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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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aufregendsten Momenten der Vorstellung Blicke nach den Zuschauern wirft,
als ob er Bewunderung suchte. Daß er im Kampfe innehält, wenn ihm
Blumensträuße zugeworfen werden, ist ebenfalls schlechter Geschmack . . . .
Wir hoffen, unser junger Freund wird diese Bemerkungen gut aufnehmen:
denn wir denken dabei lediglich an sein Bestes. Alle, welche uns kennen,
wissen ja, daß wir, obwohl wir zu Zeiten streng gegen Tiger und Märtyrer
sind, niemals absichtlich Gladiatoren beleidigen.

Das Wunderkind leistete Wunderdinge. Es überwand seine vier jungen
Tiger mit Leichtigkeit und keiner andern Verletzung als dem Verlust eines
Theils seiner Kopfhaut. Die allgemeine Abschlachtung wurde mit einer Treue
in den Einzelnheiten dargestellt, welche den todten Theilnehmern daran die
höchste Ehre macht.

Im Ganzen gereichten die Vorstellungen des letzten Abends nicht nur
der Direktion, sondern auch der Stadt, welche diese gesunden und lehrreichen
Unterhaltungen unterstützt und ermuthigt, zum Ruhme. Wir möchten nur
andeuten, daß das Treiben ungezogener Jungen auf der Galerie, welche die
Tiger durch Blasrohre mit Erbsen und Papierkugeln beschießen. Hui, Hui!
rufen und ihren Beifall oder ihr Mißfallen durch Bemerkungen wie: Hurrah,
Löwe! oder: Drauf, drauf. Gladiatorchen! -- Hausknecht von einem Kerl!
-- Rede halten! -- Mal um die Ecke spazieren! u. d. zu erkennen geben,
in Gegenwart des Kaisers äußerst tadelnswerth ist und von der Polizei ver¬
hindert werden sollte ....

Heute Nachmittag ist eine Matinee für unsere Kinderchen zugesagt, bei
welcher Gelegenheit verschiedene Märtyrer von Tigern verspeist werden. Die
regelmäßigen Vorstellungen sollen bis auf weitere Mittheilung jeden Abend
ihren Fortgang haben. Alle Abende Wechsel des Programms. Benefiz für
Valerian Dienstag, den 29., wenn er noch am Leben ist."




Briefe aus Belgien.

Seit fast drei Wochen durchstreife ich Belgien, und mein Interesse wächst,
je mehr ich mit den Verhältnissen, Sitten und Gebräuchen des Landes bekannt
werde. Fast keins unserer Nachbarländer ist so wenig bekannt bei uns als
dieses. Von den Touristenströmen, welche sich alljährlich nach allen Richtungen
über unsere Grenzen ergießen, nehmen die wenigsten ihren Lauf nach Belgien,
oder sie brausen mit Windeseile durch das Land, um Frankreich oder England


aufregendsten Momenten der Vorstellung Blicke nach den Zuschauern wirft,
als ob er Bewunderung suchte. Daß er im Kampfe innehält, wenn ihm
Blumensträuße zugeworfen werden, ist ebenfalls schlechter Geschmack . . . .
Wir hoffen, unser junger Freund wird diese Bemerkungen gut aufnehmen:
denn wir denken dabei lediglich an sein Bestes. Alle, welche uns kennen,
wissen ja, daß wir, obwohl wir zu Zeiten streng gegen Tiger und Märtyrer
sind, niemals absichtlich Gladiatoren beleidigen.

Das Wunderkind leistete Wunderdinge. Es überwand seine vier jungen
Tiger mit Leichtigkeit und keiner andern Verletzung als dem Verlust eines
Theils seiner Kopfhaut. Die allgemeine Abschlachtung wurde mit einer Treue
in den Einzelnheiten dargestellt, welche den todten Theilnehmern daran die
höchste Ehre macht.

