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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Schwarz, ein Hemd, welches jeden Schmuyfleck so leicht sehen läßt, daß sie es
jeden Monat wechseln müssen, was sehr unbequem ist, ferner Dinger, die
Pantalons heißen und von Hosenträgern festgehalten werden, und an ihren
Füßen tragen sie Stiefeln, die lächerlich von Gestalt und gar nicht haltbar
sind. Und doch lachten diese phantastisch gekleideten Leute über meine Tracht.
In jenem Lande sind Bücher etwas so Gewöhnliches, daß es wirklich gar
nichts Curioses ist, eins zu sehen. Dasselbe gilt von den Zeitungen. Sie
haben eine große Maschine, die solche Dinger jede Stunde zu Tausenden druckt.

Ich sah dort gemeine Leute -- Leute, die weder Priester noch Fürsten
waren -- und die trotzdem vollkommen freie Eigenthümer des Landes waren,
welches sie bearbeiteten. Es war nicht erpachtet von der Kirche oder von den
Adeligen. Ich bin bereit, das mit einem körperlichen Eide zu bekräftigen.
In diesem Lande könnt ihr drei Mal hintereinander aus einem Fenster im
dritten Stock fallen, ohne einen Pfaffen oder einen Soldaten zu zerquetschen.
Die Seltenheit dieser Leute ist ganz erstaunlich. In den Städten würdet ihr
auf zwölf Civilpersonen nur einen Soldaten und auf ebensoviele nur einen
Priester oder Prediger zu sehen bekommen. Die Juden werden dort ganz
wie menschliche Wesen, nicht wie Hunde behandelt. Sie können jedes Geschäft
betreiben, das ihnen beliebt, sie dürfen funkelnagelneue Waaren verkaufen,
wenn sie Lust dazu haben, sie dürfen Apotheken halten und unter Christen
als Aerzte wirken, sich mit ihnen associiren, sich sogar -- ihr könnt mir's
glauben, ich schwör' es bei der Jungfrau --- mit ihnen verheirathen, wie wir
uns verheirathen. Man schließt sie nicht in einen schmutzigen Winkel der
Stadt ein. Sie können vielmehr da wohnen, wo es ihnen am besten gefällt,
man behauptet sogar, sie hätten das Recht, sich Land und Häuser zu kaufen
und sich als Besitzer zu geriren, obwohl ich das bezweifle. Sie müssen nie¬
mals nackt mit Eseln durch die öffentlichen Straßen Wettläufe anstellen, um
dem Volke zu Carnevalszeiten einen Spaß zu machen. Niemals sind sie dort
von Soldaten jeden Sonntag in eine Kirche getrieben worden, um sich selbst
und ihre Religion verfluchen zu hören. In diesem wunderlichen Lande erlaubt
man heutzutage einem Juden, bei öffentlichen Abstimmungen mit zu Votiren,
ein Amt zu bekleiden, ja eine Rednerbühne auf öffentlichem Markte zu besteigen
und seine Meinung über die Regierung auszusprechen, wenn diese Negierung
ihm nicht zusagt.

Ach, es ist seltsam! Die gemeinen Leute da wissen sehr viel, sie haben
sogar die Dreistigkeit, zu klagen, wenn sie nicht gehörig regiert werden, und
sich des Staatsruders zu bemächtigen und selber an demselben mitzuhelfen.
Wenn sie Gesetze wie die unsern hätten, welche von jeden drei Thalern, die
eine Ernte ihnen bringt, einem der Regierung als Steuer zusprechen, so würden
sie diese Gesetze ändern lassen. Statt von jeden hundert Thalern, die sie ein-


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Schwarz, ein Hemd, welches jeden Schmuyfleck so leicht sehen läßt, daß sie es
jeden Monat wechseln müssen, was sehr unbequem ist, ferner Dinger, die
Pantalons heißen und von Hosenträgern festgehalten werden, und an ihren
Füßen tragen sie Stiefeln, die lächerlich von Gestalt und gar nicht haltbar
sind. Und doch lachten diese phantastisch gekleideten Leute über meine Tracht.
In jenem Lande sind Bücher etwas so Gewöhnliches, daß es wirklich gar
nichts Curioses ist, eins zu sehen. Dasselbe gilt von den Zeitungen. Sie
haben eine große Maschine, die solche Dinger jede Stunde zu Tausenden druckt.

Ich sah dort gemeine Leute — Leute, die weder Priester noch Fürsten
waren — und die trotzdem vollkommen freie Eigenthümer des Landes waren,
welches sie bearbeiteten. Es war nicht erpachtet von der Kirche oder von den
Adeligen. Ich bin bereit, das mit einem körperlichen Eide zu bekräftigen.
In diesem Lande könnt ihr drei Mal hintereinander aus einem Fenster im
dritten Stock fallen, ohne einen Pfaffen oder einen Soldaten zu zerquetschen.
Die Seltenheit dieser Leute ist ganz erstaunlich. In den Städten würdet ihr
auf zwölf Civilpersonen nur einen Soldaten und auf ebensoviele nur einen
Priester oder Prediger zu sehen bekommen. Die Juden werden dort ganz
wie menschliche Wesen, nicht wie Hunde behandelt. Sie können jedes Geschäft
betreiben, das ihnen beliebt, sie dürfen funkelnagelneue Waaren verkaufen,
wenn sie Lust dazu haben, sie dürfen Apotheken halten und unter Christen
als Aerzte wirken, sich mit ihnen associiren, sich sogar — ihr könnt mir's
glauben, ich schwör' es bei der Jungfrau -— mit ihnen verheirathen, wie wir
uns verheirathen. Man schließt sie nicht in einen schmutzigen Winkel der
Stadt ein. Sie können vielmehr da wohnen, wo es ihnen am besten gefällt,
man behauptet sogar, sie hätten das Recht, sich Land und Häuser zu kaufen
und sich als Besitzer zu geriren, obwohl ich das bezweifle. Sie müssen nie¬
mals nackt mit Eseln durch die öffentlichen Straßen Wettläufe anstellen, um
dem Volke zu Carnevalszeiten einen Spaß zu machen. Niemals sind sie dort
von Soldaten jeden Sonntag in eine Kirche getrieben worden, um sich selbst
und ihre Religion verfluchen zu hören. In diesem wunderlichen Lande erlaubt
man heutzutage einem Juden, bei öffentlichen Abstimmungen mit zu Votiren,
ein Amt zu bekleiden, ja eine Rednerbühne auf öffentlichem Markte zu besteigen
und seine Meinung über die Regierung auszusprechen, wenn diese Negierung
ihm nicht zusagt.

Ach, es ist seltsam! Die gemeinen Leute da wissen sehr viel, sie haben
sogar die Dreistigkeit, zu klagen, wenn sie nicht gehörig regiert werden, und
sich des Staatsruders zu bemächtigen und selber an demselben mitzuhelfen.
Wenn sie Gesetze wie die unsern hätten, welche von jeden drei Thalern, die
eine Ernte ihnen bringt, einem der Regierung als Steuer zusprechen, so würden
sie diese Gesetze ändern lassen. Statt von jeden hundert Thalern, die sie ein-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/233>, abgerufen am 16.06.2024.