune andrer Leute?

Damit überlassen wir den Verdrießlichen seinen Gedanken, wünschen ihm
gute Besserung und wenden uns zu glücklicher Organisirten und situirter,
um ihnen einen Ueberblick über das zu geben, was Mark Twain uns hier von
einem Ausflug erzählt, den er 1867 nach der alten Welt unternahm, und sie
zum Genusse des Ganzen einzuladen.

Die Excursion war ungefähr von der Art, wie die Stangen'schen Reise-
tvuren, nur etwas großartiger im Stil. Ein eigner Dampfer trug die Ge¬
sellschaft, die sich bei dem Unternehmer gemeldet,, zunächst nach den Azoren,
dann an die Küsten des Mittelmeers, von wo Ausflüge in das Innere von
Frankreich, Italien und Spanien gemacht wurden, dann nach der Levante,
nach Konstantinopel, der Krim u. s. w. Darauf nach Beirut, von wo die
Reisenden Damaskus besuchten und hiernach das heilige Land von Dan bis
Berseba durchzogen, endlich nach Aegypten und von hier wieder heim in's
Hankeeland. Die Expedition, die etwa ein halbes Jahr in Anspruch nahm,
gelang in der Hauptsache gut. Nur war sie nicht das, als was sie sich an¬
gekündigt hatte, ein „Vergnügungsausflvg". Es waren zu viel alte grämliche
Leute von der Art dabei, wie man sich unsern Hamburger Verdrießlichen vor¬
zustellen hat, und da wäre ein Humorist vom Schlage des unsrigen übel ge¬
bettet gewesen, wenn die Regel nicht einige Ausnahmen gehabt und die Seelen¬
verwandtschaft diese zusammen geführt hätte.

„Alle Welt stellt sich unter einem Vergnügungsausflug vor, daß die
Theilnehmer an demselbigen jung, leichtfertig und etwas zum Lärmen geneigt
find. Sie werden viel tanzen, singen, liebeln, aber sehr wenig Predigten
halten und anhören wollen. Alle Welt denkt sich unter einem wohlgeleiteten
Leichenbegängniß ein solches, bei dem es einen Leichenwagen und einen Leich¬
nam, einen Hauptleidtragenden und Leidtragende aus Höflichkeit, viele alte
Leute, viel feierliches Wesen, keine Leichtfertigkeit und aller Augenblicke ein
Gebet und einen Sermon geben muß. Drei Viertel unsrer Pilger auf der
Quäker City hatten ein Alter von vierzig bis siebzig Jahren. Ohne Zweifel
hat man hier zu Hause angenommen, daß diese fröhlichen Beteranen den
ganzen Tag lachten und sangen und herumsprangen, daß sie in Mondschein¬
nächten auf dem Quarterdeck Blindekuh spielten oder Quadrille und Walzer
tanzten, und daß sie in Augenblicken, wo sie nichts Besseres mit ihrer Zeit
anzufangen wußten, rasch einen lakonischer Satz in ihre Tagebücher warfen
und dann flink wieder zu ihrer Arbeit beim Whist oder Euchre unter den
Lampen der Kajüte forthuschten. Nahm man dergleichen Dinge an, so war
es ein Irrthum. Die ehrwürdigen Exeursionisten waren keine heitern lebenL-
frischen Leute. Sie tanzten nicht, spielten nicht Blindekuh, gaben sich nicht