Im Ganzen gereichten die Vorstellungen des letzten Abends nicht nur
der Direktion, sondern auch der Stadt, welche diese gesunden und lehrreichen
Unterhaltungen unterstützt und ermuthigt, zum Ruhme. Wir möchten nur
andeuten, daß das Treiben ungezogener Jungen auf der Galerie, welche die
Tiger durch Blasrohre mit Erbsen und Papierkugeln beschießen. Hui, Hui!
rufen und ihren Beifall oder ihr Mißfallen durch Bemerkungen wie: Hurrah,
Löwe! oder: Drauf, drauf. Gladiatorchen! — Hausknecht von einem Kerl!
— Rede halten! — Mal um die Ecke spazieren! u. d. zu erkennen geben,
in Gegenwart des Kaisers äußerst tadelnswerth ist und von der Polizei ver¬
hindert werden sollte ....

Heute Nachmittag ist eine Matinee für unsere Kinderchen zugesagt, bei
welcher Gelegenheit verschiedene Märtyrer von Tigern verspeist werden. Die
regelmäßigen Vorstellungen sollen bis auf weitere Mittheilung jeden Abend
ihren Fortgang haben. Alle Abende Wechsel des Programms. Benefiz für
Valerian Dienstag, den 29., wenn er noch am Leben ist."




Briefe aus Belgien.

Seit fast drei Wochen durchstreife ich Belgien, und mein Interesse wächst,
je mehr ich mit den Verhältnissen, Sitten und Gebräuchen des Landes bekannt
werde. Fast keins unserer Nachbarländer ist so wenig bekannt bei uns als
dieses. Von den Touristenströmen, welche sich alljährlich nach allen Richtungen
über unsere Grenzen ergießen, nehmen die wenigsten ihren Lauf nach Belgien,
oder sie brausen mit Windeseile durch das Land, um Frankreich oder England


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[0237] aufregendsten Momenten der Vorstellung Blicke nach den Zuschauern wirft, als ob er Bewunderung suchte. Daß er im Kampfe innehält, wenn ihm Blumensträuße zugeworfen werden, ist ebenfalls schlechter Geschmack . . . . Wir hoffen, unser junger Freund wird diese Bemerkungen gut aufnehmen: denn wir denken dabei lediglich an sein Bestes. Alle, welche uns kennen, wissen ja, daß wir, obwohl wir zu Zeiten streng gegen Tiger und Märtyrer sind, niemals absichtlich Gladiatoren beleidigen. Das Wunderkind leistete Wunderdinge. Es überwand seine vier jungen Tiger mit Leichtigkeit und keiner andern Verletzung als dem Verlust eines Theils seiner Kopfhaut. Die allgemeine Abschlachtung wurde mit einer Treue in den Einzelnheiten dargestellt, welche den todten Theilnehmern daran die höchste Ehre macht. Im Ganzen gereichten die Vorstellungen des letzten Abends nicht nur der Direktion, sondern auch der Stadt, welche diese gesunden und lehrreichen Unterhaltungen unterstützt und ermuthigt, zum Ruhme. Wir möchten nur andeuten, daß das Treiben ungezogener Jungen auf der Galerie, welche die Tiger durch Blasrohre mit Erbsen und Papierkugeln beschießen. Hui, Hui! rufen und ihren Beifall oder ihr Mißfallen durch Bemerkungen wie: Hurrah, Löwe! oder: Drauf, drauf. Gladiatorchen! — Hausknecht von einem Kerl! — Rede halten! — Mal um die Ecke spazieren! u. d. zu erkennen geben, in Gegenwart des Kaisers äußerst tadelnswerth ist und von der Polizei ver¬ hindert werden sollte .... Heute Nachmittag ist eine Matinee für unsere Kinderchen zugesagt, bei welcher Gelegenheit verschiedene Märtyrer von Tigern verspeist werden. Die regelmäßigen Vorstellungen sollen bis auf weitere Mittheilung jeden Abend ihren Fortgang haben. Alle Abende Wechsel des Programms. Benefiz für Valerian Dienstag, den 29., wenn er noch am Leben ist." Briefe aus Belgien. Seit fast drei Wochen durchstreife ich Belgien, und mein Interesse wächst, je mehr ich mit den Verhältnissen, Sitten und Gebräuchen des Landes bekannt werde. Fast keins unserer Nachbarländer ist so wenig bekannt bei uns als dieses. Von den Touristenströmen, welche sich alljährlich nach allen Richtungen über unsere Grenzen ergießen, nehmen die wenigsten ihren Lauf nach Belgien, oder sie brausen mit Windeseile durch das Land, um Frankreich oder England

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/237>, abgerufen am 16.06.2024.