Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

mit Whist ab. Ein ungezwungnes herzliches Lachen war ein Laut, der auf
diesen Decks und in diesen Kajüten nicht häufiger als einmal in sieben Tagen
zu hören war, und der dann außerordentlich geringer Sympathie begegnete.
Die Pilgrime nach dem heiligen Lande spielten, wenn sie nicht Bücher
schrieben -- was die meisten thaten -- wenn zu viel Studium des Josephus
oder der Robinson'schen Forschungen in Palästina eine Erholung nothwendig
machte, Domino, das unsündhafteste aller Spiele, bis sie zur Nuhe gingen,
und dann schimpften sie einander insgeheim Hallunken, bis es wieder an's
Beten ging. Sie sprachen nur wenig, sie sangen nie, ausgenommen in der
allabendlichen Betstunde. Das Vergnügungsschiff war eine Synagoge, der
Vergnügungsauöflug ein Leichenbegängnis; ohne Leichnam, und es giebt ohne
Leichnam nichts Erheiterndes an einem Leichenbegängnis)."

Nach einiger Verzögerung durch Sturm geht der Dampfer endlich von
der Bai von Neuyork ab. Das Leben an Bord giebt unserm Humoristen
Gelegenheit zu allerlei komischen Erfahrungen und Bemerkungen. Schlechtes
Wetter liefert Seekraute Pilger und einen allerliebsten Excurs über den Spaß,
den man an diesen hat. wenn man selbst nicht leidet. Man führt Tagebücher,
und der Verfasser macht sich über das vergebliche Bemühen der Gefährten,
dieselben auf die Dauer fortzusetzen, lustig. Man tanzt mit Hindernissen,
und auch das wird mit ungemeiner Komik geschildert. Endlich wirft das
Schiff vor Fayal Anker, und die Reisenden machen eine Tour durch die
Umgebung der Stadt. Am Schlüsse dieses Ausfluges, der ebenfalls mit
bester Laune beschrieben wird, passirt den Reisenden etwas Wunderbares.

"Blücher sagte, er wäre so glücklich und dankbar, wieder einmal auf
festem Lande zu sein, daß er einen Schmaus geben wolle. Es solle ein wohl¬
feiles Land sein, und er fühle sich verpflichtet, ein großes Bankett zu geben.
Er lud neun von uns ein, und wir hatten im ersten Hotel ein vortreffliches
Diner. Inmitten der lustigen Stimmung, welche gute Cigarren, guter Wein
und passable Anekdoten hervorgebracht hatten, präsentirte der Wirth seine
Rechnung. Blücher warf einen Blick darauf und machte ein langes Gesicht.
Er warf noch einen Blick darauf, um sich zu versichern, daß seine Sinne ihn
nicht getäuscht, und las dann die einzelnen Ansätze laut und mit stockender
Stimme vor, während die rosige Farbe seiner Wangen sich in Aschenfahl
verwandelte: Zehn Diners ä. 600 Reis macht 6000 Reis! Ruin und Ver¬
wüstung! -- Fünfundzwanzig Cigarren, das Stück 100 Neis, macht 2500
Reis! O meine selige Mutter! -- Elf Flaschen Wein, n 1200 Reis, macht
13,200 Reis. Gott steh uns bei! Summa: Einundzwanzigtausendsieben-
hundert Neis! O du unglücklicher Moses! s'ist ja nicht genug Geld im
ganzen Schiffe, um diese Rechnung zu bezahlen. Geht, Jungens, und überlaßt
mich meinem traurigen Schicksale. Ich bin eine zu Grunde gerichtete Stadt-


mit Whist ab. Ein ungezwungnes herzliches Lachen war ein Laut, der auf
diesen Decks und in diesen Kajüten nicht häufiger als einmal in sieben Tagen
zu hören war, und der dann außerordentlich geringer Sympathie begegnete.
Die Pilgrime nach dem heiligen Lande spielten, wenn sie nicht Bücher
schrieben — was die meisten thaten — wenn zu viel Studium des Josephus
oder der Robinson'schen Forschungen in Palästina eine Erholung nothwendig
machte, Domino, das unsündhafteste aller Spiele, bis sie zur Nuhe gingen,
und dann schimpften sie einander insgeheim Hallunken, bis es wieder an's
Beten ging. Sie sprachen nur wenig, sie sangen nie, ausgenommen in der
allabendlichen Betstunde. Das Vergnügungsschiff war eine Synagoge, der
Vergnügungsauöflug ein Leichenbegängnis; ohne Leichnam, und es giebt ohne
Leichnam nichts Erheiterndes an einem Leichenbegängnis)."

