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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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jener Secte in die Arena des Colosseums und ließ wilde Thiere gegen sie
los. siebzigtausend Christen sollen an dieser Stelle den Märtyrertod er¬
litten haben."

"Vor achtzehnhundert Jahren war dieses Colosseum das Theater Roms,
und Rom beherrschte die Welt. Der Mann nach der Mode, der nicht so
beiläufig mitunter etwas wie "meine Privatloge im Colosseum" fallen lassen
konnte, konnte sich nicht in den ersten Kreisen bewegen. Wenn der Besitzer
eines Kleiderladens den Krämer an der Ecke vor Neid bersten sehen wollte,
kaufte er sich Plätze in der ersten Reihe und ließ die Sache bekannt werden.
Wenn der unwiderstehliche Schnittwaaren-Ladenjüngling, nach dem ihm an¬
geborenen Instinct, unglücklich zu machen und Herzen zu brechen wünschte, so
schwang er sich zu rücksichtsloser Verachtung der Kosten auf und führte die
junge Dame eines Andern in's Colosseum, wo er sie in den Zwischenacten
mit Eiscröme fütterte und zu ihrer Erbauung die Märtyrer in ihren Käfigen
mit seinem Fischbeinstöckchen aufkitzelte."

Mark Twain findet unter dem Schutt des Colosseums den einzigen noch
existirenden Theaterzettel dieses Etablissements. Er riecht nach Pfeffermünz-
kügelchen, und am Rande befindet sich von Damenhand geschrieben in ge¬
wähltem Latein die Einladung zu einem Stelldichein. Der Zettel selbst kün¬
digt "noch nie dagewesene, höchst anziehende" Dinge an: neun Löwen und
neun Gladiatoren, darunter den berühmten Balerian, einen Kampf auf krumme
Säbel, ein "großartiges moralisches Gefecht mit Streitäxten", das "Wunder¬
kind Achilles, das, nur mit einem kleinen Speere bewaffnet, vier junge Tiger
bekämpfen wird". Das Ganze schließt mit "einem keuschen und eleganten
allgemeinen Abschlachten, in welchem dreizehn afrikanische Löwen und zweiund¬
zwanzig gefangene Barbaren mit einander kämpfen werden, bis alle um¬
gebracht sind".

Auch wie das abgelaufen, erfahren wir, und zwar durch ein Exemplar
der "Täglichen Römischen Streitaxt", welches der glückliche Reisende bestaubt
und verstümmelt ebenfalls im Schutt der Arena findet. In der betreffenden
Recension heißt es, nachdem berichtet worden, daß der Kaiser Aurelius,
sowie eine große Anzahl Herren und Damen der vornehmen Welt der Vor¬
stellung beigewohnt, und nachdem der neuen Ausstattung des Theaters
gedacht ist:

"Die Vorstellung, welche den letzten Abend eröffnete -- der Säbelkampf
zwischen zwei jungen Kunstliebhabern und einem berühmten parthischen Gla¬
diator -- war sehr schön. Der ältere der beiden jungen Herrn handhabte
seine Waffe mit einer Anmuth, die den Besitz eines außerordentlichen Talents
kennzeichnete. Seine Finte, mit der er zustieß, um sofort einen glücklich
gezielten Hieb zu thun, der dem Parther den Helm herunter schlug, wurde


jener Secte in die Arena des Colosseums und ließ wilde Thiere gegen sie
los. siebzigtausend Christen sollen an dieser Stelle den Märtyrertod er¬
litten haben."

„Vor achtzehnhundert Jahren war dieses Colosseum das Theater Roms,
und Rom beherrschte die Welt. Der Mann nach der Mode, der nicht so
beiläufig mitunter etwas wie „meine Privatloge im Colosseum" fallen lassen
konnte, konnte sich nicht in den ersten Kreisen bewegen. Wenn der Besitzer
eines Kleiderladens den Krämer an der Ecke vor Neid bersten sehen wollte,
kaufte er sich Plätze in der ersten Reihe und ließ die Sache bekannt werden.
Wenn der unwiderstehliche Schnittwaaren-Ladenjüngling, nach dem ihm an¬
geborenen Instinct, unglücklich zu machen und Herzen zu brechen wünschte, so
schwang er sich zu rücksichtsloser Verachtung der Kosten auf und führte die
junge Dame eines Andern in's Colosseum, wo er sie in den Zwischenacten
mit Eiscröme fütterte und zu ihrer Erbauung die Märtyrer in ihren Käfigen
mit seinem Fischbeinstöckchen aufkitzelte."

