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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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-- Binnen fünfzehn Minuten machte der Wagen wieder Halt und zwar vor
einem zweiten Seidenwaarenlager. -- Der Doctor sagte: Ah, der Palast des
Louvre! Schönes, wunderschönes Gebäude! Wohnt der Kaiser Napoleon
jetzt hier, Ferguson? -- Ach, Doctor, Sie spaßen, dies ist nickt der Palast.
Wir kommen gleick hin. Aber da wir gerade bei diese Laden vorbeifahren,
wo so schöne Seidenwaaren sind -- Ah, ich sehe, ich sehe. Ich meinte doch,
ich hätte Ihnen gesagt, daß wir heute keine Seidenstoffe zu kaufen wünschen.
Aber in meiner Geistesabwesenheit vergaß ich's. Ich meinte auch, ich hätte
Ihnen bemerkt, daß wir geraden Wegs nach dem Louvre zu gehen wünschten.
Aber ich vergaß das gleichfalls. Indeß, wir wollen jetzt dahin gehen. Ent¬
schuldigen Sie meine anscheinende Nachlässigkeit. Weiterfahren! -- Noch war
keine halbe Stunde verflossen, als wir abermals Halt machten -- wieder vor
einem Seidenwaarengcschäft. Wir waren verdrießlich, nur der Doctor war
immer heiter und von sanfter Stimme: Endlich! Wie imposant der Louvre
ist, und doch wie klein! Wie trefflich gestaltet, wie reizend gelegen! Ehr¬
würdiger, hochehrwürdiger Bau! -- Pardon, Doctor, das ist nicht der Louvre
-- es ist -- Was ist denn? -- Ich hatte die Idee -- es fiel mir in diesem
Augenblicke ein, daß die Seide in diesem Magazin -- Ferguson, wie unachtsam
ich doch bin. Ich hatte entschieden die Absicht, Ihnen zu sagen, daß wir heute durchaus
keine Seide zu kaufen geneigt sind, und ich beabsichtige ferner, Ihnen mit¬
zutheilen, daß wir darauf brennten, unverzüglich nach dem Palast des Louvre
zu gehen. Da wir uns aber des Glückes erfreuten, zu sehen, wie Sie diesen
Morgen vier Frühstücke verschlangen, so hat mich das mit so vergnüglichen
Empfindungen erfüllt, daß ich die gewöhnlichsten Interessen des Tages vergessen
habe. Jetzt wollen wir nach dem Louvre, Ferguson. -- Aber, Doctor, sagte
Ferguson aufgeregt, es wird ja keine Minute kosten -- nicht mehr als eine
kleine Minute -- die Erren brauchen ja nix ßu kaufen, wenn sie nicht wünschen,
sondern nur die Seide ansehen -- das schöne Fabrikat ansehen. Dann fügte
er flehentlich hinzu: Mein Err, nur einen kleinen Augenblick. -- Dem sagte:
Zur Hölle mit dem Dummkopf. Ich wünsche heute durchaus keine Seiden¬
stoffe zu sehen. Ich werde nicht einen Blick darauf thun. Weiterfahren! --
Und der Doctor fügte hinzu: Wir brauchen heute keine Seidenstoffe, Ferguson.
Unsere Herzen sehnen sich nach dem Louvre. Lassen Sie uns weiterfahren.--
Aber, Doctor, es ist ja nur ein Augenblick -- ein kleiner Augenblick. Und
die Szeit wird nickt verloren -- gar nickt verloren, weil es jetzt nix mehr ßu
sehen giebt -- es ist ßu spät. Es fehlen noch ßehn Minuten an vier, und
der Louvre wird um vier Uhr geschlossen. Nur einen kleinen Augenblick,
Doctor. Der verrätherische Hallunke! Uns nach vier Frühstücken und einer
Gallone Champagner mit einem solchen faulen Streiche aufzuwarten! Wir
hatten diesen Tag von den zahllosen Kunstschätzen des Louvre nichts zu sehen


— Binnen fünfzehn Minuten machte der Wagen wieder Halt und zwar vor
einem zweiten Seidenwaarenlager. — Der Doctor sagte: Ah, der Palast des
Louvre! Schönes, wunderschönes Gebäude! Wohnt der Kaiser Napoleon
jetzt hier, Ferguson? — Ach, Doctor, Sie spaßen, dies ist nickt der Palast.
