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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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oder die Seebäder Ostende und Blantenberghe zu erreichen, welche vielfach
von Deutschen frequentirr werden. Und doch bieten nicht nur die uralten
Städte mit ihren herrlichen Kathedralen, Rathhäusern und Kaufhallen, mit
ihren malerischen Giebelhäusern, sondern auch die frischgrünen üppigen
Niederungen, in denen sie liegen, genug des Schönen und Bemerkens¬
werthen. Vielleicht ist ein Vorurtheil, welches ich oft daheim habe
laut werden hören, schuld daran, daß Belgien so wenig bereist wird. Man
glaubt allgemein, daß die Belgier nur wenig sympathisch sind, und daß man
deshalb einer unfreundlichen Behandlung ausgesetzt ist u. s. w. Der Noten¬
wechsel, welcher vor Kurzem zwischen Berlin und Brüssel stattgefunden hat,
dürfte diese Ansicht in Deutschland noch mehr befestigt haben. Man darf
aber nicht vergessen, daß Belgien ein zweisprachiges Land ist. Nur der meist
gebirgige Süden ist von französisch sprechenden Wallonen bewohnt, das Tief¬
land im Norden und Westen, der überwiegend größere Theil gehört dem
großen niederdeutschen Sprachgebiet an. Der ganze Typus seiner Bewohner,
der Vlamen ist ein unverfälscht germanischer geblieben, der Gesammteindruck,
den diese Gegenden auf mich gemacht haben, ist ein derartiger, daß ich kaum
empfand im Auslande zu sein. Obgleich Flandern schon so lange vom Reich
getrennt ist, hat sich das gesammte Leben und auch die Sprache wenig von
dem des platten Nordens unseres Vaterlandes verschieden gestaltet. Zwar
liest man in den größeren Städten wie Antwerpen, Gent, Mecheln und Brügge
viel französische Firmen, und die höheren Stände bedienen sich meist dieser
Sprache neben dem Vlamischen, welches von dem Landvolk und den Klein¬
bürgern ausschließlich gesprochen wird. Brüssel selbst ist eine überwiegend
französische Stadt, eine französische Sprachinsel im vlamischen Gebiet. Die
ungefähre Grenze der beiden Stämme läuft 3 -- 4 Meilen südlich von
Brüssel fast parallel mit dem 81. Breitenkreise. Unbegreiflich aber ist es, wie
der 2/5 der Gesammtbevölkerung ausmachende germanische Stamm, der noch
dazu unstreitig der begabtere, in Kunst, Bodencultur und Handel leistungs¬
fähigere ist, sich so von den Wallonen hat politisch unterdrücken lassen können.
Das Factum aber ist unbestreitbar. Eine seit etwa zwanzig Jahren bestehende,
in den letzten Jahren, namentlich seit der Entstehung des neuen deutschen
Reiches sichtlich erstarkende Partei, nämlich die der vlamischen Bewegung
kämpft mit aller Kraft gegen die Verwälschung an. Ohne irgendwie
des belgischen Patriotismus zu ermangeln, richten die Anhänger dieser
Partei ihre Blicke zu uns hinüber, von denen sie eine moralische Unterstützung
hoffen und erwarten, und unsere Presse, welche bisher so wenig Notiz von
dieser eminent deutschfreundlichen Bewegung genommen hat, darf sich für
verpflichtet halten eine alte Schuld an die Stammesgenossen in Belgien abzu¬
zahlen. Da bis jetzt bei uns so wenig von den Parteiverhältnissen Belgiens


oder die Seebäder Ostende und Blantenberghe zu erreichen, welche vielfach
von Deutschen frequentirr werden. Und doch bieten nicht nur die uralten
Städte mit ihren herrlichen Kathedralen, Rathhäusern und Kaufhallen, mit
ihren malerischen Giebelhäusern, sondern auch die frischgrünen üppigen
Niederungen, in denen sie liegen, genug des Schönen und Bemerkens¬
werthen. Vielleicht ist ein Vorurtheil, welches ich oft daheim habe
laut werden hören, schuld daran, daß Belgien so wenig bereist wird. Man
glaubt allgemein, daß die Belgier nur wenig sympathisch sind, und daß man
deshalb einer unfreundlichen Behandlung ausgesetzt ist u. s. w. Der Noten¬
wechsel, welcher vor Kurzem zwischen Berlin und Brüssel stattgefunden hat,
dürfte diese Ansicht in Deutschland noch mehr befestigt haben. Man darf
aber nicht vergessen, daß Belgien ein zweisprachiges Land ist. Nur der meist
gebirgige Süden ist von französisch sprechenden Wallonen bewohnt, das Tief¬
land im Norden und Westen, der überwiegend größere Theil gehört dem
großen niederdeutschen Sprachgebiet an. Der ganze Typus seiner Bewohner,
der Vlamen ist ein unverfälscht germanischer geblieben, der Gesammteindruck,
den diese Gegenden auf mich gemacht haben, ist ein derartiger, daß ich kaum
empfand im Auslande zu sein. Obgleich Flandern schon so lange vom Reich
getrennt ist, hat sich das gesammte Leben und auch die Sprache wenig von
dem des platten Nordens unseres Vaterlandes verschieden gestaltet. Zwar
liest man in den größeren Städten wie Antwerpen, Gent, Mecheln und Brügge
viel französische Firmen, und die höheren Stände bedienen sich meist dieser
Sprache neben dem Vlamischen, welches von dem Landvolk und den Klein¬
bürgern ausschließlich gesprochen wird. Brüssel selbst ist eine überwiegend
französische Stadt, eine französische Sprachinsel im vlamischen Gebiet. Die
ungefähre Grenze der beiden Stämme läuft 3 — 4 Meilen südlich von
Brüssel fast parallel mit dem 81. Breitenkreise. Unbegreiflich aber ist es, wie
der 2/5 der Gesammtbevölkerung ausmachende germanische Stamm, der noch
dazu unstreitig der begabtere, in Kunst, Bodencultur und Handel leistungs¬
fähigere ist, sich so von den Wallonen hat politisch unterdrücken lassen können.
Das Factum aber ist unbestreitbar. Eine seit etwa zwanzig Jahren bestehende,
in den letzten Jahren, namentlich seit der Entstehung des neuen deutschen
Reiches sichtlich erstarkende Partei, nämlich die der vlamischen Bewegung
kämpft mit aller Kraft gegen die Verwälschung an. Ohne irgendwie
des belgischen Patriotismus zu ermangeln, richten die Anhänger dieser
Partei ihre Blicke zu uns hinüber, von denen sie eine moralische Unterstützung
hoffen und erwarten, und unsere Presse, welche bisher so wenig Notiz von
dieser eminent deutschfreundlichen Bewegung genommen hat, darf sich für
verpflichtet halten eine alte Schuld an die Stammesgenossen in Belgien abzu¬
zahlen. Da bis jetzt bei uns so wenig von den Parteiverhältnissen Belgiens


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/238>, abgerufen am 16.06.2024.