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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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das alte Orakel, wie sie's nennen, von allen Seiten attakirt, aber der Alte
ist ihnen schier zu viel. Vielleicht, daß der gekrönte Poet mit diesen Deduk¬
tionen nicht befriedigt ist. -- Der Poet antwortete mit einem barbarischen
Reime und ging hinunter. -- Es scheint, daß auch der sich's nicht qualificiren
kann. Na, ich habe das von ihm auch gar nicht erwartet. Habe nie einen
von diesen Dichtern gesehen, der 'was wußte. Er wird jetzt hinuntergehen
und sich abquälen, um etwa vier Verse voll des greulichsten Quarks über diesen
alten Felsen dort zusammen zu kleistern, 's ist ein Elend, daß nicht jemand
diesen armen alten Verrückten herkriegt und ihm den poetischen Kehricht aus
dem Kopfe fegt. Warum kann jemand nur nicht seinen Intellect auf Dinge
richten, die einigen Werth haben. Gibbons und Hibokratus und Sarkophagus und
andere Philosophen des Alterthums waren alle Feinde der Poeten, und -- Doctor,
sagte ich, Sie wollen mir hier wieder Autoritäten erfinden, und ich werde
Sie ebenfalls verlassen. Ich erfreue mich stets an Ihrer Unterhaltung, wenn
die Philosophie, die Sie darbieten, auf ihrer eignen Verantwortlichkeit ruht;
aber wenn Sie aufzufliegen anfangen, wenn Sie dieselbe auf das Zeugniß
von Autoritäten stützen wollen, welche die Geschöpfe Ihrer eignen Phantasie
sind, verliere ich das Zutrauen."

Die Reisenden kommen dann nach Marseille, wo sie, wie sehr anmuthig
erzählt wird, mit ihrem Französisch nicht verstanden werden und in allerlei
komische Verlegenheiten gerathen. Von Marseille geht's nach Paris zur inter¬
nationalen Ausstellung, wo dem Verfasser wiederum allerlei seltsame Dinge
passiren. Der Verfasser erzählt:

"Von der frühesten Kindheit auf hatte ich den Ehrgeiz gehabt, mich ein¬
mal in einem der palastartigen Barbierläden von Paris rasiren zu lassen-
Ich wünschte mich meiner vollen Länge nach in einen gepolsterten Großvater¬
stuhl zurückzukehren, Bilder um mich herum und prächtige Möbeln, mit
Fresken geschmückte Wände und vergoldete Schwibbogen über mir und lange
Reihen korinthischer Säulen vor mir. Die Düfte Arabiens berauschten meine
Sinne, und das einschläfernde Summen entfernter Geräusche sang mich in
Schlaf. Nach Verlauf einer Stunde wachte ich mit Bedauern auf und fand,
daß mein Gesicht so platt und weich wie das eines kleinen Kindes war. In-
dem ich ging, erhob ich meine Hände über dem Haupte dieses Barbiers und
sagte: Gott segne Dich mein Sohn. -- So suchten wir denn etwa zwei
Stunden, aber nirgends war eine Barbierstube zu sehen. Wir sahen nur
Perückenmacherläden mit Flechten todten und ekelhaften Haares, die auf
Köpfen bemalter wächserner Räuber befestigt waren, welche den Vorüber¬
gehenden aus Glaskasten mit steinkalten Augen anstierten und ihn mit dem
gespenstischen Weiß ihrer Gesichter erschreckten. Wir straften diese Firmazeichen
eine Weile mit Verachtung, aber zuletzt kamen wir zu den? Schlüsse, daß diese
Perückenmacher nothwendig zugleich die Barbiere sein müßten. Wir traten


das alte Orakel, wie sie's nennen, von allen Seiten attakirt, aber der Alte
ist ihnen schier zu viel. Vielleicht, daß der gekrönte Poet mit diesen Deduk¬
tionen nicht befriedigt ist. — Der Poet antwortete mit einem barbarischen
Reime und ging hinunter. — Es scheint, daß auch der sich's nicht qualificiren
kann. Na, ich habe das von ihm auch gar nicht erwartet. Habe nie einen
von diesen Dichtern gesehen, der 'was wußte. Er wird jetzt hinuntergehen
und sich abquälen, um etwa vier Verse voll des greulichsten Quarks über diesen
alten Felsen dort zusammen zu kleistern, 's ist ein Elend, daß nicht jemand
diesen armen alten Verrückten herkriegt und ihm den poetischen Kehricht aus
dem Kopfe fegt. Warum kann jemand nur nicht seinen Intellect auf Dinge
richten, die einigen Werth haben. Gibbons und Hibokratus und Sarkophagus und
andere Philosophen des Alterthums waren alle Feinde der Poeten, und — Doctor,
sagte ich, Sie wollen mir hier wieder Autoritäten erfinden, und ich werde
Sie ebenfalls verlassen. Ich erfreue mich stets an Ihrer Unterhaltung, wenn
die Philosophie, die Sie darbieten, auf ihrer eignen Verantwortlichkeit ruht;
aber wenn Sie aufzufliegen anfangen, wenn Sie dieselbe auf das Zeugniß
von Autoritäten stützen wollen, welche die Geschöpfe Ihrer eignen Phantasie
sind, verliere ich das Zutrauen."

