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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Namen Billsinger denken zu sollen -- das ging durchaus nicht an. Wir
mußten ihn umlaufen. Der Doctor rieth: Alexis du Caulaineourt. Ich
schlug vor: Alphonse Henri Gustave du.Hauteville. -- Nennt ihn Ferguson,
sagte Dan. Das war praktischer, unromantischer Menschenverstand, und so
nannten wir ihn dann Ferguson. Wir fuhren zum Frühstück. Wie steh's
gehörte, stellte Herr Ferguson sich neben uns, um unsere Bestellungen zu
vermitteln und Fragen zu beantworten. Bald bemerkte er wie zufällig, daß
er hingehen und sein Frühstück einnehmen wolle, wenn wir mit dem unsrigen
fertig wären. Er wußte, daß wir ohne ihn nicht fortkommen konnten, und
daß wir uns nicht herumtreiben und auf ihn warten wollten. Wir baten
ihn, sich hinzusetzen und mit uns zu essen. Er bat mit vielen Bücklingen,
ihn zu entschuldigen. Es passe sich nicht, sagte er. Er wolle sich lieber an
einen andern Tisch setzen. Wir befahlen ihm peremptorisch, sich zu uns zu
setzen. -- Hier endete die erste Lection. Es war ein Mißgriff. -- So lange
wir nach diesem Vorfall diesen Kerl hatten, war er immer hungrig, immer
durstig. Er kam zeitig und blieb bis spät. Er konnte bei keinem Restaurant
vorüber gehen, er blickte auf jedes Weinhaus mit dem Auge eines Blutegels.
Vorschläge, Halt zu machen, Entschuldigungen, daß er essen und trinken
müsse, waren ewig auf feinen Lippen. Wir versuchten alles Mögliche, ihn
so voll zu füllen, daß er für vierzehn Tage keinen Platz übrig hätte, aber
es mißlang. Er hatte nicht Tonnengehalt genug, um das Nagen seines über¬
menschlichen Appetits stillen zu können.

Er hatte noch eine Unart an sich. Er wollte immer etwas kaufen.
Unter den seichtesten Vorwänden drängte er uns in Hemdenläden, Stiefel¬
läden. Handschuhläden, Schneiderläden, überall hin unter dem weiten Himmels¬
gewölbe, wo Aussicht vorhanden war, daß wir etwas kaufen würden. Jeder¬
mann hätte errathen können, daß die Ladeninhaber ihm einen Procentsatz
von ihren Verkäufen zahlte; aber in unserer gesegneten Harmlosigkeit ahnten
wir das nicht eher, als bis dieser Zug in seinem Benehmen unausstehlich
hervortrat. Eines Tages äußerte Dan zufällig, daß er drei oder vier seidne
Kleider zu Geschenken zu kaufen gedenke. Augenblicklich heftete sich Ferguson's
hungriges Auge auf ihn. Nach Verlauf von zwanzig Minuten hielt der
Wagen. -- Was ist das? -- Das ist das feinste Seidenlager in Paris, das
berühmteste. -- Weshalb sind Sie hierher gefahren? Wir sagten Ihnen doch,
Sie sollten uns nach dem Palast des Louvre bringen. -- Ick dackr, der Err
wünschte seidne Stoffe ßu kaufen. -- Man verlangt von Ihnen nicht, daß
Sie für die Gesellschaft denken sollen, Ferguson. Wir wünschen Ihre
Thatkraft nicht zu sehr in Anspruch zu nehmen. Wir wollen etwas von der
Last und Hitze des Tages selbst tragen. Wir wollen versuchen , das Denken selbst
zu besorgen, das wirklich nothwendig ist.-- Weiterfahren! sagte der Doctor.


Namen Billsinger denken zu sollen — das ging durchaus nicht an. Wir
mußten ihn umlaufen. Der Doctor rieth: Alexis du Caulaineourt. Ich
schlug vor: Alphonse Henri Gustave du.Hauteville. — Nennt ihn Ferguson,
sagte Dan. Das war praktischer, unromantischer Menschenverstand, und so
nannten wir ihn dann Ferguson. Wir fuhren zum Frühstück. Wie steh's
gehörte, stellte Herr Ferguson sich neben uns, um unsere Bestellungen zu
vermitteln und Fragen zu beantworten. Bald bemerkte er wie zufällig, daß
er hingehen und sein Frühstück einnehmen wolle, wenn wir mit dem unsrigen
fertig wären. Er wußte, daß wir ohne ihn nicht fortkommen konnten, und
daß wir uns nicht herumtreiben und auf ihn warten wollten. Wir baten
ihn, sich hinzusetzen und mit uns zu essen. Er bat mit vielen Bücklingen,
ihn zu entschuldigen. Es passe sich nicht, sagte er. Er wolle sich lieber an
einen andern Tisch setzen. Wir befahlen ihm peremptorisch, sich zu uns zu
setzen. — Hier endete die erste Lection. Es war ein Mißgriff. — So lange
wir nach diesem Vorfall diesen Kerl hatten, war er immer hungrig, immer
durstig. Er kam zeitig und blieb bis spät. Er konnte bei keinem Restaurant
vorüber gehen, er blickte auf jedes Weinhaus mit dem Auge eines Blutegels.
Vorschläge, Halt zu machen, Entschuldigungen, daß er essen und trinken
müsse, waren ewig auf feinen Lippen. Wir versuchten alles Mögliche, ihn
so voll zu füllen, daß er für vierzehn Tage keinen Platz übrig hätte, aber
es mißlang. Er hatte nicht Tonnengehalt genug, um das Nagen seines über¬
menschlichen Appetits stillen zu können.

Er hatte noch eine Unart an sich. Er wollte immer etwas kaufen.
Unter den seichtesten Vorwänden drängte er uns in Hemdenläden, Stiefel¬
läden. Handschuhläden, Schneiderläden, überall hin unter dem weiten Himmels¬
gewölbe, wo Aussicht vorhanden war, daß wir etwas kaufen würden. Jeder¬
mann hätte errathen können, daß die Ladeninhaber ihm einen Procentsatz
von ihren Verkäufen zahlte; aber in unserer gesegneten Harmlosigkeit ahnten
wir das nicht eher, als bis dieser Zug in seinem Benehmen unausstehlich
hervortrat. Eines Tages äußerte Dan zufällig, daß er drei oder vier seidne
Kleider zu Geschenken zu kaufen gedenke. Augenblicklich heftete sich Ferguson's
hungriges Auge auf ihn. Nach Verlauf von zwanzig Minuten hielt der
Wagen. — Was ist das? — Das ist das feinste Seidenlager in Paris, das
berühmteste. — Weshalb sind Sie hierher gefahren? Wir sagten Ihnen doch,
Sie sollten uns nach dem Palast des Louvre bringen. — Ick dackr, der Err
wünschte seidne Stoffe ßu kaufen. — Man verlangt von Ihnen nicht, daß
Sie für die Gesellschaft denken sollen, Ferguson. Wir wünschen Ihre
Thatkraft nicht zu sehr in Anspruch zu nehmen. Wir wollen etwas von der
Last und Hitze des Tages selbst tragen. Wir wollen versuchen , das Denken selbst
zu besorgen, das wirklich nothwendig ist.— Weiterfahren! sagte der Doctor.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/226>, abgerufen am 16.06.2024.