Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
GMstheater und KunjMhne.
Von I)r. C. Schulz.

Es ist keine unbeliebte Methode, die Gegenwart nach geschichtlichen
Analogien zu beurtheilen. Weil gleiche Ursachen gleiche Wirkungen haben
müssen, abstrahirt man aus den Erscheinungen der Vergangenheit ein Gesetz
und nimmt dies zum Maßstabe der Beurtheilung für analoge Erscheinungen
der Gegenwart.

An sich ist man dazu ja gewiß berechtigt. Nur wird hierbei nicht selten
der Fehler begangen, daß man die Vergangenheit nicht mit der nöthigen
Schärfe ins Auge faßt. In Folge dessen wird die daraus abstrahirte Theorie
unrichtig, und ihre Anwendung auf die Gegenwart dient nur dazu, Ver¬
wirrung anzurichten.

Diesem Fehler fallen nun insbesondere auch diejenigen leicht anheim, welche
über die Bühne zu theoretisiren lieben. Indem man von dem ganz richtigen
Gedanken ausgeht, daß das Gedeihen der dramatischen Poesie und mit ihr
der Bühne von gewissen Bedingungen abhängt, ist man oft nur viel zu schnell
damit bei der Hand, aus der Geschichte sich eine Theorie zurecht zu machen.
Die dabei in Betracht kommenden äußerst complicirten Verhältnisse werden
nur im Allgemeinen überblickt, und die gewonnene Theorie dann mit Seelen¬
ruhe auf die Gegenwart angewendet, wenn die Verhältnisse einigermaßen
analog sind.

Als Grundlage solcher Theorieen wird natürlich auch gern das Theater
der alten Griechen benutzt und damit ein ganz besonders gefährlicher Weg
betreten, auf welchem ein so schnell zufahrender und schnell fertiger Theoretiker
nur allzuleicht straucheln kann.

Man braucht, um dies Schicksal zu erleiden, bei weitem noch nicht so
oberflächlich zu sein, wie sich ein Kritiker von einiger Zeit zeigte, als er bei
Gelegenheit einer Besprechung über Kruse's Brutus den dramatischen
Dichtern der Gegenwart den Rath gab, sich der aristophanischen Komödie
zuzuwenden, weil eine Zeit wie die unsere keine Zeit der Tragödie mehr sei,


GrmzbotM'IH. 1875. 31
GMstheater und KunjMhne.
Von I)r. C. Schulz.

Es ist keine unbeliebte Methode, die Gegenwart nach geschichtlichen
Analogien zu beurtheilen. Weil gleiche Ursachen gleiche Wirkungen haben
müssen, abstrahirt man aus den Erscheinungen der Vergangenheit ein Gesetz
und nimmt dies zum Maßstabe der Beurtheilung für analoge Erscheinungen
der Gegenwart.

An sich ist man dazu ja gewiß berechtigt. Nur wird hierbei nicht selten
der Fehler begangen, daß man die Vergangenheit nicht mit der nöthigen
Schärfe ins Auge faßt. In Folge dessen wird die daraus abstrahirte Theorie
unrichtig, und ihre Anwendung auf die Gegenwart dient nur dazu, Ver¬
wirrung anzurichten.

Diesem Fehler fallen nun insbesondere auch diejenigen leicht anheim, welche
über die Bühne zu theoretisiren lieben. Indem man von dem ganz richtigen
Gedanken ausgeht, daß das Gedeihen der dramatischen Poesie und mit ihr
der Bühne von gewissen Bedingungen abhängt, ist man oft nur viel zu schnell
damit bei der Hand, aus der Geschichte sich eine Theorie zurecht zu machen.
Die dabei in Betracht kommenden äußerst complicirten Verhältnisse werden
nur im Allgemeinen überblickt, und die gewonnene Theorie dann mit Seelen¬
ruhe auf die Gegenwart angewendet, wenn die Verhältnisse einigermaßen
analog sind.

Als Grundlage solcher Theorieen wird natürlich auch gern das Theater
der alten Griechen benutzt und damit ein ganz besonders gefährlicher Weg
betreten, auf welchem ein so schnell zufahrender und schnell fertiger Theoretiker
nur allzuleicht straucheln kann.