Nach einiger Verzögerung durch Sturm geht der Dampfer endlich von
der Bai von Neuyork ab. Das Leben an Bord giebt unserm Humoristen
Gelegenheit zu allerlei komischen Erfahrungen und Bemerkungen. Schlechtes
Wetter liefert Seekraute Pilger und einen allerliebsten Excurs über den Spaß,
den man an diesen hat. wenn man selbst nicht leidet. Man führt Tagebücher,
und der Verfasser macht sich über das vergebliche Bemühen der Gefährten,
dieselben auf die Dauer fortzusetzen, lustig. Man tanzt mit Hindernissen,
und auch das wird mit ungemeiner Komik geschildert. Endlich wirft das
Schiff vor Fayal Anker, und die Reisenden machen eine Tour durch die
Umgebung der Stadt. Am Schlüsse dieses Ausfluges, der ebenfalls mit
bester Laune beschrieben wird, passirt den Reisenden etwas Wunderbares.

„Blücher sagte, er wäre so glücklich und dankbar, wieder einmal auf
festem Lande zu sein, daß er einen Schmaus geben wolle. Es solle ein wohl¬
feiles Land sein, und er fühle sich verpflichtet, ein großes Bankett zu geben.
Er lud neun von uns ein, und wir hatten im ersten Hotel ein vortreffliches
Diner. Inmitten der lustigen Stimmung, welche gute Cigarren, guter Wein
und passable Anekdoten hervorgebracht hatten, präsentirte der Wirth seine
Rechnung. Blücher warf einen Blick darauf und machte ein langes Gesicht.
Er warf noch einen Blick darauf, um sich zu versichern, daß seine Sinne ihn
nicht getäuscht, und las dann die einzelnen Ansätze laut und mit stockender
Stimme vor, während die rosige Farbe seiner Wangen sich in Aschenfahl
verwandelte: Zehn Diners ä. 600 Reis macht 6000 Reis! Ruin und Ver¬
wüstung! — Fünfundzwanzig Cigarren, das Stück 100 Neis, macht 2500
Reis! O meine selige Mutter! — Elf Flaschen Wein, n 1200 Reis, macht
13,200 Reis. Gott steh uns bei! Summa: Einundzwanzigtausendsieben-
hundert Neis! O du unglücklicher Moses! s'ist ja nicht genug Geld im
ganzen Schiffe, um diese Rechnung zu bezahlen. Geht, Jungens, und überlaßt
mich meinem traurigen Schicksale. Ich bin eine zu Grunde gerichtete Stadt-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0222" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/134040"/>
          <p xml:id="ID_703" prev="#ID_702"> mit Whist ab. Ein ungezwungnes herzliches Lachen war ein Laut, der auf<lb/>
diesen Decks und in diesen Kajüten nicht häufiger als einmal in sieben Tagen<lb/>
zu hören war, und der dann außerordentlich geringer Sympathie begegnete.<lb/>
Die Pilgrime nach dem heiligen Lande spielten, wenn sie nicht Bücher<lb/>
schrieben &#x2014; was die meisten thaten &#x2014; wenn zu viel Studium des Josephus<lb/>
oder der Robinson'schen Forschungen in Palästina eine Erholung nothwendig<lb/>
machte, Domino, das unsündhafteste aller Spiele, bis sie zur Nuhe gingen,<lb/>
und dann schimpften sie einander insgeheim Hallunken, bis es wieder an's<lb/>
Beten ging. Sie sprachen nur wenig, sie sangen nie, ausgenommen in der<lb/>
allabendlichen Betstunde. Das Vergnügungsschiff war eine Synagoge, der<lb/>
Vergnügungsauöflug ein Leichenbegängnis; ohne Leichnam, und es giebt ohne<lb/>
Leichnam nichts Erheiterndes an einem Leichenbegängnis)."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_704"> Nach einiger Verzögerung durch Sturm geht der Dampfer endlich von<lb/>
der Bai von Neuyork ab. Das Leben an Bord giebt unserm Humoristen<lb/>
Gelegenheit zu allerlei komischen Erfahrungen und Bemerkungen. Schlechtes<lb/>
Wetter liefert Seekraute Pilger und einen allerliebsten Excurs über den Spaß,<lb/>
den man an diesen hat. wenn man selbst nicht leidet. Man führt Tagebücher,<lb/>
und der Verfasser macht sich über das vergebliche Bemühen der Gefährten,<lb/>
dieselben auf die Dauer fortzusetzen, lustig. Man tanzt mit Hindernissen,<lb/>
und auch das wird mit ungemeiner Komik geschildert. Endlich wirft das<lb/>
Schiff vor Fayal Anker, und die Reisenden machen eine Tour durch die<lb/>
Umgebung der Stadt. Am Schlüsse dieses Ausfluges, der ebenfalls mit<lb/>
bester Laune beschrieben wird, passirt den Reisenden etwas Wunderbares.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_705" next="#ID_706"> &#x201E;Blücher sagte, er wäre so glücklich und dankbar, wieder einmal auf<lb/>
festem Lande zu sein, daß er einen Schmaus geben wolle. Es solle ein wohl¬<lb/>