Die Reisenden kommen dann nach Marseille, wo sie, wie sehr anmuthig
erzählt wird, mit ihrem Französisch nicht verstanden werden und in allerlei
komische Verlegenheiten gerathen. Von Marseille geht's nach Paris zur inter¬
nationalen Ausstellung, wo dem Verfasser wiederum allerlei seltsame Dinge
passiren. Der Verfasser erzählt:

„Von der frühesten Kindheit auf hatte ich den Ehrgeiz gehabt, mich ein¬
mal in einem der palastartigen Barbierläden von Paris rasiren zu lassen-
Ich wünschte mich meiner vollen Länge nach in einen gepolsterten Großvater¬
stuhl zurückzukehren, Bilder um mich herum und prächtige Möbeln, mit
Fresken geschmückte Wände und vergoldete Schwibbogen über mir und lange
Reihen korinthischer Säulen vor mir. Die Düfte Arabiens berauschten meine
Sinne, und das einschläfernde Summen entfernter Geräusche sang mich in
Schlaf. Nach Verlauf einer Stunde wachte ich mit Bedauern auf und fand,
daß mein Gesicht so platt und weich wie das eines kleinen Kindes war. In-
dem ich ging, erhob ich meine Hände über dem Haupte dieses Barbiers und
sagte: Gott segne Dich mein Sohn. — So suchten wir denn etwa zwei
Stunden, aber nirgends war eine Barbierstube zu sehen. Wir sahen nur
Perückenmacherläden mit Flechten todten und ekelhaften Haares, die auf
Köpfen bemalter wächserner Räuber befestigt waren, welche den Vorüber¬
gehenden aus Glaskasten mit steinkalten Augen anstierten und ihn mit dem
gespenstischen Weiß ihrer Gesichter erschreckten. Wir straften diese Firmazeichen
eine Weile mit Verachtung, aber zuletzt kamen wir zu den? Schlüsse, daß diese
Perückenmacher nothwendig zugleich die Barbiere sein müßten. Wir traten


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[0224] das alte Orakel, wie sie's nennen, von allen Seiten attakirt, aber der Alte ist ihnen schier zu viel. Vielleicht, daß der gekrönte Poet mit diesen Deduk¬ tionen nicht befriedigt ist. — Der Poet antwortete mit einem barbarischen Reime und ging hinunter. — Es scheint, daß auch der sich's nicht qualificiren kann. Na, ich habe das von ihm auch gar nicht erwartet. Habe nie einen von diesen Dichtern gesehen, der 'was wußte. Er wird jetzt hinuntergehen und sich abquälen, um etwa vier Verse voll des greulichsten Quarks über diesen alten Felsen dort zusammen zu kleistern, 's ist ein Elend, daß nicht jemand diesen armen alten Verrückten herkriegt und ihm den poetischen Kehricht aus dem Kopfe fegt. Warum kann jemand nur nicht seinen Intellect auf Dinge richten, die einigen Werth haben. Gibbons und Hibokratus und Sarkophagus und andere Philosophen des Alterthums waren alle Feinde der Poeten, und — Doctor, sagte ich, Sie wollen mir hier wieder Autoritäten erfinden, und ich werde Sie ebenfalls verlassen. Ich erfreue mich stets an Ihrer Unterhaltung, wenn die Philosophie, die Sie darbieten, auf ihrer eignen Verantwortlichkeit ruht; aber wenn Sie aufzufliegen anfangen, wenn Sie dieselbe auf das Zeugniß von Autoritäten stützen wollen, welche die Geschöpfe Ihrer eignen Phantasie sind, verliere ich das Zutrauen." Die Reisenden kommen dann nach Marseille, wo sie, wie sehr anmuthig erzählt wird, mit ihrem Französisch nicht verstanden werden und in allerlei komische Verlegenheiten gerathen. Von Marseille geht's nach Paris zur inter¬ nationalen Ausstellung, wo dem Verfasser wiederum allerlei seltsame Dinge passiren. Der Verfasser erzählt: „Von der frühesten Kindheit auf hatte ich den Ehrgeiz gehabt, mich ein¬ mal in einem der palastartigen Barbierläden von Paris rasiren zu lassen- Ich wünschte mich meiner vollen Länge nach in einen gepolsterten Großvater¬ stuhl zurückzukehren, Bilder um mich herum und prächtige Möbeln, mit Fresken geschmückte Wände und vergoldete Schwibbogen über mir und lange Reihen korinthischer Säulen vor mir. Die Düfte Arabiens berauschten meine Sinne, und das einschläfernde Summen entfernter Geräusche sang mich in Schlaf. Nach Verlauf einer Stunde wachte ich mit Bedauern auf und fand, daß mein Gesicht so platt und weich wie das eines kleinen Kindes war. In- dem ich ging, erhob ich meine Hände über dem Haupte dieses Barbiers und sagte: Gott segne Dich mein Sohn. — So suchten wir denn etwa zwei Stunden, aber nirgends war eine Barbierstube zu sehen. Wir sahen nur Perückenmacherläden mit Flechten todten und ekelhaften Haares, die auf Köpfen bemalter wächserner Räuber befestigt waren, welche den Vorüber¬ gehenden aus Glaskasten mit steinkalten Augen anstierten und ihn mit dem gespenstischen Weiß ihrer Gesichter erschreckten. Wir straften diese Firmazeichen eine Weile mit Verachtung, aber zuletzt kamen wir zu den? Schlüsse, daß diese Perückenmacher nothwendig zugleich die Barbiere sein müßten. Wir traten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/224>, abgerufen am 16.06.2024.