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0221" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/134039"/>
          <p xml:id="ID_699" prev="#ID_698"> Mnnuscript durch die Thür. Wer hätte da gute Laune und Sinn für die<lb/>
gute Laune andrer Leute?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_700"> Damit überlassen wir den Verdrießlichen seinen Gedanken, wünschen ihm<lb/>
gute Besserung und wenden uns zu glücklicher Organisirten und situirter,<lb/>
um ihnen einen Ueberblick über das zu geben, was Mark Twain uns hier von<lb/>
einem Ausflug erzählt, den er 1867 nach der alten Welt unternahm, und sie<lb/>
zum Genusse des Ganzen einzuladen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_701"> Die Excursion war ungefähr von der Art, wie die Stangen'schen Reise-<lb/>
tvuren, nur etwas großartiger im Stil. Ein eigner Dampfer trug die Ge¬<lb/>
sellschaft, die sich bei dem Unternehmer gemeldet,, zunächst nach den Azoren,<lb/>
dann an die Küsten des Mittelmeers, von wo Ausflüge in das Innere von<lb/>
Frankreich, Italien und Spanien gemacht wurden, dann nach der Levante,<lb/>
nach Konstantinopel, der Krim u. s. w. Darauf nach Beirut, von wo die<lb/>
Reisenden Damaskus besuchten und hiernach das heilige Land von Dan bis<lb/>
Berseba durchzogen, endlich nach Aegypten und von hier wieder heim in's<lb/>
Hankeeland. Die Expedition, die etwa ein halbes Jahr in Anspruch nahm,<lb/>
gelang in der Hauptsache gut. Nur war sie nicht das, als was sie sich an¬<lb/>
gekündigt hatte, ein &#x201E;Vergnügungsausflvg". Es waren zu viel alte grämliche<lb/>
Leute von der Art dabei, wie man sich unsern Hamburger Verdrießlichen vor¬<lb/>
zustellen hat, und da wäre ein Humorist vom Schlage des unsrigen übel ge¬<lb/>
bettet gewesen, wenn die Regel nicht einige Ausnahmen gehabt und die Seelen¬<lb/>
verwandtschaft diese zusammen geführt hätte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_702" next="#ID_703"> &#x201E;Alle Welt stellt sich unter einem Vergnügungsausflug vor, daß die<lb/>
Theilnehmer an demselbigen jung, leichtfertig und etwas zum Lärmen geneigt<lb/>
find. Sie werden viel tanzen, singen, liebeln, aber sehr wenig Predigten<lb/>
halten und anhören wollen. Alle Welt denkt sich unter einem wohlgeleiteten<lb/>
Leichenbegängniß ein solches, bei dem es einen Leichenwagen und einen Leich¬<lb/>
nam, einen Hauptleidtragenden und Leidtragende aus Höflichkeit, viele alte<lb/>
Leute, viel feierliches Wesen, keine Leichtfertigkeit und aller Augenblicke ein<lb/>
Gebet und einen Sermon geben muß. Drei Viertel unsrer Pilger auf der<lb/>
Quäker City hatten ein Alter von vierzig bis siebzig Jahren. Ohne Zweifel<lb/>
hat man hier zu Hause angenommen, daß diese fröhlichen Beteranen den<lb/>
ganzen Tag lachten und sangen und herumsprangen, daß sie in Mondschein¬<lb/>
nächten auf dem Quarterdeck Blindekuh spielten oder Quadrille und Walzer<lb/>
tanzten, und daß sie in Augenblicken, wo sie nichts Besseres mit ihrer Zeit<lb/>
anzufangen wußten, rasch einen lakonischer Satz in ihre Tagebücher warfen<lb/>
und dann flink wieder zu ihrer Arbeit beim Whist oder Euchre unter den<lb/>
Lampen der Kajüte forthuschten. Nahm man dergleichen Dinge an, so war<lb/>
es ein Irrthum. Die ehrwürdigen Exeursionisten waren keine heitern lebenL-<lb/>
frischen Leute.  Sie tanzten nicht, spielten nicht Blindekuh, gaben sich nicht</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0221] Mnnuscript durch die Thür. Wer hätte da gute Laune und Sinn für die gute Laune andrer Leute? Damit überlassen wir den Verdrießlichen seinen Gedanken, wünschen ihm gute Besserung und wenden uns zu glücklicher Organisirten und situirter, um ihnen einen Ueberblick über das zu geben, was Mark Twain uns hier von einem Ausflug erzählt, den er 1867 nach der alten Welt unternahm, und sie zum Genusse des Ganzen einzuladen. Die Excursion war ungefähr von der Art, wie die Stangen'schen Reise- tvuren, nur etwas großartiger im Stil. Ein eigner Dampfer trug die Ge¬ sellschaft, die sich bei dem Unternehmer gemeldet,, zunächst nach den Azoren, dann an die Küsten des Mittelmeers, von wo Ausflüge in das Innere von Frankreich, Italien und Spanien gemacht wurden, dann nach der Levante, nach Konstantinopel, der Krim u. s. w. Darauf nach Beirut, von wo die Reisenden Damaskus besuchten und hiernach das heilige Land von Dan bis Berseba durchzogen, endlich nach Aegypten und von hier wieder heim in's Hankeeland. Die Expedition, die etwa ein halbes Jahr in Anspruch nahm, gelang in der Hauptsache gut. Nur war sie nicht das, als was sie sich an¬ gekündigt hatte, ein „Vergnügungsausflvg". Es waren zu viel alte grämliche Leute von der Art dabei, wie man sich unsern Hamburger Verdrießlichen vor¬ zustellen hat, und da wäre ein Humorist vom Schlage des unsrigen übel ge¬ bettet gewesen, wenn die Regel nicht einige Ausnahmen gehabt und die Seelen¬ verwandtschaft diese zusammen geführt hätte. „Alle Welt stellt sich unter einem Vergnügungsausflug vor, daß die Theilnehmer an demselbigen jung, leichtfertig und etwas zum Lärmen geneigt find. Sie werden viel tanzen, singen, liebeln, aber sehr wenig Predigten halten und anhören wollen. Alle Welt denkt sich unter einem wohlgeleiteten Leichenbegängniß ein solches, bei dem es einen Leichenwagen und einen Leich¬ nam, einen Hauptleidtragenden und Leidtragende aus Höflichkeit, viele alte Leute, viel feierliches Wesen, keine Leichtfertigkeit und aller Augenblicke ein Gebet und einen Sermon geben muß. Drei Viertel unsrer Pilger auf der Quäker City hatten ein Alter von vierzig bis siebzig Jahren. Ohne Zweifel hat man hier zu Hause angenommen, daß diese fröhlichen Beteranen den ganzen Tag lachten und sangen und herumsprangen, daß sie in Mondschein¬ nächten auf dem Quarterdeck Blindekuh spielten oder Quadrille und Walzer tanzten, und daß sie in Augenblicken, wo sie nichts Besseres mit ihrer Zeit anzufangen wußten, rasch einen lakonischer Satz in ihre Tagebücher warfen und dann flink wieder zu ihrer Arbeit beim Whist oder Euchre unter den Lampen der Kajüte forthuschten. Nahm man dergleichen Dinge an, so war es ein Irrthum. Die ehrwürdigen Exeursionisten waren keine heitern lebenL- frischen Leute. Sie tanzten nicht, spielten nicht Blindekuh, gaben sich nicht

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/221
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/221>, abgerufen am 16.06.2024.