Mark Twain findet unter dem Schutt des Colosseums den einzigen noch
existirenden Theaterzettel dieses Etablissements. Er riecht nach Pfeffermünz-
kügelchen, und am Rande befindet sich von Damenhand geschrieben in ge¬
wähltem Latein die Einladung zu einem Stelldichein. Der Zettel selbst kün¬
digt „noch nie dagewesene, höchst anziehende" Dinge an: neun Löwen und
neun Gladiatoren, darunter den berühmten Balerian, einen Kampf auf krumme
Säbel, ein „großartiges moralisches Gefecht mit Streitäxten", das „Wunder¬
kind Achilles, das, nur mit einem kleinen Speere bewaffnet, vier junge Tiger
bekämpfen wird". Das Ganze schließt mit „einem keuschen und eleganten
allgemeinen Abschlachten, in welchem dreizehn afrikanische Löwen und zweiund¬
zwanzig gefangene Barbaren mit einander kämpfen werden, bis alle um¬
gebracht sind".

Auch wie das abgelaufen, erfahren wir, und zwar durch ein Exemplar
der „Täglichen Römischen Streitaxt", welches der glückliche Reisende bestaubt
und verstümmelt ebenfalls im Schutt der Arena findet. In der betreffenden
Recension heißt es, nachdem berichtet worden, daß der Kaiser Aurelius,
sowie eine große Anzahl Herren und Damen der vornehmen Welt der Vor¬
stellung beigewohnt, und nachdem der neuen Ausstattung des Theaters
gedacht ist:

„Die Vorstellung, welche den letzten Abend eröffnete — der Säbelkampf
zwischen zwei jungen Kunstliebhabern und einem berühmten parthischen Gla¬
diator — war sehr schön. Der ältere der beiden jungen Herrn handhabte
seine Waffe mit einer Anmuth, die den Besitz eines außerordentlichen Talents
kennzeichnete. Seine Finte, mit der er zustieß, um sofort einen glücklich
gezielten Hieb zu thun, der dem Parther den Helm herunter schlug, wurde


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[0235] jener Secte in die Arena des Colosseums und ließ wilde Thiere gegen sie los. siebzigtausend Christen sollen an dieser Stelle den Märtyrertod er¬ litten haben." „Vor achtzehnhundert Jahren war dieses Colosseum das Theater Roms, und Rom beherrschte die Welt. Der Mann nach der Mode, der nicht so beiläufig mitunter etwas wie „meine Privatloge im Colosseum" fallen lassen konnte, konnte sich nicht in den ersten Kreisen bewegen. Wenn der Besitzer eines Kleiderladens den Krämer an der Ecke vor Neid bersten sehen wollte, kaufte er sich Plätze in der ersten Reihe und ließ die Sache bekannt werden. Wenn der unwiderstehliche Schnittwaaren-Ladenjüngling, nach dem ihm an¬ geborenen Instinct, unglücklich zu machen und Herzen zu brechen wünschte, so schwang er sich zu rücksichtsloser Verachtung der Kosten auf und führte die junge Dame eines Andern in's Colosseum, wo er sie in den Zwischenacten mit Eiscröme fütterte und zu ihrer Erbauung die Märtyrer in ihren Käfigen mit seinem Fischbeinstöckchen aufkitzelte." Mark Twain findet unter dem Schutt des Colosseums den einzigen noch existirenden Theaterzettel dieses Etablissements. Er riecht nach Pfeffermünz- kügelchen, und am Rande befindet sich von Damenhand geschrieben in ge¬ wähltem Latein die Einladung zu einem Stelldichein. Der Zettel selbst kün¬ digt „noch nie dagewesene, höchst anziehende" Dinge an: neun Löwen und neun Gladiatoren, darunter den berühmten Balerian, einen Kampf auf krumme Säbel, ein „großartiges moralisches Gefecht mit Streitäxten", das „Wunder¬ kind Achilles, das, nur mit einem kleinen Speere bewaffnet, vier junge Tiger bekämpfen wird". Das Ganze schließt mit „einem keuschen und eleganten allgemeinen Abschlachten, in welchem dreizehn afrikanische Löwen und zweiund¬ zwanzig gefangene Barbaren mit einander kämpfen werden, bis alle um¬ gebracht sind". Auch wie das abgelaufen, erfahren wir, und zwar durch ein Exemplar der „Täglichen Römischen Streitaxt", welches der glückliche Reisende bestaubt und verstümmelt ebenfalls im Schutt der Arena findet. In der betreffenden Recension heißt es, nachdem berichtet worden, daß der Kaiser Aurelius, sowie eine große Anzahl Herren und Damen der vornehmen Welt der Vor¬ stellung beigewohnt, und nachdem der neuen Ausstattung des Theaters gedacht ist: „Die Vorstellung, welche den letzten Abend eröffnete — der Säbelkampf zwischen zwei jungen Kunstliebhabern und einem berühmten parthischen Gla¬ diator — war sehr schön. Der ältere der beiden jungen Herrn handhabte seine Waffe mit einer Anmuth, die den Besitz eines außerordentlichen Talents kennzeichnete. Seine Finte, mit der er zustieß, um sofort einen glücklich gezielten Hieb zu thun, der dem Parther den Helm herunter schlug, wurde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/235>, abgerufen am 16.06.2024.