Wir kommen gleick hin. Aber da wir gerade bei diese Laden vorbeifahren,
wo so schöne Seidenwaaren sind — Ah, ich sehe, ich sehe. Ich meinte doch,
ich hätte Ihnen gesagt, daß wir heute keine Seidenstoffe zu kaufen wünschen.
Aber in meiner Geistesabwesenheit vergaß ich's. Ich meinte auch, ich hätte
Ihnen bemerkt, daß wir geraden Wegs nach dem Louvre zu gehen wünschten.
Aber ich vergaß das gleichfalls. Indeß, wir wollen jetzt dahin gehen. Ent¬
schuldigen Sie meine anscheinende Nachlässigkeit. Weiterfahren! — Noch war
keine halbe Stunde verflossen, als wir abermals Halt machten — wieder vor
einem Seidenwaarengcschäft. Wir waren verdrießlich, nur der Doctor war
immer heiter und von sanfter Stimme: Endlich! Wie imposant der Louvre
ist, und doch wie klein! Wie trefflich gestaltet, wie reizend gelegen! Ehr¬
würdiger, hochehrwürdiger Bau! — Pardon, Doctor, das ist nicht der Louvre
— es ist — Was ist denn? — Ich hatte die Idee — es fiel mir in diesem
Augenblicke ein, daß die Seide in diesem Magazin — Ferguson, wie unachtsam
ich doch bin. Ich hatte entschieden die Absicht, Ihnen zu sagen, daß wir heute durchaus
keine Seide zu kaufen geneigt sind, und ich beabsichtige ferner, Ihnen mit¬
zutheilen, daß wir darauf brennten, unverzüglich nach dem Palast des Louvre
zu gehen. Da wir uns aber des Glückes erfreuten, zu sehen, wie Sie diesen
Morgen vier Frühstücke verschlangen, so hat mich das mit so vergnüglichen
Empfindungen erfüllt, daß ich die gewöhnlichsten Interessen des Tages vergessen
habe. Jetzt wollen wir nach dem Louvre, Ferguson. — Aber, Doctor, sagte
Ferguson aufgeregt, es wird ja keine Minute kosten — nicht mehr als eine
kleine Minute — die Erren brauchen ja nix ßu kaufen, wenn sie nicht wünschen,
sondern nur die Seide ansehen — das schöne Fabrikat ansehen. Dann fügte
er flehentlich hinzu: Mein Err, nur einen kleinen Augenblick. — Dem sagte:
Zur Hölle mit dem Dummkopf. Ich wünsche heute durchaus keine Seiden¬
stoffe zu sehen. Ich werde nicht einen Blick darauf thun. Weiterfahren! —
Und der Doctor fügte hinzu: Wir brauchen heute keine Seidenstoffe, Ferguson.
