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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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ein, fragten und fanden, daß es richtig so war. -- Ich sagte, ich wünschte
rasirt zu werden. Der Barbier erkundigte sich, wo mein Zimmer wäre. Ich
erwiderte, einerlei , wo das wär, ich wollte rasirt sein -- hier, gleich auf der
Stelle. Der Doctor sagte, er wünschte ebenfalls rasirt zu werden. Da gab's
Verwunderung unter den beiden Barbieren. Hastig berieth man sich, rannte
dann hin und her, schleppte fieberhaft aus obscurer Orten Barbiermesser
herzu und riß alle Kasten nach Seife auf. Darauf brachten sie uns in ein
elendes schäbiges Hinterstübchen, holten zwei ordinäre Stühle herbei und setzten
uns in unsern Röcken auf dieselben. Mein alter beseligender Traum ver¬
schwand in der dünnen Luft. Ich saß aufrecht wie ein Bolzen, schweigsam,
traurig und feierlich. Einer der perückenmachenden Hallunken bestrich mir das
Gesicht zehn schreckliche Minuten lang mit Seifenschaum und endigte damit,
daß er mir eine Masse davon auf den Mund klexte. Ich blies den garstigen
Quark mit einem starken englischen Ausdrucke weg und sagte, Fremdling,
hüte Dich! Dann wetzte dieser Schuft sein Messer an seinem Stiefel, schwebte
ominös sechs fürchterliche Secunden über mir und stieß darauf hernieder auf
mich wie der Genius der Verwüstung. Der erste Kratz seines Messers löste
mir die Haut vom Gesichte und ließ mich vom Stuhle auffahren. Ich stürmte
und raste, und die andern Knaben freuten sich darüber. Ihre Bärte sind
nicht hart und dicht. Ziehen wir einen Vorhang über dieses markerschütternde
Schauspiel. Es genüge, daß ich mich der grausamen Heimsuchung, von einem
französischen Barbier abgeschabt zu werden, fügte und sie durchmachte. Thränen
des ausgesuchtesten Schmerzes liefen mir dann und wann über die Backen,
aber ich überlebte es. Dann hielt mir der angehende Meuchelmörder ein
Becken mit Wasser unter's Kinn und platschte den Inhalt desselben mir über mein
Gesicht und in meinen Busen und hinten über den Nacken hinunter, indem er
schändlicherweise that, als wolle er mir die Seife und das Blut abspülen.
Er trocknete mir das Gesicht mit einem Handtuche ab und war im Begriffe,
mir die Haare zu kämmen. Ich bat aber um Entschuldigung. Ich sagte mit
vernichtender Ironie, es wäre genug, geschunden zu sein, und ich müßte ab¬
lehnen, auch noch skalpirt zu werden. -- Ich ging mit dem Taschentuch vor
dem Gesicht fort von da, und nimmer, nimmer wieder wünschte ich mir von
den palastartigen Barbierstuben der Pariser zu träumen."

In ähnlicher Weise wird der Reisende über verschiedene andere Dinge,
über Billards, Gasthöfe, Grisetten und tgi. enttäuscht und immer berichtet er
uns darüber mit köstlicher Laune. So zum Beispiel in der Geschichte, wo die
Arglosen ihren Führer kennen lernen.

"Ich erwartete mir einen Führer Namens Henri de Montmorency oder
Armand de la Chartreuse oder sonst etwas, das in den Briefen an die Klein¬
städter zu Hause großartig klingen würde; aber sich einen Franzosen mit dem


Grmzbaw, III. 1875. 28

ein, fragten und fanden, daß es richtig so war. — Ich sagte, ich wünschte
rasirt zu werden. Der Barbier erkundigte sich, wo mein Zimmer wäre. Ich
erwiderte, einerlei , wo das wär, ich wollte rasirt sein — hier, gleich auf der
Stelle. Der Doctor sagte, er wünschte ebenfalls rasirt zu werden. Da gab's
Verwunderung unter den beiden Barbieren. Hastig berieth man sich, rannte
dann hin und her, schleppte fieberhaft aus obscurer Orten Barbiermesser
herzu und riß alle Kasten nach Seife auf. Darauf brachten sie uns in ein
elendes schäbiges Hinterstübchen, holten zwei ordinäre Stühle herbei und setzten
uns in unsern Röcken auf dieselben. Mein alter beseligender Traum ver¬
schwand in der dünnen Luft. Ich saß aufrecht wie ein Bolzen, schweigsam,
traurig und feierlich. Einer der perückenmachenden Hallunken bestrich mir das
Gesicht zehn schreckliche Minuten lang mit Seifenschaum und endigte damit,
daß er mir eine Masse davon auf den Mund klexte. Ich blies den garstigen
Quark mit einem starken englischen Ausdrucke weg und sagte, Fremdling,
hüte Dich! Dann wetzte dieser Schuft sein Messer an seinem Stiefel, schwebte
ominös sechs fürchterliche Secunden über mir und stieß darauf hernieder auf
mich wie der Genius der Verwüstung. Der erste Kratz seines Messers löste
mir die Haut vom Gesichte und ließ mich vom Stuhle auffahren. Ich stürmte
und raste, und die andern Knaben freuten sich darüber. Ihre Bärte sind
nicht hart und dicht. Ziehen wir einen Vorhang über dieses markerschütternde
Schauspiel. Es genüge, daß ich mich der grausamen Heimsuchung, von einem
französischen Barbier abgeschabt zu werden, fügte und sie durchmachte. Thränen
des ausgesuchtesten Schmerzes liefen mir dann und wann über die Backen,
aber ich überlebte es. Dann hielt mir der angehende Meuchelmörder ein
Becken mit Wasser unter's Kinn und platschte den Inhalt desselben mir über mein
Gesicht und in meinen Busen und hinten über den Nacken hinunter, indem er
schändlicherweise that, als wolle er mir die Seife und das Blut abspülen.
Er trocknete mir das Gesicht mit einem Handtuche ab und war im Begriffe,
mir die Haare zu kämmen. Ich bat aber um Entschuldigung. Ich sagte mit
vernichtender Ironie, es wäre genug, geschunden zu sein, und ich müßte ab¬
lehnen, auch noch skalpirt zu werden. — Ich ging mit dem Taschentuch vor
dem Gesicht fort von da, und nimmer, nimmer wieder wünschte ich mir von
den palastartigen Barbierstuben der Pariser zu träumen."