Man braucht, um dies Schicksal zu erleiden, bei weitem noch nicht so
oberflächlich zu sein, wie sich ein Kritiker von einiger Zeit zeigte, als er bei
Gelegenheit einer Besprechung über Kruse's Brutus den dramatischen
Dichtern der Gegenwart den Rath gab, sich der aristophanischen Komödie
zuzuwenden, weil eine Zeit wie die unsere keine Zeit der Tragödie mehr sei,


GrmzbotM'IH. 1875. 31
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0249" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/134067"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> GMstheater und KunjMhne.<lb/><note type="byline"> Von I)r. C. Schulz.</note></head><lb/>
          <p xml:id="ID_789"> Es ist keine unbeliebte Methode, die Gegenwart nach geschichtlichen<lb/>
Analogien zu beurtheilen. Weil gleiche Ursachen gleiche Wirkungen haben<lb/>
müssen, abstrahirt man aus den Erscheinungen der Vergangenheit ein Gesetz<lb/>
und nimmt dies zum Maßstabe der Beurtheilung für analoge Erscheinungen<lb/>
der Gegenwart.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_790"> An sich ist man dazu ja gewiß berechtigt. Nur wird hierbei nicht selten<lb/>
der Fehler begangen, daß man die Vergangenheit nicht mit der nöthigen<lb/>
Schärfe ins Auge faßt. In Folge dessen wird die daraus abstrahirte Theorie<lb/>
unrichtig, und ihre Anwendung auf die Gegenwart dient nur dazu, Ver¬<lb/>
wirrung anzurichten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_791"> Diesem Fehler fallen nun insbesondere auch diejenigen leicht anheim, welche<lb/>
über die Bühne zu theoretisiren lieben. Indem man von dem ganz richtigen<lb/>
Gedanken ausgeht, daß das Gedeihen der dramatischen Poesie und mit ihr<lb/>
der Bühne von gewissen Bedingungen abhängt, ist man oft nur viel zu schnell<lb/>
damit bei der Hand, aus der Geschichte sich eine Theorie zurecht zu machen.<lb/>
Die dabei in Betracht kommenden äußerst complicirten Verhältnisse werden<lb/>
nur im Allgemeinen überblickt, und die gewonnene Theorie dann mit Seelen¬<lb/>
ruhe auf die Gegenwart angewendet, wenn die Verhältnisse einigermaßen<lb/>
analog sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_792"> Als Grundlage solcher Theorieen wird natürlich auch gern das Theater<lb/>
der alten Griechen benutzt und damit ein ganz besonders gefährlicher Weg<lb/>
betreten, auf welchem ein so schnell zufahrender und schnell fertiger Theoretiker<lb/>
nur allzuleicht straucheln kann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_793" next="#ID_794"> Man braucht, um dies Schicksal zu erleiden, bei weitem noch nicht so<lb/>
oberflächlich zu sein, wie sich ein Kritiker von einiger Zeit zeigte, als er bei<lb/>
Gelegenheit einer Besprechung über Kruse's Brutus den dramatischen<lb/>
Dichtern der Gegenwart den Rath gab, sich der aristophanischen Komödie<lb/>
zuzuwenden, weil eine Zeit wie die unsere keine Zeit der Tragödie mehr sei,</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> GrmzbotM'IH. 1875. 31</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0249] GMstheater und KunjMhne. Von I)r. C. Schulz. Es ist keine unbeliebte Methode, die Gegenwart nach geschichtlichen Analogien zu beurtheilen. Weil gleiche Ursachen gleiche Wirkungen haben müssen, abstrahirt man aus den Erscheinungen der Vergangenheit ein Gesetz und nimmt dies zum Maßstabe der Beurtheilung für analoge Erscheinungen der Gegenwart. An sich ist man dazu ja gewiß berechtigt. Nur wird hierbei nicht selten der Fehler begangen, daß man die Vergangenheit nicht mit der nöthigen Schärfe ins Auge faßt. In Folge dessen wird die daraus abstrahirte Theorie unrichtig, und ihre Anwendung auf die Gegenwart dient nur dazu, Ver¬ wirrung anzurichten. Diesem Fehler fallen nun insbesondere auch diejenigen leicht anheim, welche über die Bühne zu theoretisiren lieben. Indem man von dem ganz richtigen Gedanken ausgeht, daß das Gedeihen der dramatischen Poesie und mit ihr der Bühne von gewissen Bedingungen abhängt, ist man oft nur viel zu schnell damit bei der Hand, aus der Geschichte sich eine Theorie zurecht zu machen. Die dabei in Betracht kommenden äußerst complicirten Verhältnisse werden nur im Allgemeinen überblickt, und die gewonnene Theorie dann mit Seelen¬ ruhe auf die Gegenwart angewendet, wenn die Verhältnisse einigermaßen analog sind. Als Grundlage solcher Theorieen wird natürlich auch gern das Theater der alten Griechen benutzt und damit ein ganz besonders gefährlicher Weg betreten, auf welchem ein so schnell zufahrender und schnell fertiger Theoretiker nur allzuleicht straucheln kann. Man braucht, um dies Schicksal zu erleiden, bei weitem noch nicht so oberflächlich zu sein, wie sich ein Kritiker von einiger Zeit zeigte, als er bei Gelegenheit einer Besprechung über Kruse's Brutus den dramatischen Dichtern der Gegenwart den Rath gab, sich der aristophanischen Komödie zuzuwenden, weil eine Zeit wie die unsere keine Zeit der Tragödie mehr sei, GrmzbotM'IH. 1875. 31

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/249
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/249>, abgerufen am 16.06.2024.