Unsere Herzen sehnen sich nach dem Louvre. Lassen Sie uns weiterfahren.—
Aber, Doctor, es ist ja nur ein Augenblick — ein kleiner Augenblick. Und
die Szeit wird nickt verloren — gar nickt verloren, weil es jetzt nix mehr ßu
sehen giebt — es ist ßu spät. Es fehlen noch ßehn Minuten an vier, und
der Louvre wird um vier Uhr geschlossen. Nur einen kleinen Augenblick,
Doctor. Der verrätherische Hallunke! Uns nach vier Frühstücken und einer
Gallone Champagner mit einem solchen faulen Streiche aufzuwarten! Wir
hatten diesen Tag von den zahllosen Kunstschätzen des Louvre nichts zu sehen


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[0227] — Binnen fünfzehn Minuten machte der Wagen wieder Halt und zwar vor einem zweiten Seidenwaarenlager. — Der Doctor sagte: Ah, der Palast des Louvre! Schönes, wunderschönes Gebäude! Wohnt der Kaiser Napoleon jetzt hier, Ferguson? — Ach, Doctor, Sie spaßen, dies ist nickt der Palast. Wir kommen gleick hin. Aber da wir gerade bei diese Laden vorbeifahren, wo so schöne Seidenwaaren sind — Ah, ich sehe, ich sehe. Ich meinte doch, ich hätte Ihnen gesagt, daß wir heute keine Seidenstoffe zu kaufen wünschen. Aber in meiner Geistesabwesenheit vergaß ich's. Ich meinte auch, ich hätte Ihnen bemerkt, daß wir geraden Wegs nach dem Louvre zu gehen wünschten. Aber ich vergaß das gleichfalls. Indeß, wir wollen jetzt dahin gehen. Ent¬ schuldigen Sie meine anscheinende Nachlässigkeit. Weiterfahren! — Noch war keine halbe Stunde verflossen, als wir abermals Halt machten — wieder vor einem Seidenwaarengcschäft. Wir waren verdrießlich, nur der Doctor war immer heiter und von sanfter Stimme: Endlich! Wie imposant der Louvre ist, und doch wie klein! Wie trefflich gestaltet, wie reizend gelegen! Ehr¬ würdiger, hochehrwürdiger Bau! — Pardon, Doctor, das ist nicht der Louvre — es ist — Was ist denn? — Ich hatte die Idee — es fiel mir in diesem Augenblicke ein, daß die Seide in diesem Magazin — Ferguson, wie unachtsam ich doch bin. Ich hatte entschieden die Absicht, Ihnen zu sagen, daß wir heute durchaus keine Seide zu kaufen geneigt sind, und ich beabsichtige ferner, Ihnen mit¬ zutheilen, daß wir darauf brennten, unverzüglich nach dem Palast des Louvre zu gehen. Da wir uns aber des Glückes erfreuten, zu sehen, wie Sie diesen Morgen vier Frühstücke verschlangen, so hat mich das mit so vergnüglichen Empfindungen erfüllt, daß ich die gewöhnlichsten Interessen des Tages vergessen habe. Jetzt wollen wir nach dem Louvre, Ferguson. — Aber, Doctor, sagte Ferguson aufgeregt, es wird ja keine Minute kosten — nicht mehr als eine kleine Minute — die Erren brauchen ja nix ßu kaufen, wenn sie nicht wünschen, sondern nur die Seide ansehen — das schöne Fabrikat ansehen. Dann fügte er flehentlich hinzu: Mein Err, nur einen kleinen Augenblick. — Dem sagte: Zur Hölle mit dem Dummkopf. Ich wünsche heute durchaus keine Seiden¬ stoffe zu sehen. Ich werde nicht einen Blick darauf thun. Weiterfahren! — Und der Doctor fügte hinzu: Wir brauchen heute keine Seidenstoffe, Ferguson. Unsere Herzen sehnen sich nach dem Louvre. Lassen Sie uns weiterfahren.— Aber, Doctor, es ist ja nur ein Augenblick — ein kleiner Augenblick. Und die Szeit wird nickt verloren — gar nickt verloren, weil es jetzt nix mehr ßu sehen giebt — es ist ßu spät. Es fehlen noch ßehn Minuten an vier, und der Louvre wird um vier Uhr geschlossen. Nur einen kleinen Augenblick, Doctor. Der verrätherische Hallunke! Uns nach vier Frühstücken und einer Gallone Champagner mit einem solchen faulen Streiche aufzuwarten! Wir hatten diesen Tag von den zahllosen Kunstschätzen des Louvre nichts zu sehen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/227>, abgerufen am 16.06.2024.