In ähnlicher Weise wird der Reisende über verschiedene andere Dinge,
über Billards, Gasthöfe, Grisetten und tgi. enttäuscht und immer berichtet er
uns darüber mit köstlicher Laune. So zum Beispiel in der Geschichte, wo die
Arglosen ihren Führer kennen lernen.

„Ich erwartete mir einen Führer Namens Henri de Montmorency oder
Armand de la Chartreuse oder sonst etwas, das in den Briefen an die Klein¬
städter zu Hause großartig klingen würde; aber sich einen Franzosen mit dem


Grmzbaw, III. 1875. 28
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[0225] ein, fragten und fanden, daß es richtig so war. — Ich sagte, ich wünschte rasirt zu werden. Der Barbier erkundigte sich, wo mein Zimmer wäre. Ich erwiderte, einerlei , wo das wär, ich wollte rasirt sein — hier, gleich auf der Stelle. Der Doctor sagte, er wünschte ebenfalls rasirt zu werden. Da gab's Verwunderung unter den beiden Barbieren. Hastig berieth man sich, rannte dann hin und her, schleppte fieberhaft aus obscurer Orten Barbiermesser herzu und riß alle Kasten nach Seife auf. Darauf brachten sie uns in ein elendes schäbiges Hinterstübchen, holten zwei ordinäre Stühle herbei und setzten uns in unsern Röcken auf dieselben. Mein alter beseligender Traum ver¬ schwand in der dünnen Luft. Ich saß aufrecht wie ein Bolzen, schweigsam, traurig und feierlich. Einer der perückenmachenden Hallunken bestrich mir das Gesicht zehn schreckliche Minuten lang mit Seifenschaum und endigte damit, daß er mir eine Masse davon auf den Mund klexte. Ich blies den garstigen Quark mit einem starken englischen Ausdrucke weg und sagte, Fremdling, hüte Dich! Dann wetzte dieser Schuft sein Messer an seinem Stiefel, schwebte ominös sechs fürchterliche Secunden über mir und stieß darauf hernieder auf mich wie der Genius der Verwüstung. Der erste Kratz seines Messers löste mir die Haut vom Gesichte und ließ mich vom Stuhle auffahren. Ich stürmte und raste, und die andern Knaben freuten sich darüber. Ihre Bärte sind nicht hart und dicht. Ziehen wir einen Vorhang über dieses markerschütternde Schauspiel. Es genüge, daß ich mich der grausamen Heimsuchung, von einem französischen Barbier abgeschabt zu werden, fügte und sie durchmachte. Thränen des ausgesuchtesten Schmerzes liefen mir dann und wann über die Backen, aber ich überlebte es. Dann hielt mir der angehende Meuchelmörder ein Becken mit Wasser unter's Kinn und platschte den Inhalt desselben mir über mein Gesicht und in meinen Busen und hinten über den Nacken hinunter, indem er schändlicherweise that, als wolle er mir die Seife und das Blut abspülen. Er trocknete mir das Gesicht mit einem Handtuche ab und war im Begriffe, mir die Haare zu kämmen. Ich bat aber um Entschuldigung. Ich sagte mit vernichtender Ironie, es wäre genug, geschunden zu sein, und ich müßte ab¬ lehnen, auch noch skalpirt zu werden. — Ich ging mit dem Taschentuch vor dem Gesicht fort von da, und nimmer, nimmer wieder wünschte ich mir von den palastartigen Barbierstuben der Pariser zu träumen." In ähnlicher Weise wird der Reisende über verschiedene andere Dinge, über Billards, Gasthöfe, Grisetten und tgi. enttäuscht und immer berichtet er uns darüber mit köstlicher Laune. So zum Beispiel in der Geschichte, wo die Arglosen ihren Führer kennen lernen. „Ich erwartete mir einen Führer Namens Henri de Montmorency oder Armand de la Chartreuse oder sonst etwas, das in den Briefen an die Klein¬ städter zu Hause großartig klingen würde; aber sich einen Franzosen mit dem Grmzbaw, III. 1875. 28

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/225>, abgerufen am 16.06.2024.