feiles Land sein, und er fühle sich verpflichtet, ein großes Bankett zu geben.<lb/>
Er lud neun von uns ein, und wir hatten im ersten Hotel ein vortreffliches<lb/>
Diner. Inmitten der lustigen Stimmung, welche gute Cigarren, guter Wein<lb/>
und passable Anekdoten hervorgebracht hatten, präsentirte der Wirth seine<lb/>
Rechnung. Blücher warf einen Blick darauf und machte ein langes Gesicht.<lb/>
Er warf noch einen Blick darauf, um sich zu versichern, daß seine Sinne ihn<lb/>
nicht getäuscht, und las dann die einzelnen Ansätze laut und mit stockender<lb/>
Stimme vor, während die rosige Farbe seiner Wangen sich in Aschenfahl<lb/>
verwandelte: Zehn Diners ä. 600 Reis macht 6000 Reis! Ruin und Ver¬<lb/>
wüstung! &#x2014; Fünfundzwanzig Cigarren, das Stück 100 Neis, macht 2500<lb/>
Reis! O meine selige Mutter! &#x2014; Elf Flaschen Wein, n 1200 Reis, macht<lb/>
13,200 Reis. Gott steh uns bei! Summa: Einundzwanzigtausendsieben-<lb/>
hundert Neis! O du unglücklicher Moses! s'ist ja nicht genug Geld im<lb/>
ganzen Schiffe, um diese Rechnung zu bezahlen. Geht, Jungens, und überlaßt<lb/>
mich meinem traurigen Schicksale.  Ich bin eine zu Grunde gerichtete Stadt-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0222] mit Whist ab. Ein ungezwungnes herzliches Lachen war ein Laut, der auf diesen Decks und in diesen Kajüten nicht häufiger als einmal in sieben Tagen zu hören war, und der dann außerordentlich geringer Sympathie begegnete. Die Pilgrime nach dem heiligen Lande spielten, wenn sie nicht Bücher schrieben — was die meisten thaten — wenn zu viel Studium des Josephus oder der Robinson'schen Forschungen in Palästina eine Erholung nothwendig machte, Domino, das unsündhafteste aller Spiele, bis sie zur Nuhe gingen, und dann schimpften sie einander insgeheim Hallunken, bis es wieder an's Beten ging. Sie sprachen nur wenig, sie sangen nie, ausgenommen in der allabendlichen Betstunde. Das Vergnügungsschiff war eine Synagoge, der Vergnügungsauöflug ein Leichenbegängnis; ohne Leichnam, und es giebt ohne Leichnam nichts Erheiterndes an einem Leichenbegängnis)." Nach einiger Verzögerung durch Sturm geht der Dampfer endlich von der Bai von Neuyork ab. Das Leben an Bord giebt unserm Humoristen Gelegenheit zu allerlei komischen Erfahrungen und Bemerkungen. Schlechtes Wetter liefert Seekraute Pilger und einen allerliebsten Excurs über den Spaß, den man an diesen hat. wenn man selbst nicht leidet. Man führt Tagebücher, und der Verfasser macht sich über das vergebliche Bemühen der Gefährten, dieselben auf die Dauer fortzusetzen, lustig. Man tanzt mit Hindernissen, und auch das wird mit ungemeiner Komik geschildert. Endlich wirft das Schiff vor Fayal Anker, und die Reisenden machen eine Tour durch die Umgebung der Stadt. Am Schlüsse dieses Ausfluges, der ebenfalls mit bester Laune beschrieben wird, passirt den Reisenden etwas Wunderbares. „Blücher sagte, er wäre so glücklich und dankbar, wieder einmal auf festem Lande zu sein, daß er einen Schmaus geben wolle. Es solle ein wohl¬ feiles Land sein, und er fühle sich verpflichtet, ein großes Bankett zu geben. Er lud neun von uns ein, und wir hatten im ersten Hotel ein vortreffliches Diner. Inmitten der lustigen Stimmung, welche gute Cigarren, guter Wein und passable Anekdoten hervorgebracht hatten, präsentirte der Wirth seine Rechnung. Blücher warf einen Blick darauf und machte ein langes Gesicht. Er warf noch einen Blick darauf, um sich zu versichern, daß seine Sinne ihn nicht getäuscht, und las dann die einzelnen Ansätze laut und mit stockender Stimme vor, während die rosige Farbe seiner Wangen sich in Aschenfahl verwandelte: Zehn Diners ä. 600 Reis macht 6000 Reis! Ruin und Ver¬ wüstung! — Fünfundzwanzig Cigarren, das Stück 100 Neis, macht 2500 Reis! O meine selige Mutter! — Elf Flaschen Wein, n 1200 Reis, macht 13,200 Reis. Gott steh uns bei! Summa: Einundzwanzigtausendsieben- hundert Neis! O du unglücklicher Moses! s'ist ja nicht genug Geld im ganzen Schiffe, um diese Rechnung zu bezahlen. Geht, Jungens, und überlaßt mich meinem traurigen Schicksale. Ich bin eine zu Grunde gerichtete Stadt-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/222
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/222>, abgerufen am 16.06.2024.